Das neunte Sanktionspaket der EU gegen Russland
Am 16. Dezember 2022 hat die EU als unmittelbare Reaktionen auf die massiven Angriffe Russlands auf die zivile Infrastruktur der Ukraine ihr mittlerweile neuntes Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet.
Das neunte Sanktionspaket besteht aus
- der Verordnung (EU) 2022/2474 durch die die Russland-Embargo-Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (VO 833/2014) um weitere güter- und dienstleistungsbezogene Beschränkungen gegen Russland bzw. in Russland ansässige Personen, Organisationen und Einrichtungen (POE) erweitert wurde;
- der Verordnung (EU) 2022/2475 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 (VO 269/2014), durch die personenbezogene Sanktionen gegen die in Anhang I der VO 269/2014 aufgeführten POE festgesetzt werden (in Gestalt des Einfrierens ihrer in der EU belegenen Vermögenswerte und eines Verbots, ihnen Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen); und
- der Durchführungsverordnung (EU) 2022/2476, durch die besagter Anhang I der VO 269/2014 um weitere POE ergänzt wurde.
Neue personenbezogene Beschränkungen
Durch die Verordnung (EU) 2022/2475 wurden weitere Ausnahmen vom Einfrierensgebot und vom Bereitstellungsverbot in die VO 269/2014 aufgenommen, um den Bedenken in Bezug auf die Ernährungssicherheit in Drittländern weiter Rechnung zu tragen. So sollen die mitgliedstaatlichen Behörden derartige Ausnahmen für bestimmte gelistete Einrichtungen sowie – unter strengen Voraussetzungen – auch für sämtliche gelistete natürliche Personen genehmigen dürfen, wenn die Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen für den Kauf, die Einfuhr oder den Transport von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln erforderlich sind.
Durch die Durchführungsverordnung (EU) 2022/2471 wurden zudem weitere 141 natürliche Personen (u.a. weitere Mitglieder der Staatsduma, Mitglieder des Föderationsrates, Mitglieder der russischen Regierung, Propagandisten, Richter des russischen Verfassungsgerichts, Angehörige der russischen Streitkräfte, Kollaborateure, Leiter von russischen Staatsunternehmen sowie Familienangehörige bereits gelisteter Personen) und 49 Einrichtungen (u.a. die Dalnevostochniy Bank, diverse russische Parteien, russische Medienunternehmen und russische Rüstungs- und Luftfahrtunternehmen) in Anhang I der VO 269/2014 aufgenommen.
Neue Ausfuhrbeschränkungen
Im Zuge des neunten Sanktionspakets wurden weitere Güter in den Anhängen VII, XI und XXIII der VO 833/2014 gelistet, mit der Folge, dass künftig ihr Verkauf, ihre Lieferung, ihre Verbringung und ihre Ausfuhr nach Russland sowie die Erbringung darauf bezogener Dienstleistungen und Finanzierungen grundsätzlich verboten sind.
So wurden durch Neufassung des Anhangs VII, der sogenannte Advanced Technology-Güter listet, weitere Güter den Beschränkungen nach Art. 2a VO 833/2014 unterworfen. Beispielweise wurden in dessen Teil A Drohnenmotoren (Position X.A.VII.003), Tarnausrüstung (Position X.A.VIII.023), weitere reizende chemische Substanzen (Position X.A.VIII.021.g) sowie Ausrüstung für Handhabung, Analyse oder Nachweis biologischer oder chemischer Stoffe (Positionen X.B.X.011-X.B.X.019) aufgenommen. Teil B des Anhangs VII wurde um sonstige elektrische/magnetische Bauteile (KN-Codes 8505 11, 8532 24, 8536 50, 8536 69, 8536 90 und 8548 00) und Maschinen für die additive Fertigung (KN-Codes 8485 20, 8485 30 und 8485 90) ergänzt. Neue Altvertragsregelungen sind für diese neu gelisteten Güter nicht vorgesehen.
