Dezember 2012 Blog

BGH-Parkettstäbe vs. EuGH-Bodenfliesen

Der EuGH hat mit Urteil vom 16.6.2011 den Streit darüber beendet, ob auch Ein- und Ausbaukosten unter die „zum Zwecke der Nacherfüllung erforderliche Aufwendungen” in § 439 Abs. 2 BGB fallen: Nach richtlinienkonformer Auslegung habe der Verkäufer bei der Nachlieferung einer mangelfreien Kaufsache auch die Ein- und Ausbaukosten zu tragen und könne sich – noch weitergehend – auch nicht auf absolute Unverhältnismäßigkeit berufen.

In Fällen, in denen eine mangelhafte Kaufsache vom Käufer ihrem Zweck gemäß eingebaut wird (etwa Dachziegel oder Parkettstäbe), stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Verkäufer im Rahmen des Nachlieferungsanspruches des Käufers auch die Ein- und Ausbaukosten, die manchmal weitaus höher liegen als der Wert der Kaufsache, tragen muss.

In dem vom EuGH zu entscheidenden Fall weigerte sich der Verkäufer, die Ein- und Ausbaukosten mangelhafter Bodenfliesen zu übernehmen, die das Dreifache des Materialwerts der Fliesen  betrugen. Er berief sich auf die sog. „Parkettstäbe-Rechtsprechung“ des BGH, wonach diese Kosten nur im Rahmen des Schadensersatzanspruches erstattungsfähig sind, der allerdings ein Verschulden des Verkäufers voraussetzt, das nicht vorlag. Der EuGH erteilte dieser BGH-Rechtsprechung in seiner Entscheidung eine klare Absage:

§ 439 Abs. 2 BGB sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der Verbraucher bei Lieferung einer mangelhaften Sache, die gemäß ihrem Verwendungszweck eingebaut wurde, sowohl die Ausbaukosten als auch die Kosten des Einbaus der mangelfreien, nachgelieferten Ware tragen muss.

Darüber hinausgehend entschied der EuGH, dass dem Verkäufer auch kein Verweigerungsrecht hinsichtlich der den Wert der Kaufsache übersteigenden Kosten zustehe: Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie erlaube ein Verweigerungsrecht nur hinsichtlich einer Art der Nacherfüllung zugunsten der anderen (relative Unverhältnismäßigkeit). Wenn die Nachbesserung allerdings unmöglich sei, könne der Verkäufer die Nachlieferung nicht mit dem Argument der unverhältnismäßigen Kosten verweigern. Der EuGH weist jedoch darauf hin, dass eine Beschränkung der vom Verkäufer zu tragenden Ein- und Ausbaukosten auf eine angemessene Höhe durch die Richtlinie nicht ausgeschlossen sei, ohne genaue Kriterien zur Begrenzung des Ersatzanspruchs zu nennen.

Praxisfolgen:
Der EuGH stärkt mit seinem Urteil einmal mehr den Verbraucherschutz sowie den Vorrang der Nacherfüllung. Doch wirft dieses Urteil auch weitere Fragen und Probleme auf. So bleibt es etwa abzuwarten, wie Gerichte mit der vom EuGH eröffneten Möglichkeit umgehen, Ein- und Ausbaukosten der Höhe nach auf ein angemessenes Maß zu begrenzen. Eine gesetzliche Grundlage für eine solche Beschränkung existiert bislang nicht.

In Deutschland hat dieses Urteil möglicherweise nicht nur Auswirkungen auf Verbrauchsgüterkäufe, da § 439 BGB – in überschießender Umsetzung der Richtlinie – auch für Verträge zwischen Unternehmern gilt. Bis der Gesetzgeber tätig geworden ist oder feststeht, dass die Gerichte die vom EuGH vorgegebene Auslegung des § 439 BGB auf Verbrauchsgüterkäufe beschränken, ist Kaufvertragsparteien in jedem Fall zu empfehlen, vertragliche Regelungen über die Verteilung der Ein- und Auskosten zu treffen.

(EUGH, 16. 6. 2011 - C 65/09 und C-87/09)

Dr. Melanie Sandidge, Rechtsanwältin

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