Zur nachträglichen Zulassung von Kündigungsschutzklagen
Immer wieder haben Gerichte über die Frage der nachträglichen Zulassung von Kündigungsschutzklagen bei unverschuldeter Versäumung der 3-Wochenfrist des § 4 Kündigungsschutzgesetz zu entscheiden. Im Falle einer Schwangeren, die erst nach Ablauf dieser Frist Kenntnis von ihrer Schwangerschaft bekommt, hat der Europäische Gerichtshof kürzlich zu Gunsten der Schwangeren entschieden.
Hintergrund
Immer wieder stehen Arbeitgeber, Arbeitnehmerinnen und nicht zuletzt die Arbeitsgerichte vor der Frage, welche Klagefrist einer Schwangeren zuzumuten ist, die zum Zeitpunkt der Kündigung und innerhalb der gesetzlich normierten Klagefrist von ihrer Schwangerschaft noch keine Kenntnis hatte. Zunächst ist die deutsche Gesetzeslage da eindeutig: Grundsätzlich muss gegen eine Kündigung innerhalb einer Frist von 3 Wochen Kündigungsschutzklage eingereicht werden, wenn die Arbeitnehmerin geltend machen will, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen wie hier dem absoluten Kündigungsverbot einer Schwangeren nach § 17 Mutterschutzgesetz rechtsunwirksam sein soll, § 4 Abs. 1 S. 1 Kündigungsschutzgesetz („KSchG“). Nur sofern eine Arbeitnehmerin trotz aller Anwendung der ihr zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, innerhalb dieser Frist Klage einzureichen, kann diese Klage auch nach Ablauf der Frist auf Antrag zugelassen werden, § 5 Abs. 1 KSchG. Auch hierfür ist allerdings wiederum nach § 5 Abs. 3 KSchG innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten eine weitere Frist von 2 Wochen vorgesehen, welche nach der Behebung des „Hindernisses“ zu laufen beginnt. Konkret heißt dies: Nachdem die Arbeitnehmerin Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt hat, hat sie 2 weitere Wochen zur Einreichung einer Klage.
Fragestellung
Mit diesen - wie es ein Kommentator sagt - prozessualen Fallstricken muss sich demnach eine Schwangere nicht nur auskennen, sondern auch auseinandersetzen. Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob diese weitere 2-Wochen-Frist angemessen und zumutbar ist. Das Arbeitsgericht Mainz war nicht der Meinung und hat deshalb den Europäischen Gerichtshof („EuGH“) um eine Vorabentscheidung über die Vereinbarkeit mit dem Europarecht gebeten. Hintergrund war ein Verfahren über die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage einer Schwangeren, welche nicht nur nach Ablauf der 3-wöchigen Klagefrist, sondern danach auch erst 4 Wochen nach Kenntnis ihrer Schwangerschaft Kündigungsschutzklage eingereicht hatte.
Entscheidung
Der EuGH hatte demnach zu prüfen, ob die 2-Wochenfrist des § 5 Abs. 3 KSchG mit der Richtlinie 92/85 EWG vom 19.10.1992 zu u.a der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen vereinbar ist. Artikel 10 dieser Richtlinie enthält ein Kündigungsverbot für den Zeitraum vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubes. In dem kürzlich ergangenen Urteil vom 27.06.2024 – C 284/23 –entschied der EuGH, dass die 2-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 KSchG damit nicht vereinbar ist. Das Gericht führte u.a. aus, dass diese Frist für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage unter Berücksichtigung der besonderen Situation, in der sich die Frau zu Beginn der Schwangerschaft befinde, nicht nur allgemein zu kurz sei. Auch konkret sei sie kürzer als die Frist zur Klageeinreichung einer schwangeren Arbeitnehmerin, die zum Kündigungszeitpunkt bereits Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hätte. Daraus schloss der EuGH, dass diese Ausschlussfrist von 2 Wochen dem Kündigungsverbot des Artikels 10 der genannten Richtlinie nicht entsprechen würde. Das Ergebnis folgt im Übrigen einer älteren Entscheidung des EuGH, in welcher er eine ähnliche Regelung des luxemburgischen Arbeitsgesetzbuches für nicht geeignet hielt, den Vorgaben der genannten Richtlinie zu entsprechen (EuGH, Urteil vom 29.10.2009, C 63/08). In beiden Fällen sah sich das Gericht jedoch nicht in der Lage, eine konkrete Frist zu bestimmen, sondern überließ dies zunächst dem vorlegenden Gericht selbst.
Diese Entscheidung des EuGH stellt nun auch für das deutsche Recht fest, dass die 2-Wochen-Frist als Ausschlussfrist zu kurz ist. Als Folge dessen dürfte der deutsche Gesetzgeber nunmehr nach Artikel 288 Abs. 3 EU-Arbeitsweisevertrag verpflichtet sein, eine Gesetzesänderung vorzunehmen. In der Zwischenzeit sind die Arbeitsgerichte gehalten, eine richtlinienkonforme Auslegung des § 5 KSchG vorzunehmen.
Praxistipp
Arbeitgeber müssen sich also darauf einstellen, dass u. U. auch noch mehreren Wochen nach Ausspruch einer Kündigung eine zulässige Kündigungsschutzklage eingereicht werden kann. Für Arbeitnehmerinnen bedeutet dies eine positive Entzerrung der strengen prozessualen Vorschriften, Arbeitsgerichte zuletzt dürften bis zu einer Gesetzesänderung vor der schwierig zu lösenden Einzelfallfrage stehen, welche Frist im Einzelfall nun noch zulässig ist.