Zudem wurde die Liste der Organisationen in Anhang IV, die mit dem militärisch-industriellen Komplex Russlands in Verbindung stehen und die daher besonders strengen Ausfuhrbeschränkungen in Bezug auf die in Anhang I der Dual-Use-Verordnung (EU) 2021/821 (VO 2021/821) gelisteten Dual-Use-Güter und die in Anhang VII der VO 833/2014 gelisteten Advanced Technology-Gütern unterliegen (vgl. Art. 2 Abs. 7, Art. 2a Abs. 7 und Art. 2b Abs. 1 VO 833/2014), um 168 weitere Einrichtungen ergänzt.
Daneben wurden die in Art. 3c VO 833/2014 niedergelegten Ausfuhrverbote für Güter der Luft- und Raumfahrtindustrie durch Ergänzung des Anhangs XI der VO 833/2014 um einen Teil C auch auf Motoren für Luftfahrzeuge und Teile davon (KN-Codes 8407 10 und 8409 10) erstreckt. Für derartige Waren wurde in Art. 3c Abs. 5b eine neue Altvertragsregelung für die Erfüllung von vor dem 17. Dezember 2022 geschlossenen Verträgen bis zum 23. Januar 2023 eingefügt.
Auch Anhang XXIII, der Güter für die industrielle Nutzung listet, wurde um weitere Güter ergänzt, indem ein Teil B hinzugefügt wurde, der u.a Öle (KN-Code 2710 19), verschiedene Datenverarbeitungsmaschinen und Teile davon (diverse Unterpositionen des KN-Codes 8471), Stromerzeugungsaggregate (KN-Code 8502 20), Funknavigationsgeräte (KN-Code 8526 91), Funkfernsteuergeräte (KN-Code 8526 92), gedruckte Schaltungen (KN-Code 8534 00), Kameras und Objektive (KN-Codes 9002 11, 9002 19 und 9007 10), Zielfernrohre (KN-Code 9013 10) sowie Spielzeugdrohnen (KN-Codes 9503 0075 und 9503 00079) umfasst; für die in dem neu in Anhang XXIII aufgenommenen Teil B wurde mit Art. 3k Abs. 3b eine neue Altvertragsregelung (Vertragsschluss vor dem 17. Dezember 2021, Erfüllung bis zum 16. Januar 2023) geschaffen.
Neue dienstleistungs- und finanzierungsbezogene Beschränkungen
Im Rahmen des neunten Sanktionspakets wurden zudem, über die bereits verbotenen nicht-güterbezogenen Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Buchführung, Steuerberatung, Unternehmens- und Public-Relations-Beratung (Art. 5n Abs. 1 VO 833/2014) sowie Architektur und Ingenieurwesen, Rechtberatung und IT-Beratung (Art. 5n Abs. 2 VO 833/2014) hinaus, neue Verbote zur Erbringung von Dienstleistungen zugunsten der russischen Regierung oder in Russland niedergelassenen juristischen POE niedergelegt und zwar für die Bereiche Markt- und Meinungsforschung, technische physikalische und chemische Untersuchung und Werbung (Art. 5n Abs. 2a). Welche Art von Dienstleistungen unter die einzelnen Verbote fallen sollen, wird in Erwägungsgrund 26 der Verordnung (EU) 2022/2474 näher erläutert.
Ferner wurde das bereits bestehende Verbot neuer Investitionen in den russischen Energiesektor durch Einfügen eines neuen Absatzes 2 in Art. 3c VO 833/2014 auch auf den Sektor Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden in Russland ausgeweitet.
Neue Beschränkungen in Bezug auf russische Staatsunternehmen
Mit der Russian Regional Development Bank wurde ein weiteres russisches Staatsunternehmen in Anhang XIX der VO 833/2014 aufgenommen mit der Folge, dass das Tätigen von Geschäften mit ihr, ihren mehrheitlich gehaltenen Tochterunternehmen mit Sitz außerhalb der EU und POE, die in ihrem Namen oder auf ihre Anweisung handeln, nach Art. 5aa Abs. 1 VO 833/2014 künftig verboten ist. In Bezug auf die Durchführung von Transaktionen mit der neu gelisteten Russian Regional Development Bank und die Entgegenahme von Zahlungen von diesem wurden in Art. 5aa Abs. 2d und 2e neue Altvertragsregelungen niedergelegt (Erfüllung bis zum 18. März 2023 von vor dem 17. Dezember 2022 geschlossenen Verträgen und kein Verbot der Entgegennahme von Zahlungen aufgrund von Verträgen, die vor dem 18. März 2023 ausgeführt wurden).
