Arbeitsgericht Köln: Präventionsverfahren schon in der Wartezeit geboten
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen besonderen Kündigungsschutz. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses schwerbehinderter Menschen durch den Arbeitgeber bedarf grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 168 SGB IX). Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX greift der besondere Kündigungsschutz aber dann nicht, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat, wie auch § 1 Abs. 1 KSchG für den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG regelt. Gemäß § 167 SGB IX haben Arbeitgeber zudem beim Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt einzuschalten, um mit ihnen alle Möglichkeiten und zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
Gemäß einem Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.12.2023 dürfen Arbeitgeber Menschen mit Schwerbehinderung auch während der sechsmonatigen Wartezeit nicht „einfach so“ kündigen.
Der Fall
In dem zu entscheidenden Fall ging es um einen Kläger mit einem Grad der Behinderung von 80. Er war bei der beklagten Kommune ab dem 1. Januar 2023 als Beschäftigter in verschiedenen Kolonnen eines Bauhofs tätig. Ende Mai 2023 riss er sich beim Fahrradfahren das Kreuzband und war infolge dessen arbeitsunfähig. Die Beklagte hörte den Personalrat, die Schwerbehindertenvertretung sowie die Gleichstellungsbeauftragte zur beabsichtigten Kündigung in der Probezeit des Klägers an. Alle drei Stellen teilten bis zum 22.06.2023 mit, keine Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung zu haben. Mit Schreiben vom 22.06.2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger ordentlich und fristgerecht zum 31.07.2023.
Der Kläger setzte sich gegen die Kündigung zur Wehr mit den Argumenten, die infolge seiner Arbeitsunfähigkeit erklärte Kündigung sei treuwidrig. Er argumentierte zudem unter Berufung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 10.02.2022, Az. C-485/20, dass die Beklagte ihm vor Ausspruch der Kündigung eine leidensgerechte Beschäftigung hätte anbieten müssen.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln
Das Arbeitsgericht Köln hat entschieden, dass die Kündigung gemäß § 134 BGB iVm. § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX unwirksam sei. Eine unionsrechtskonforme (Art. 5 RL 2000/78/EG und Art. 27 I 2 lit. a UN-Behindertenrechtskonvention) Auslegung von § 167 Abs. 1 SGB IX ergebe, dass Arbeitgeber auch während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet seien, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Das Arbeitsgericht Köln führte aus, dass der Kläger in den vorherigen Beschäftigungsstationen weiter hätte eingewöhnt werden können, bei denen es nicht zu „erheblichen Problemen in der Einarbeitungsphase“ gekommen sei.
§ 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verbiete Arbeitgebern jede Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter wegen ihrer Behinderung. Nach ständiger BAG-Rechtsprechung begründe der Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Hierzu gehöre auch die Vorschrift des § 167 Abs. 1 SGB IX, da diese der Behebung von Schwierigkeiten dienen solle, die bei der Beschäftigung von Schwerbehinderten auftreten, um das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortsetzen zu können.
Auswirkungen auf die Praxis
Das Arbeitsgericht Köln distanziert sich mit seinem Urteil von der noch zur Vorgängernorm ergangenen Entscheidung des BAG vom 21.4.2016 (8 AZR 402/14). Arbeitgeber seien auch während der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Das Arbeitsgericht Köln hat damit das in § 167 SGB IX verankerte Prinzip der Prävention gestärkt und entschieden, dass dieses bereits während der Probezeit gilt Arbeitgeber sollten also, wenn sie bemerken, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer sich während der Probezeit nicht bewährt, vor der Kündigung entsprechende Präventionsmaßnahmen ergreifen und ggfs. die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt bereits präventiv einschalten.
(Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23)