Juni 2025 Blog

Zur Widerlegbarkeit der sog. Chargenvermutung bei Fremdkörperfund

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat sich kürzlich mit der Chargenvermutung bei Fremdkörperfund befasst und hohe Anforderungen an die zur Widerlegung der Vermutung vom Lebensmittelunternehmer durchzuführende „eingehenden Untersuchung“ der Ware aufgestellt.

Sachverhalt 

Ein Lebensmittelunternehmen stellte eine Charge von Tiefkühlhähnchennuggets her, die in Deutschland vertrieben wurden. Die Charge umfasste insgesamt 11.800 kg Produkt. Im Oktober 2024 erhielt die zuständige Behörde eine Verbraucherbeschwerde, in der ein Kunde berichtete, dass er beim Verzehr eines Hähnchennuggets aus dieser Charge ein scharfkantiges Plastikteil entdeckt habe. Der Kunde hatte das Produkt in einem Einzelhandelsgeschäft in Deutschland erworben.

Die zuständige Überwachungsbehörde forderte das Unternehmen daraufhin auf, einen lebensmittelrechtlichen Produktrückruf für die betroffene Charge durchzuführen. Begründet wurde dies mit der Annahme, dass die gesamte Charge aufgrund der Chargenvermutung (Art. 14 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, Lebensmittel-Basis-VO) als nicht sicher gelte.

Das Lebensmittelunternehmen wandte sich im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens gegen diese Entscheidung. Es führte aus, dass die Chargenvermutung widerlegt sei, da es sich um einen Einzelfall handele und keine weiteren Verunreinigungen in der Charge vorlägen.

Zuvor hatte das Lebensmittelunternehmen eine interne Untersuchung, die die Analyse eines Rückstellmusters und eine Überprüfung des Produktionsprozesses umfasste, durchgeführt, um die Ursache des Fremdkörpers zu ermitteln. Auch wurde der Fremdkörper von einem externen Gutachter analysiert, um dessen Herkunft zu bestimmen. Dabei wurde festgestellt, dass der Fremdkörper nicht dem Betrieb der Antragstellerin zugeordnet werden konnte und es sich möglicherweise um einen Einzelfall handelte.

Grundlegende Entscheidung

Nachdem das Lebensmittelunternehmen bereits in erster Instanz unterlag, wies auch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg dessen Einwände zurück.

Zunächst stellte der zuständige Senat heraus, dass er keine Zweifel daran habe, dass die Chargenvermutung überhaupt entstanden ist. So sei insbesondere nicht ersichtlich, dass der Verbraucher hier einen unzutreffenden Sachverhalt geschildert haben könnte. Dies sei auch von dem Lebensmittelunternehmen nicht nachvollziehbar vorgetragen worden.

Das Unternehmen habe die sog. Chargenvermutung jedoch nicht widerlegt.

Gehört ein nicht sicheres Lebensmittel zu einer Charge, einem Posten oder einer Lieferung von Lebensmitteln der gleichen Klasse oder Beschreibung, so ist gemäß Art. 14 Abs. 6 der Lebensmittel-Basis-VO davon auszugehen, dass sämtliche Lebensmittel in dieser Charge, diesem Posten oder dieser Lieferung ebenfalls nicht sicher sind, es sei denn, bei einer eingehenden Prüfung wird kein Nachweis dafür gefunden, dass der Rest der Charge, des Postens oder der Lieferung nicht sicher ist.

Der Senat hob unter umfassender Bezugnahme auf eine bereits 2022 ergangene Entscheidung des 14. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 17. Februar 2022 - 14 ME 54/22) hervor, dass die Chargenvermutung nach Art. 14 Abs. 6 Lebensmittel-Basis-VO eine widerlegbare Vermutungsregelung aufstelle. Zur Widerlegung der Vermutung sei jedoch der volle Beweis nötig, dass die vermutete Tatsache nicht vorliegt. Der Nachweis von Umständen, die die vermutete Tatsache lediglich als unwahrscheinlich erscheinen lassen, reiche nicht aus. Dies ergebe sich bereits aus dem in Art. 7 Lebensmittel-Basis-VO für den Bereich der Lebensmittelsicherheit geregelten Vorsorgeprinzip. Die Beweislast dafür, dass der Rest der Charge sicher ist, treffe stets den Lebensmittelunternehmer als denjenigen, der sich darauf berufen will.

