Vorstandshaftung wegen unzulässiger Einlagenrückgewähr
Stellen Vorstände einer Aktiengesellschaft (AG) in deren Namen einer Bank dingliche Sicherheiten zur Besicherung von bankseitig an Aktionäre ausgegebene Darlehen, machen sie sich schadenersatzpflichtig, wenn zum Zeitpunkt der Besicherung bei vernünftiger kaufmännischer Betrachtung absehbar war, dass die Aktionäre die Darlehen nicht vollständig würden zurückgewähren können und die Sicherheiten gezogen werden.
Sachverhalt
Die Beklagten waren Vorstandsmitglieder einer mittlerweile insolventen der Aktiengesellschaft (im Folgenden: AG) und wurden von dem Insolvenzverwalter wegen Verletzung ihrer Vorstandspflichten auf Schadenersatz wegen Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verklagt.
Vorangegangen war ein vor ihrem Börsengang von der AG an Mitarbeiter und Handelsvertreter gerichtetes Angebot zur bevorrechtigten Zeichnung von Aktien der AG. Die Interessenten konnten das hierfür erforderliche Kapital jedoch nicht aufbringen und auch keine banküblichen Sicherheiten stellen. In der Folge gewährte die B. Bank den Interessenten zur Begleichung der Kaufpreise Darlehen in Höhe von EUR 8,2 Mio. gegen Verpfändung der Aktien. Wie zuvor vereinbart, verpfändeten die Beklagten zur Besicherung der Darlehen zusätzlich Kontoguthaben eines von ihnen beherrschten Unternehmens. Als die Darlehen fällig wurden, wollten viele Kreditnehmer die Aktien behalten und die Finanzierung verlängern. Hierauf verpfändeten die Beklagten der B. Bank im Namen der AG Kontoguthaben der AG als Sicherheit gegen Freigabe der zuvor gestellten Sicherheiten. Die B. Bank verlängerte daraufhin die Darlehensgewährung. Nach Kursverlusten der an die B. Bank verpfändeten Aktien forderte die B. Bank die noch verbliebenen Kreditnehmer zur Darlehensrückzahlung auf und befriedigte sich wegen der verbleibenden Außenständen aus den verpfändeten Kontoguthaben der AG. Das Landgericht hat die Klage des Insolvenzverwalters wegen verbotener Einlagenrückgewähr abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben.
Entscheidung des BGH
Der Bundesgerichtshof (BGH) schloss sich dem Berufungsgericht an. Danach lag eine Schadenersatzverpflichtung der Vorstände wegen verbotener Einlagenrückgewähr gemäß §§ 93 Abs. 3 Nr. 1, 57 Abs. 1 S. 1 Aktiengesetz (AktG) vor.
Bereits mit der Bestellung der dinglichen Sicherheit (Verpfändung des Kontoguthabens der AG) an einen gesellschaftsfremden Dritten (die B. Bank) für die Darlehen der Aktionäre, und nicht erst mit der Verwertung der Sicherheit, liege die Einlagenrückgewähr vor. Diese sei auch verboten gewesen (§ 57 Abs. 1 S. 1 AktG), weil den Aktionären die erforderliche Bonität fehlte und sie im Zeitpunkt der Bestellung der letzten Sicherheit durch die AG voraussichtlich nicht in der Lage waren, die Darlehensrückzahlungsansprüche zu bedienen.
Die Einlagenrückgewähr sei auch nicht deshalb zulässig gewesen, weil der AG ein vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen die Aktionäre zugestanden hätte (§ 57 Abs. 1 S. 3 AktG). Ein Rückgewähranspruch bestehe zwar in einem Freistellungsanspruch der AG gegen den Aktionär. Dieser Freistellungsanspruch sei jedoch nur dann vollwertig, wenn nach einer vernünftigen kaufmännischen Beurteilung sich im Zeitpunkt der Besicherung ein Forderungsausfall für den Darlehensrückzahlungsanspruch als unwahrscheinlich darstelle. Entscheidend sei, ob der Aktionär aus einer ex-ante-Perspektive zur Darlehensrückzahlung in der Lage scheine. In diesem Fall liege auch bei der Stellung einer dinglichen Sicherheit ein zulässiger „Aktiventausch“ vor, der nach § 57 Abs. 1 S. 3 AktG eine Bewertung als verbotene Einlagenrückgewähr ausschließt.
