AGB-Kontrolle als Stolperfalle – Indexklausel verstößt gegen Transparenzgebot
Am 5. Juni 2025 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (Az.: 10 U 146/24) eine Wertsicherungsklausel in einem Gewerbemietvertrag für unwirksam erklärt – mit potenziell weitreichenden Folgen für die Vertragsgestaltung im Gewerbemietrecht.
Im Zentrum standen drei rechtliche Kernfragen:
- Unterliegt eine Preisanpassungsklausel in einem Gewerbemietvertrag neben den Anforderungen des Preisklauselgesetz (PrKG) zusätzlich auch einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle?
- Besonders praxisrelevant: Kann eine Klausel wegen Anknüpfung der Mietanpassung an einen Indexzeitpunkt vor Beginn des Mietverhältnisses unwirksam sein?
- Und: Gilt die Unwirksamkeit einer solchen Klausel ab gerichtlicher Feststellung – oder rückwirkend ab Vertragsschluss – mit potenziell erheblichen Rückzahlungsfolgen für Vermieter?
Wie es zum Urteil kam
Gegenstand des Rechtsstreits war eine Indexklausel in einem langfristigen Gewerbemietvertrag. Die Parteien hatten am 28. August 2019 einen Mietvertrag geschlossen, der eine automatische Anpassung der Miete an den Verbraucherpreisindex vorsah – ein übliches Mittel zur Absicherung gegen Inflation und zur Wahrung der wirtschaftlichen Balance über die Vertragslaufzeit hinweg.
Besonders auffällig war jedoch die konkrete Ausgestaltung der Klausel: Als Ausgangspunkt für die Indexentwicklung wurde der Monat Mai 2017 vereinbart – also ein Zeitpunkt, der mehr als zwei Jahre vor Beginn des Mietverhältnisses am 1. September 2019 lag.
Die Mieterin sah sich im Laufe der Vertragsdurchführung mit deutlich erhöhten Mietzahlungen konfrontiert und hielt die Klausel für intransparent und unangemessen. Sie klagte auf Rückzahlung der überzahlten Beträge. Das Landgericht gab der Klage statt und erklärte die Klausel für unwirksam. Die Vermieterin legte Berufung ein – ohne Erfolg: Das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigte die Entscheidung und wies die Berufung zurück.
Kernaussage 1: Wertsicherungsklauseln unterliegen der AGB-Kontrolle
Ein zentraler rechtlicher Streitpunkt im Rahmen der Entscheidung des OLG Düsseldorf war die Frage, ob Preisanpassungsklauseln in Gewerberaummietverträgen neben den Vorgaben des PrKG auch einer Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB unterliegen – und damit bei Verstoß gegen das Transparenzgebot von Anfang an unwirksam sein können.
Diese Frage wird in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht einheitlich beantwortet. Während etwa das OLG Schleswig in einem Hinweisbeschluss vom 5. Februar 2024 (Az. 12 U 69/23) davon ausgeht, dass die Prüfungsmaßstäbe des § 2 Abs. 1 Nr. 2 PrKG und des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB identisch seien und sich die Rechtsfolge der Unwirksamkeit ausschließlich nach § 8 PrKG richte, vertreten andere Stimmen – insbesondere in der Literatur – die Auffassung, dass Verstöße gegen § 307 BGB unabhängig vom PrKG zu einer unmittelbaren Nichtigkeit der Klausel gemäß § 306 BGB führen.
Das OLG Düsseldorf schließt sich dieser letztgenannten Auffassung an und nimmt damit eine klare Position in einem bislang ungeklärten Meinungsstreit ein. Es betont, dass die AGB-rechtliche Kontrolle eigenständig und ergänzend neben die spezialgesetzliche Prüfung nach dem PrKG tritt und nicht durch sie verdrängt wird. Diese Doppelprüfung sei nicht nur zulässig, sondern geboten, da die beiden Regelungssysteme unterschiedliche Schutzziele verfolgen: Während das PrKG dem öffentlichen Interesse dient, insbesondere dem Schutz vor inflationären Tendenzen und der Sicherung der Preisstabilität, zielt die AGB-rechtliche Kontrolle auf die Wahrung der Vertragsgerechtigkeit zwischen den Parteien. Sie prüft, ob die Klausel transparent formuliert ist und ob die Interessen beider Vertragspartner angemessen berücksichtigt wurden. Aus dieser funktionalen Differenz ergibt sich nach Auffassung des Senats, dass ein Verstoß gegen § 307 BGB nicht durch die spezialgesetzliche Regelung des PrKG „aufgefangen“ wird, sondern eigenständig zur Unwirksamkeit der Klausel führen kann.