Soweit sich das betroffene Unternehmen darauf berufen wolle, dass bei den veranlassten Prüfungen keine Ursache für den Fremdkörpereintrag gefunden werden konnte, dürfe dies unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nicht schon zur Widerlegung der Chargenvermutung ausreichen. So habe durch die Untersuchungen gerade nicht geklärt werden können, an welchem Ort und auf welche Weise das Plastikteil in das Hähnchennugget gelangt ist. Um folgern zu können, dass der Rest der Charge sicher ist, hätte wohl die Herkunft des Plastikteils abschließend geklärt werden müssen und es hätte sich daraus ergeben müssen, dass keine weiteren Plastikteile in die betreffende Charge gelangt sind. Ein solcher Nachweis sei gerade nicht gelungen. Solange unklar bleibe, an welchem Ort und auf welche Weise das Plastikteil in das Hähnchennugget gelangt ist, bleibe unklar, ob auch noch weitere Plastikteile bei der Herstellung und/oder Verarbeitung in das Fleisch gelangt sind. Bei dem gefundenen Plastikteil handele es sich jedenfalls nicht um einen vollständigen Gegenstand. Es weise vielmehr zwei Bruchkanten auf.

Es bestehe danach durchaus die Möglichkeit, dass der Plastiksplitter auf andere Weise, etwa durch Verschulden eines Mitarbeiters, in das Produkt gelangt ist. Ausgeschlossen werden könne dies jedenfalls nicht.

Auch wenn dem betroffenen Unternehmen zuzustimmen sei, soweit es vorgetragen hat, Art. 14 Abs. 6 der Lebensmittel-Basis-VO könne nicht entnommen werden, was unter einer "eingehenden Prüfung" zu verstehen sei, genüge zur Gewährleistung der Sicherheit von Lebensmitteln jedenfalls die Untersuchung einer einzigen Probe bei einem Produktionsumfang der gesamten Charge von 11.800 kg nicht. Der Senat könne daher offenlassen, wie viele Proben untersucht werden müssen, um die Vermutung zu widerlegen, zumal sich dies über den gebildeten abstrakten Maßstab hinaus nicht allgemein festlegen lasse. Abhängig etwa von der Art der Verunreinigung und der Größe der betroffenen Charge könnten unterschiedlich viele Proben notwendig sein.

Trotz der dargelegten hohen Anforderungen weist das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ausdrücklich darauf hin, dass mit dem Erfordernis einer umfangreicheren Beprobung nach seiner Ansicht nichts Unzumutbares oder Unmögliches verlangt werde. Sofern die Herkunft bzw. die Ursache für einen gefundenen Fremdkörper unklar bleibe, könne der verantwortliche Betrieb durchaus auf andere Weise - insbesondere durch eine statistische Untersuchung der betroffenen Charge - nachweisen, dass es sich um einen Einzelfall handelt. So hätte in dem betrachteten Fall noch nach dem Bekanntwerden des Vorfalls die Möglichkeit bestanden, einzelne Lebensmittelhändler, die die betroffene Ware verkaufen, um Übersendung der noch vorhandenen Produkte der streitgegenständlichen Charge zu bitten. Alternativ hätte die Antragstellerin von vornherein mehrere Packungen der Charge zur Überprüfung zurückhalten können, was sich insbesondere bei der Produktion großer Mengen anbietet.

Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung stellt hohe Anforderungen an die Widerlegbarkeit der Chargenvermutung auf. Solange unklar bleibt, an welchem Ort und auf welche Weise ein Fremdkörper in ein Produkt gelangt ist und ob auch noch weitere Fremdkörper bei der Herstellung und/oder Verarbeitung in das Produkt gelangt sein können, sind eigeninitiativ durchzuführende umfangreiche statistische Untersuchung der betroffenen Charge erforderlich.

Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer sollten ihre Produktion in möglichst kleine Chargen unterteilen und im Verdachtsfall die Möglichkeit einer eingehenden Prüfung ihrer Waren in Betracht ziehen und Nachweise zur Entlastung der restlichen Partie schnellstmöglich vorlegen.

(Fundstelle: Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 11. Februar 2025, Az.: 13 ME 247/24)

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