EU-Kommission schlägt Reform des Antidumpingrechts vor
Nur wenige Monate nach der Neufassung der EU-Antidumping- und -Ausgleichszollverordnungen im Juni 2016 schlägt die EU-Kommission weitere Änderungen des Antidumpingrechts vor. Anlass ist der seit Monaten schwelende Streit mit China um die Anerkennung der Volksrepublik als „Marktwirtschaft“.
Am 11. Dezember 2016 jährt sich der WTO-Beitritt Chinas zum 15. Mal. Der Jahrestag markiert nicht nur die erfolgreiche Integration des Landes in die Weltwirtschaft. Mit diesem Datum läuft zugleich eine kurze, bislang wenig beachtete Sonderbestimmung im Beitrittsprotokoll der Volksrepublik China zur WTO aus dem Jahre 2001 aus. Diese Vorschrift gestattet es anderen WTO-Mitgliedern, zur Feststellung eines Dumpings auf alternative Berechnungsmethoden zurückzugreifen, die sich nicht allein an inländischen chinesischen Vergleichspreisen orientieren. Aus Sicht Chinas bedeutet dies, dass es ab Dezember 2016 Anspruch darauf hat, von der EU als „Marktwirtschaft“ anerkannt zu werden. Die Folge wäre, dass die Angemessenheit chinesischer Exportpreise künftig wie auch bei anderen WTO-Mitgliedstaaten durch einen Vergleich mit chinesischen Inlandspreisen stattfinden muss. Nach bisherigem Recht werden hingegen Ausfuhrpreise aus „Nicht-Marktwirtschaftsstaaten“ – zu denen China gezählt wird – mit Inlandspreisen aus anderen Drittländern (sog. „analogue countries“), z. B. aus den USA, verglichen, die als unter freien Marktwirtschaftsbedingungen gebildet angesehen werden.
Sorge vor chinesischen Überkapazitäten
Nachdem das näher rückende Auslaufen der WTO-Sonderbestimmung lange Zeit wenig Aufmerksamkeit fand, haben in den vergangenen Monaten Unternehmen und Arbeitnehmerverbände in der EU zunehmend nachdrücklich Handlungsbedarf reklamiert. Sie befürchten, dass die EU nach dem 11. Dezember 2016 nicht mehr in der Lage sein könnte, vermeintlich gedumpten Ausfuhren angemessen mit Schutzzöllen entgegenzutreten. Insbesondere in der Stahlbranche, die von chinesischen Überkapazitäten besonders betroffen ist, sieht man die Lage als äußerst bedrohlich an. Die für Änderungen des EU-Antidumpingrechts zuständige EU-Kommission hatte die Brisanz des Themas hingegen erst relativ spät erkannt. So waren laut einer Pressemitteilung nach einem Sondierungsgespräch Ende Juli 2016 noch alle Möglichkeiten, von der Verleihung eines „Marktwirtschaftsstatus“ bis hin zu einem „neuen Ansatz“ im Gespräch.
Kommission will künftig auf „Preisverzerrungen“ abstellen.
Nachdem zuletzt im Oktober 2016 auch das Europäische Parlament Druck ausübte, hat die Kommission nun am 9. November 2016 einen Vorschlag zur Änderung der EU-Antidumping- und Antisubventionsvorschriften vorgeschlagen. Hierin werden nun weitere Änderungen der erst im Juni 2016 im Amtsblatt veröffentlichten Verordnungen Nr. 2016/1036 und 2016/1037 vorgeschlagen. Bei nach Inkrafttreten der Neuregelung eingeleiteten Antidumping-Untersuchungen soll demnach für alle WTO-Mitglieder grundsätzlich die Vergleichsmethode Anwendung finden; Vergleichsmaßstab sollen die Inlandspreise des jeweiligen Staates sein. Unabhängig von einer Anerkennung als „Marktwirtschaft“ kann nach dem Kommissions-Vorschlag jedoch von der Vergleichsmethode abgewichen werden, wenn „signifikante Verzerrungen“ der Inlandspreise festgestellt werden. In diesem Fall soll der „Normalwert“ auf der Grundlage der tatsächlichen Produktionskosten oder unverzerrten Preisen aus anderen Drittstaaten bestimmt werden können. Dies ähnelt der von den USA angewandten „Produktionsfaktorenmethode“. Für bereits eingeleitete Antidumping-Untersuchungen soll es hingegen zunächst bei der geltenden Rechtslage bleiben. Bereits in Kraft getretene Antidumpingzölle sollen zunächst ebenfalls unberührt bleiben; der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass diese in der Regel bei der nächsten Auslaufuntersuchung nach der neuen Methodik bewertet werden können.
Ausblick
Ob und wie schnell der Vorschlag umgesetzt werden wird, ist noch unklar. Der Vorschlag wurde beim Treffen der EU-Handelsminister am 11. November 2016 beraten, allerdings ist fraglich, ob das Gesetzgebungsverfahren bis zum 11. Dezember 2016 beendet werden könnte. Interessant wird auch sein, wie China auf den Änderungsvorschlag reagiert. Einerseits wird China nach dem Kommissionsvorschlag nunmehr mit allen anderen WTO-Staaten gleich behandelt. Da sich Peking nicht zuletzt an der als unfair empfundenen „Stigmatisierung“ als Nicht-Marktwirtschaft stieß, dürfte dies einen wichtigen Punkt darstellen. Andererseits ist auch nach dem Vorschlag der Kommission zur Bestimmung der Frage, ob „signifikante Preisverzerrungen“ vorliegen, maßgeblich darauf abzustellen, ob die Preise durch freie Marktkräfte oder aber aufgrund staatlichen Einflusses gebildet wurden. Auch wenn also die Liste der nicht als Marktwirtschaft geltenden Länder künftig keine Bedeutung mehr haben wird, wird es im Kern doch um die politische Entscheidung gehen, inwiefern die Kommission chinesische Inlandspreise als marktwirtschaftlich frei gebildet anerkennen oder alternative Methoden anwenden wird; dabei wird auch von Bedeutung sein, inwieweit die Entscheidung der Kommission gerichtlich überprüft werden kann. Auch nach Verabschiedung des Kommissionsvorschlages bleibt also durchaus Spannungspotential in den Handelsbeziehungen zwischen der EU und ihrem wichtigsten Handelspartner China.
(vgl. Dokument Nr. COM (2016) 721 final, abrufbar unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2016/november/tradoc_155079.pdf)
Dr. Lothar Harings und Adrian Loets, LL.M.