Somit droht nicht nur die Unwirksamkeit der Wertsicherungsklausel, sondern auch die Rückabwicklung bereits erfolgter Mietanpassungen – mit erheblichen finanziellen Risiken für Vermieter.
Kernaussage 2: Unwirksamkeit wegen Indexzeitpunktes vor Beginn des Mietverhältnisses
Ein weiterer Aspekt der Entscheidung betrifft die zeitliche Bezugnahme innerhalb der streitgegenständlichen Mietanpassungsklausel: Die Parteien hatten vereinbart, dass die Ausgangsbasis für die Indexentwicklung der Monat Mai 2017 sein sollte – also ein Zeitpunkt, der mehr als zwei Jahre vor Beginn des Mietverhältnisses am 1. September 2019 lag.
Das OLG Düsseldorf hatte daher zu prüfen, ob diese zeitliche Anknüpfung – also die Wahl eines Indexstandes außerhalb des Vertragszeitraums – bereits für sich genommen zur Unwirksamkeit der Klausel führen kann, etwa wegen mangelnder Transparenz und fehlender Nachvollziehbarkeit der Berechnungsgrundlage.
Das Gericht verneinte die Wirksamkeit der Klausel mit Verweis auf § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und bewertete sie als intransparent. Die Mieterin konnte nicht erkennen, wie sich die Ausgangsmiete konkret berechnete, da der maßgebliche Indexstand zum Vertragsbeginn nicht ersichtlich war.
Zudem sah das Gericht in der Wahl eines Indexzeitpunkts vor Mietbeginn eine unangemessene Benachteiligung der Mieterin: Etwaige Preissteigerungen zwischen Mai 2017 und September 2019 wirkten sich allein zu ihren Lasten aus, obwohl sie in diesem Zeitraum keine Gegenleistung – insbesondere keine Gebrauchsgewährung – von der Vermieterin erhalten hatte. Diese Konstellation widerspricht dem Grundsatz der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung und führt nach Auffassung des Gerichts zur Unwirksamkeit der Klausel.
Zur Untermauerung seiner Argumentation verweist das OLG auf § 2 Abs. 3 Nr. 3 PrKG, der die Festlegung eines vor Mietbeginn liegenden Indexzeitpunkts ausdrücklich als Regelbeispiel für eine unangemessene Benachteiligung nennt. In der Folge erklärte das Gericht die Klausel insgesamt für unwirksam. Interessant zu sehen ist also auch, dass das OLG Düsseldorf die PrKG als Bewertungsmaßstab für die Beurteilung einer eventuellen AGB-widrigkeit heranzieht.
Besonders deutlich wird die wirtschaftliche Relevanz dieser Entscheidung für Projektentwickler und Vermieter, die mit langfristigen Gewerbemietverträgen arbeiten – etwa bei Entwicklungsprojekten, die „vom Reißbrett“ geplant werden und bei denen der Mietbeginn oft weit in der Zukunft liegt. Gerade in solchen Fällen ist die Versuchung groß, bereits frühzeitig Indexwerte festzulegen, um Kalkulationssicherheit zu gewinnen. Doch das Urteil zeigt: Eine solche Praxis kann rechtlich riskant sein. Die Klausel ist nicht nur für die Vergangenheit unwirksam, sondern entfaltet auch keine Wirkung für die Zukunft – sie ist insgesamt nichtig. In wirtschaftlich angespannten Zeiten, in denen viele Projektentwickler ohnehin unter Druck stehen, kann dies zu erheblichen finanziellen Belastungen führen.
