ESUG auf dem Prüfstand – Bundesregierung zieht erste Zwischenbilanz
Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung und Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 07.12.2011 wurde die Bundesregierung verpflichtet, die Erfahrungen mit der Anwendung des Gesetzes fünf Jahre nach dessen Inkrafttreten zu evaluieren. Das Ergebnis dieser Evaluation liegt nun vor und zieht eine insgesamt positive Zwischenbilanz der ESUG-Reform.
1. Hintergrund
Das Gesetz zur weiteren Erleichterung und Sanierung von Unternehmen (ESUG) trat am 01.03.2012 in Kraft. Das ESUG sollte Bedingungen schaffen, die eine Sanierung notleidender, aber noch überlebensfähiger Unternehmen sichern sollten. Kernelemente der Reform waren die Stärkung der Eigenverwaltung, die Erweiterung der Regelungsinhalte eines Insolvenzplans sowie die Stärkung der Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren. Mit seiner Zielsetzung stand das ESUG symbolisch für einen Paradigmenwechsel von der Zerschlagung zur Sanierung notleidender Unternehmen.
Ob das ESUG den hohen Erwartungen gerecht wurde, sollte fünf Jahre nach dessen Inkrafttreten durch die Bundesregierung evaluiert werden. Der nun vorliegende Evaluationsbericht fasst die ersten Erfahrungen der Praxis mit den Neuregelungen zusammen und gibt Anstöße für weitere Reformen.
2. Das ESUG in der Praxis
Nach einer statistischen Auswertung der Evaluatoren wurden in den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten des ESUG (01.03.2012 – 28.02.2017) 1.609 Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt. Der Anteil von Eigenverwaltungsverfahren an der Gesamtzahl der in diesem Zeitraum in Deutschland durchgeführten Insolvenzverfahren (46.539) beträgt damit lediglich 3,46 %. Überproportional häufig wurden Eigenverwaltungsverfahren allerdings bei größeren Unternehmensinsolvenzen (insbesondere bei Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und ab EUR 19 Mio. Jahresumsatz) angewandt.
Die insgesamt geringe Anzahl an Eigenverwaltungsverfahren (und die Konzentration auf Großverfahren) schlägt sich auch in der Erfahrung der Insolvenzgerichte mit Eigenverwaltungsverfahren nieder. Insgesamt wurden im Betrachtungszeitraum an 168 von 192 Gerichtsstandorten Eigenverwaltungsverfahren durchgeführt. Über zwei Drittel der Verfahren konzentrierte sich allerdings auf lediglich rund 27 % der Standorte. Die Evaluatoren gehen davon aus, dass bei etwa der Hälfte der Gerichtsstandorte, die mit der Umsetzung des ESUG befasst waren, keine Routine mit Eigenverwaltungsverfahren aufgebaut werden konnte.
3.Wesentliche Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Evaluationsberichts
Trotz des quantitativ eher geringen Einflusses von Eigenverwaltungsverfahren wurde das ESUG von Insolvenzpraktikern insgesamt positiv bewertet. Die Autoren der Evaluation empfehlen, den durch das ESUG eingeschlagenen Weg des sanierungsfreundlichen Insolvenzverfahrens weiter zu verfolgen. Allerdings seien teilweise gesetzgeberische Korrekturen nötig.
Beschränkung des Zugangs zum Eigenverwaltungsverfahren
Die Autoren bemängeln, dass die Voraussetzungen für ein Eigenverwaltungsverfahren nicht präzise genug geregelt seien, weswegen im Ergebnis zu viele ungeeignete Verfahren in Eigenverwaltung beantragt würden. Der Zugang zur Eigenverwaltung solle daher stärker begrenzt werden, indem klar definierte Gründe festgeschrieben werden, bei deren Eintritt die Eigenverwaltung zwingend nicht anzuordnen bzw. aufzuheben ist. Mögliche Mindestvoraussetzungen für eine „Eigenverwaltungswürdigkeit“ (bzw. deren Ausschluss) könnten insbesondere erkennbare objektive Verletzungen von Buchführungs- und Bilanzierungspflichten, eine manifeste Verletzung der Insolvenzantragspflicht oder Rückstände bei den Sozialversicherungsbeiträgen oder Steuerzahlungen sein.