Ferner wird Art. 5aa VO 833/2014 um einen Absatz 1b ergänzt, der es EU-Personen ab dem 16. Januar 2023 grundsätzlich verbietet, Posten in Leitungsunternehmen von russischen Staatsunternehmen, deren mehrheitlich gehaltenen Tochterunternehmen mit Sitz außerhalb der EU sowie in Russland niedergelassenen POE, die in deren Namen oder auf ihre Anweisung handeln, zu bekleiden. Bislang gilt dieses Verbot nur für die in Anhang XIX gelisteten Staatsunternehmen.
Weitere Änderungen der VO 833/2014
Von großer praktischer Relevanz dürfte die vorübergehende Ausnahme von bestimmten ein- und ausfuhrseitigen Verboten nach dem neu eingefügten Art. 12b VO 833/2014 sein.
So ermöglicht Art. 12b Abs. 1 VO 833/2014 es den mitgliedstaatlichen Behörden, den Verkauf, die Lieferung oder die Verbringung der in den Anhängen II, VII, X, XI, XVI, XVIII, XX und XXIII der VO 833/2014 und der in Anhang I der VO 2021/821 gelisteten Güter bis zum 30. September 2023 zu genehmigen, wenn der Verkauf, die Lieferung oder die Verbringung für den Abzug von Investitionen aus Russland oder die Abwicklung von Geschäftstätigkeiten in Russland unbedingt erforderlich sind und bestimmte Bedingungen erfüllt sind. So müssen die Güter im Eigentum einer EU-Person oder einer von einer EU-Person mehrheitlich gehaltenen oder kontrollierten russischen Person stehen, die Güter dürfen nicht für militärische Zwecke bestimmt sein, und sie müssen sich vor Inkrafttreten des Ausfuhrverbots bereits physisch in Russland befunden haben. Gleichsam können die mitgliedstaatlichen Behörden gemäß Art. 12b Abs. 2 VO 833/2014 die Einfuhr oder Verbringung von in Anhang XXI und XXI gelisteten Gütern bis zum 30. September 2023 genehmigen, wenn die Einfuhr oder Verbringung für den Abzug von Investitionen aus Russland oder die Abwicklung von Geschäftstätigkeiten in Russland unbedingt erforderlich sind, sofern die Güter im Eigentum einer EU-Person oder einer von einer EU-Person mehrheitlich gehaltenen oder kontrollierten russischen Person stehen und sie sich bereits vor Inkrafttreten des Verbots physisch in Russland befunden haben.
Ferner wurden im Rahmen des neunten Sanktionspakets Anpassungen und Klarstellungen bestehender Sanktionen vorgenommen (insbesondere in Bezug auf die Verbote gemäß Art. 3m und 3n (Ölembargo und Preisobergrenze für russisches Öl) sowie die Verbote in Art. 3g (Einfuhrverbot für russische Eisen- und Stahlerzeugnisse). In begrenztem Umfang wurden zudem weitere Ausnahme- und Befreiungstatbestände in die VO 833/2014 eingefügt.
Darüber hinaus wurden vier weitere russische Medienkanäle durch Aufnahme in Anhang XV den Sendeverboten gemäß Art. 2f VO 833/2014 unterworfen.
Zusammenfassung und Ausblick
Im Rahmen des neunten Sanktionspakets wurde eine Reihe von Maßnahmen eingeführt, die spätestens nach Ablauf der vorgesehenen Altvertragsregelungen weitreichende Auswirkungen auf Wirtschaftsbeteiligte haben dürften, wie insbesondere die neuen Güterlistungen und die neuen dienstleistungsbezogenen Beschränkungen in Art. 5n Abs. 2a VO 833/2014. Hierauf sollten sich die betroffenen Unternehmen frühzeitig vorbereiten. Daneben eröffnen die neu eingeführte Befreiungs- und Ausnahmetatbestände – insbesondere Art. 12b VO 833/2014 – aber auch neue Handlungsoptionen. Diesbezüglich sollten Unternehmen prüfen, inwiefern sie diese für sich nutzen können.