September 2019 Blog

Die Akte zu und alle Fragen offen: Deutsch­lands erste Tax Law Clinic schei­tert vor dem Finanz­gericht

Eine studentische Steuerrechtsberatung, die ihre Tätigkeit an der Universität Hannover aufnehmen wollte, ist mit ihrer Klage vor dem Niedersächsischen Finanzgericht unterlegen. Da das Gericht die Klage bereits für unzulässig hielt, ist die rechtliche Situation weiter ungeklärt.

Hintergrund

Sogenannte Law Clinics sind in Deutschland noch recht neu, etablieren sich aber mehr und mehr. Es handelt sich hierbei um an Universitäten eingerichtete studentische Rechtsberatungen unter der Aufsicht von Fachleuten, z.B. Anwälten und Professoren. Die Beratung erfolgt unentgeltlich und soll vor allem auch der Ausbildung angehender Juristen dienen.

Für viele überraschend ist wohl die Tatsache, dass unentgeltliche Rechtsberatung – auch durch Volljuristen – überhaupt erst seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2004 bzw. seit 2006 gemäß § 6 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) auch ausdrücklich zulässig ist. Zwingende Voraussetzung ist aber in jedem Fall, dass die Rechtsberatung durch oder unter Aufsicht eines Volljuristen ausgeübt wird.

Die „Lex Kramer“ geht auf den Einsatz des Juristen Helmut Kramer zurück, der sich selbst anzeigte und bis zum Bundesverfassungsgericht zog, um diese Gesetzesänderung zu erreichen. Mit der zuvor geltenden Regelung wollte man eine Umgehung des Verbots der rechtlichen Betätigung durch Unbefugte verhindern. Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, dass das Gesetz 1935 erlassen wurde, wird aber schnell klar, dass man hierbei wohl nicht nur im Sinn hatte, die Qualität von Rechtsberatung zu sichern.

Die Tax Law Clinic Hannover

Während die bisherigen Law Clinics sich vor allem mit allgemeinem Zivil- oder auch Migrations- und Sozialrecht beschäftigen, erkannte der an der Universität Hannover beheimatete VFS, der Verein zur Förderung der Steuerrechtswissenschaft, den Bedarf auch für steuerrechtliche Beratung und setzte ein entsprechendes Konzept auf. Der VFS zählt bereits über 200 Mitglieder, die sich ungefähr hälftig aus Studenten sowie Anwälten und Steuerberatern, Finanzrichtern, aber auch Institutionen und Kanzleien zusammensetzen.

Wo insbesondere vor dem Hintergrund der weiterhin vollständigen Abwesenheit des Steuerrechts in der Juristenausbildung Begeisterung aufkommt, folgt auch genauso schnell die Enttäuschung: Im übertragenen Sinn durften die jungen dynamischen Steuerrechtler (d.h. unter Federführung des Vorstands rund um den Vorsitzenden, Finanzrichter Dr. Thomas Keß) schnell die leider oftmals ernüchternde Bekanntschaft des Finanzamts machen, demgegenüber als zuständige Behörde der VFS das beabsichtigte Vorhaben anzeigte und das die Tätigkeit für unzulässig hielt.

Das Steuerrecht folgt nämlich nicht nur bildlich gesprochen anderen Regeln: Hier gilt nicht wie für alle anderen Rechtsgebiete das RDG, sondern das Steuerberatungsgesetz (StBerG), das eine § 6 RDG entsprechende Vorschrift nicht kennt. „Geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen“ ist deshalb nur von befugten Personen, also Steuerberatern oder Rechtsanwälten bzw. Lohnsteuerhilfevereinen, zulässig. Wer befugt ist, entscheidet dementsprechend auch das Finanzamt als sachkundige Behörde.

Der Tatsache, dass es vor diesem Hintergrund Probleme geben würde, war man sich beim VFS bewusst. Noch vor Aufnahme der Tätigkeit wollte man sich rechtlich absichern, da ein unerlaubtes Tätigwerden eine Ordnungswidrigkeit darstellt und mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Der VFS hätte im schlimmsten Fall den Status der Gemeinnützigkeit verlieren können. Mit einer positiven Entscheidung des Finanzamts rechnete man aber nicht und stellte sich von vorneherein auf eine Klage ein.

Man war dabei optimistisch, dass vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgebots und der Tatsache, dass die relevante Vorschrift des StBerG im Wesentlichen der 2006 abgeschafften Vorgängerregelung des RDG entspricht, auch die unentgeltliche Steuerrechtsberatung unter Aufsicht von Experten gestattet würde.

Die Entscheidung des Finanzgerichts

…lässt diese Frage leider offen. Denn die Richter in Hannover hielten die Klage bereits für unzulässig, weil für eine „vorbeugende“ Klärung das erforderliche Feststellungsinteresse fehle. Anstelle Klage auf Feststellung zu erheben, dass unentgeltliche Hilfe in Steuersachen durch Studierende unter Anleitung von Rechtsanwälten im Rahmen der Tax Law Clinic zulässig ist, hätte man nach Auffassung des Gerichts nämlich die Tätigkeit aufnehmen und sich dann gegen die Untersagungsverfügung des Finanzamts wehren müssen.

Auch diese Entscheidung kam für den VFS letztlich nicht überraschend, stößt aber nicht nur dort auf Unverständnis. Der VFS schließt ein rechtswidriges Verhalten, um die Sache der rechtlichen Klärung zuzuführen, kategorisch aus. Das ist nun auch das vielleicht Kurioseste an diesem Fall: Kläger und Beklagter waren sich in diesem Punkt nämlich sogar einig. Dem VFS könne nach Auffassung des beklagten Finanzamts nicht zugemutet werden, mit der Aufnahme der Tätigkeit gegen geltendes Recht zu verstoßen und eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. So hat das eigentlich auch bereits das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 7. April 2003 (Aktenzeichen 1 BvR 2129/02) entschieden: „es [sei] einem Betroffenen nicht zuzumuten, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen auf der Anklagebank erleben zu müssen.“

Wie es weiter geht

Der VFS hat nun Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) erhoben (Aktenzeichen VIII B 96/19). Im Sinne der Studenten und des Steuerrechts bleibt es, auf eine auch in der Sache positive Entscheidung des BFH oder eine baldige Neuregelung des StBerG zu hoffen.

Anna-Maria Drescher, Rechtsanwältin
Frankfurt am Main

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