Kernaussage 3: Zeitpunkt der Unwirksamkeit
Folgenschwer ist auch die Klarstellung des OLG Düsseldorf hinsichtlich des Zeitpunkts der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Wertsicherungsklausel. Während § 8 PrKG grundsätzlich vorsieht, dass eine gegen das PrKG verstoßende Klausel erst mit rechtskräftiger gerichtlicher Feststellung unwirksam wird (ex nunc), entschied das OLG im vorliegenden Fall, dass bei einem Verstoß gegen § 307 BGB die Unwirksamkeit bereits von Anfang an (ex tunc) eintritt – also ab Vertragsschluss.
Der Senat wies die teilweise vertretene Auffassung zurück, wonach eine unangemessene Klausel zunächst lediglich „schwebend unwirksam“ sei und erst mit gerichtlicher Feststellung ihre Wirkung verliere. Eine solche Sichtweise würde es Vermietern ermöglichen, unangemessen benachteiligende Klauseln risikolos zu verwenden – ein Ergebnis, das mit dem Schutzzweck des § 307 BGB nicht vereinbar sei. Auch das Landgericht hatte bereits zutreffend festgestellt, dass § 8 PrKG nie die Funktion gehabt habe, eine nach AGB-Recht unwirksame Klausel „vorläufig“ wirksam zu halten.
Diese Auslegung hat erhebliche praktische Konsequenzen: Vermieter können sich nicht darauf berufen, bis zur gerichtlichen Entscheidung rechtmäßig gehandelt zu haben. Stattdessen drohen Rückzahlungsansprüche für sämtliche über die Jahre geleisteten Mietanpassungen, vorbehaltlich einer etwaig eingetretenen Verjährung.
Die Entscheidung unterstreicht damit die Bedeutung einer rechtssicheren Vertragsgestaltung und mahnt zur besonderen Sorgfalt bei der Formulierung von Preisanpassungsklauseln – insbesondere in langfristigen Mietverhältnissen.
Ausblick und Empfehlungen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf hat weitgehende praktische Konsequenzen für die Praxis der Vertragsgestaltung im Gewerbemietrecht. Vermieter müssen künftig deutlich sorgfältiger prüfen, ob ihre Wertsicherungsklauseln nicht nur den Anforderungen des PrKG genügen, sondern auch den strengen Maßstäben der AGB-rechtlichen Kontrolle nach § 307 BGB standhalten. Besonders kritisch sind dabei die Transparenz der Klausel, die Nachvollziehbarkeit der Berechnungsgrundlage und die zeitliche Stimmigkeit der Indexbezugspunkte. Klauseln, die auf einen Indexstand vor Mietbeginn Bezug nehmen oder deren Berechnungsmechanismus für die Mietpartei nicht klar erkennbar ist, sind rechtlich angreifbar und können rückwirkend (ex tunc) für unwirksam erklärt werden und Rückzahlungsansprüche für bereits geleistete Mietanpassungen auslösen – mit teils beträchtlichen finanziellen Folgen für Vermieter. Besonders betroffen sind bestehende Gewerbemietverträge, in denen ähnliche Klauseln verwendet wurden.
Für die Praxis empfiehlt sich daher dringend bestehende Verträge umfassend rechtlich zu überprüfen und gegebenenfalls durch rechtssichere Nachtragsvereinbarungen zu ersetzen. Auch bei Neuverträgen ist besondere Sorgfalt geboten: Die Wahl des Indexzeitpunkts, die Berechnungsgrundlage und die Verständlichkeit der Klausel müssen klar und eindeutig geregelt sein.
Zudem ist es ratsam, die weitere höchstrichterliche Entwicklung – insbesondere eine mögliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs – aufmerksam zu verfolgen. Die Revision wurde zugelassen, da die zugrundeliegende Rechtsfrage – ob und in welchem Umfang neben dem PrKG auch die AGB-Kontrolle greift – höchstrichterlich bislang nicht entschieden ist. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs könnte folgen und die Rechtslage weiter präzisieren oder sogar neu justieren.

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