Diese Voraussetzungen aber haben nach Ansicht des BGH nicht vorgelegen. Die Darlehensnehmer seien mangels Eigenkapital oder banküblicher Sicherheiten beim Aktienerwerb von Beginn an auf Fremdmittel angewiesen gewesen. Auch die Verpfändung der Aktien an die B. Bank habe dies nicht heilen können. Der Sicherungsfall habe nämlich nur dann nicht eintreten können, wenn der Marktwert der Aktien zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs noch zu seiner Deckung genügt haben würde. Auf einen bleibenden oder steigenden Kurswert der Aktien aber hätten die Beklagten nach vernünftiger kaufmännischer Betrachtung nicht vertrauen können. Dies zeige sich auch daran, dass die AG die bereits durch Verpfändung der Aktien (teil)besicherten Darlehensrückforderungsansprüche zusätzliche durch Kontoguthaben besichert hätten. Abgedeckt worden sei hierdurch das konkret bestehende Ausfallrisiko bei einer ungünstigen Kursentwicklung, die auch jederzeit möglich gewesen sei. Daraus folge, dass es bei Beurteilung der Frage, ob der AG ein vollwertiger Rückgewähranspruch zustehe, nicht auf den aktuellen Wert der Aktien bei der Bestellung der Sicherheit ankommen könne, sondern auf die voraussichtliche künftige Wertentwicklung. Zum Zeitpunkt der Verpfändung der Kontoguthaben der AG habe jedoch bereits ein Kursrückgang der Aktien vorgelegen und bei einem jungen Unternehmen wie der AG habe man aufgrund dessen bei vernünftiger kaufmännischer Betrachtung auch nicht davon ausgehen können, dass ein weiterer Kursrückgang und damit ein Forderungsausfall der B. Bank aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht unwahrscheinlich gewesen wäre.
Da die Einlagenrückgewähr auch nicht aus anderen Gründen gesetzmäßig war, bestätigte der BGH die bereits vom Berufungsgericht festgestellte schuldhafte Pflichtverletzung des die Revision betreibenden Vorstandsmitglieds.
Praxistipp
Zum einen macht die Entscheidung einmal mehr deutlich, dass die Haftung von Vorständen verstärkt auch in das gerichtliche Blickfeld tritt. Zum anderen liefert sie ein weiteres illustres Beispiel für das weite Feld der (verbotenen) Einlagenrückgewähr. Insbesondere haftungsrelevant ist die Argumentation des BGH, wonach es zur Beurteilung, ob ein Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Aktionär vollwertig ist (dann läge keine verbotene Einlagenrückgewähr vor), auf den Zeitpunkt der Stellung der dinglichen Sicherheit ankommt. Der BGH macht zudem im Zusammenhang mit der „doppelten“ Absicherung der Darlehen durch Aktienverpfändung und Kontoverpfändung und den angestellten Überlegungen zu (künftigen) Kursentwicklungen der noch jungen Aktien klar, nach welchen (strengen) Maßstäben Vorstandsmitglieder diese Beurteilung zu treffen haben, um einer Schadenersatzpflicht zu entgehen. Unabdingbar ist danach neben einer sorgfältigen Tatsachenermittlung und einem Handeln allein im Interesse der Aktiengesellschaft eine nach vernünftiger kaufmännischer Betrachtung erfolgende Beurteilung, inwieweit der Rückgewähranspruch gegen den Aktionär im Sinne eines „Aktiventauschs“ der hingegebenen Sicherheit gleichwertig ist.
(BGH, Urteil vom 10.1.2017 – II ZR 94/15)
Stephen-Oliver Nündel, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main