Kritischer Einfluss des Schuldners und dessen Berater bei Auswahl des Sachwalters
Kritisch sei außerdem der Einfluss des Schuldners bzw. dessen Berater auf die Auswahl des Sachwalters. Der Schuldner habe über § 22a Abs. 2 InsO die Möglichkeit, Mitglieder des (vorläufigen) Gläubigerausschusses zu benennen. Der vorläufige Gläubigerausschuss könne wiederum über § 56a InsO eine Person als Sachwalter empfehlen oder einstimmig vorschlagen, wovon das Insolvenzgericht nur in Ausnahmefällen abweichen darf. Dies führe zum Problem der „family & friends-Ausschüsse“ sowie zur Netzwerkbildung von Beratern mit Sachwaltern und Profi-Gläubigern. Es sei daher zu empfehlen, über eine Abschaffung des § 56a InsO in der Eigenverwaltung (nicht in Regelinsolvenzverfahren) nachzudenken.
Haftung in der Eigenverwaltung klärungsbedürftig
Darüber hinaus empfehlen die Autoren, die Haftung im Eigenverwaltungsverfahren gesetzlich klarzustellen. Insbesondere müsse geklärt werden, ob die Organe des eigenverwalteten Schuldners den Beteiligten gegenüber direkt für Pflichtverletzungen im Insolvenzverfahren haften (Außenhaftung). Der BGH hat diese Frage allerdings zwischenzeitlich geklärt und im Sinne einer unmittelbaren Außenhaftung der Organe entschieden (siehe Newsletter Mai 2018 „Neues Haftungsrisiko für Geschäftsleiter – BGH statuiert Haftung für Pflichtverletzungen in der Eigenverwaltung“). Diese Entscheidung wurde im Rahmen der Evaluation noch nicht berücksichtigt.
Zu klären sei zudem die Frage, ob der Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung Masseverbindlichkeiten begründen könne und ob die Geschäftsführer in der Eigenverwaltung für die Nichtabführung von Steuern und von Sozialversicherungsverbindlichkeiten haften. In diesem Zusammenhang sei insbesondere zu klären, ob § 55 Abs. 4 InsO auch im Eigenverwaltungsverfahren gilt. Die Vorschrift legt für das Regelinsolvenzverfahren fest, dass Steuerverbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet werden, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten.
Kritische Beurteilung des Schutzschirmverfahrens
Das sog. Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, das überschuldeten oder drohend zahlungsunfähigen Unternehmen eine frühzeitige Antragstellung und Sanierung ermöglichen sollte, erhält von den Evaluatoren hingegen ein schlechtes Zeugnis. Es sei in der Praxis kaum wahrgenommen worden und habe sich nicht bewährt. Es empfehle sich, auf das Schutzschirmverfahren – jedenfalls in der derzeitigen Form – zu verzichten.
Einführung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens
Die europäischen Pläne zur Schaffung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens (siehe Newsletter November 2016 „Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren ante portas? Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission“) sehen die Evaluatoren insgesamt positiv. Sie empfehlen die Einführung eines solchen Verfahrens als weitere (eigenständige) Option neben dem Eigenverwaltungsverfahren.
Positive Entwicklung des Insolvenzplanverfahrens
Die Neuerungen des ESUG im Bereich des Insolvenzplanverfahrens werden ebenfalls überwiegend positiv bewertet. Die durch das ESUG neu geschaffenen Eingriffsbefugnisse in Anteilsrechte würden in der Praxis allgemein begrüßt und auch wahrgenommen, allerdings selten in Form einer Forderungsumwandlung in Eigenkapital (Debt-Equity-Swap). Reformbedarf sehen die Autoren hier lediglich in einigen Detailfragen.
Höhere Spezialisierung von Insolvenzgerichten
Zur Stärkung der Erfahrungswerte der Insolvenzgerichte mit Eigenverwaltungsverfahren und damit zur höheren Spezialisierung der Gerichte, empfehlen die Autoren, Eigenverwaltungsverfahren bei einem Gericht eines Oberlandesgerichts, jedenfalls aber bei maximal einem Gericht je Landgerichtsbezirk, zu konzentrieren.
4. Allgemeines Fazit der Evaluation
Die Evaluation der Bundesregierung bietet – auch aufgrund der insgesamt hohen Beteiligung der befragten Insolvenzexperten – einen guten Überblick über das Meinungsbild zum ESUG in der Insolvenzpraxis. Inhaltlich enthält der Bericht zwar keine großen Überraschungen, zeigt aber auf, dass an einigen Stellen weiterhin Diskussionsbedarf besteht. Für größere Reformen (ausgeklammert sei hierbei die europarechtliche Initiative des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens) gibt der Bericht in naher Zukunft allerdings keinen Anlass.
(Evaluation des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen - ESUG)
Dr. Wolfram Desch LL.M., Rechtsanwalt
Uli Schmidt, Rechtsanwalt
beide München