September 2019 Blog

EuGH erklärt HOAI Mindest- und Höchst­sätze für eu­ropa­rechts­widrig – Aus­wir­kungen in der Pra­xis

Die Problemkreise, die aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) resultieren, sind im Wesentlichen überschaubar. Verträge in denen ein Honorar unter Bezugnahme auf die HOAI innerhalb des dort vorgegebenen Honorarrahmens vereinbart wurden, bleiben von der Entscheidung unberührt. Erhebliche Rechtsunsicherheiten ergeben sich derzeit für laufende Honorarprozesse und Verträge in denen eine formwirksame Honorarvereinbarung fehlt.

Hintergrund

Das OLG Hamm, sowie das OLG Celle befassten sich in ihren Entscheidungen erstmals mit dem Urteil des EuGH vom 04. Juli 2019 (Az.: C-377/17). In seinem Urteil stellte der EuGH fest, dass Deutschland gegen die sog. Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) verstoßen hat, indem es verbindliche Mindest- und Höchstsätze für die Honorare von Architekten und Ingenieure beibehalten hat (vgl. Artikel aus unserer Ausgabe im Juli 2019).

Die Frage, ob nach dem Urteil des EuGH die europarechtswidrigen Regelungen der HOAI zum zwingenden Mindest- und Höchstsatz weiterhin anzuwenden sind oder nicht, wird aktuell kontrovers diskutiert. Die nunmehr vorliegenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte, befassen sich mit dieser Fragestellung und beurteilen dies unterschiedlich:

Nach Auffassung des OLG Hamm hat das EuGH-Urteil ohne gesetzliche Umsetzung im nationalen Recht keine Auswirkungen auf Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten, weshalb das zwingende Preisrecht dort zunächst fortbestehe und anzuwenden sei. Eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts dahingehend, dass der sich aus der HOAI ergebende Preisrahmen doch nicht verbindlich ist, sei nicht möglich (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019 – 21 U 24/18). Dagegen verbietet es der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nach Auffassung des OLG Celle den Gerichten, die als unionsrechtswidrig erkannte Regelung noch weiter zur Entscheidungsfindung heranzuziehen (vgl. OLG Celle, Urteile vom 17.07.2019 – 14 U 188/18 und vom 23.07.2019 – 14 U 182/18).

Welche Auswirkungen ergeben sich für laufende Gerichtsverfahren? – Erhebliche Rechtsunsicherheit!

Beruft sich ein Architekt im Rahmen von Mindestsatzklagen auf Mindestsätze, besteht das Risiko, dass ein Gericht die Klage unter Hinweis auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts abweist. Es würde der Grundsatz „Vertrag ist Vertrag“ gelten und es bleibt bei der, unterhalb der Mindestsätze vereinbarten Vergütung.

Rechtsunsicherheiten ergeben sich auch für den umgekehrten Fall, wenn sich der Auftraggeber auf eine Höchstsatzüberschreitung beruft. Ohne, dass sich das OLG Hamm mit dieser Frage auseinander setzen musste, lässt sich diese Rechtsprechung problemlos auf derartige Fälle übertragen. Folgt man also dieser Ansicht, dürften auch die Höchstsätze weiterhin anwendbar bleiben und der Auftraggeber könnte sich hierauf berufen. Nach Ansicht des OLG Celle würde eine Reduzierung des Honorars auf den Höchstsatz ausscheiden.

Insoweit bleibt eine höchstrichterliche Klärung abzuwarten; entsprechende Honorarprozesse sind daher aktuell mit erheblichen Unwägbarkeiten behaftet.

Welche Konsequenzen ergeben sich für bereits geschlossene Verträge? – Geschlossene Verträge bleiben generell wirksam

Bereits geschlossene Verträge werden durch das EuGH-Urteil nur wenig tangiert. Bestehende Verträge, in denen ein Honorar im Rahmen der Mindest- und Höchstsätze vereinbart wurde, bleiben rechtswirksam.

Auch eine Vertragsanpassung wegen Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) wird aufgrund der hohen Hürden kaum durchsetzbar sein. Der Auftraggeber müsste hierzu nachweisen, dass ein geringeres Honorar vereinbart worden wäre, wenn die Unwirksamkeit des zwingenden Preisrechts bekannt gewesen wäre. Zusätzlich müsste ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar sein.

Probleme ergeben sich aber für Verträge, in denen ein Honorar nicht formwirksam vereinbart wurde. Ob wie bisher die Mindestsatzvermutung gem. § 7 Abs. 5 HOAI zur Anwendung kommt, ist umstritten. Das OLG Celle erachtet die Mindestsatzvermutung des § 7 Abs. 5 HOAI für gegenstandslos und schließt damit die Geltung der verbindlichen Preiseregelungen durch die „Hintertür“ der Mindestsatzvermutung aus. Gemäß § 632 Abs. BGB wäre demnach die übliche Vergütung entscheidend. Ob hierfür wiederum die Preisregelungen der HOAI herangezogen werden, bleibt abzuwarten.

Was bedeutet das Urteil des EuGH für zukünftige Verträge? – Vertragliche Honorarvereinbarung wird (noch) wichtiger

Eine formwirksame Honorarvereinbarung wird zur Vermeidung der sich nunmehr ergebenden Rechtsunsicherheiten unausweichlich. Insoweit gilt nichts anderes als in der Vergangenheit. Dazu ist bei Auftragserteilung das Honorar schriftlich zu vereinbaren. Zu beachten ist hierbei, dass mit Einführung des gesetzlich geregelten Architektenvertrages ins BGB zum 01.01.2018, bereits die früher oft als Akquise gesehene Grundlagenermittlung, Teil der vertraglichen und damit zu vergütenden Architektenleistung sind. Eine Honorarvereinbarung ist hiervor zu treffen, oft also schon beim ersten Gespräch. Hierbei können auch weiterhin die Honorare nach HOAI vereinbart werden, wobei ausdrücklich festgelegt werden sollte, ob die Mittel-, Höchst- oder Mindestsätze zugrunde gelegt werden. Soweit Honorare außerhalb des Preisrahmens der HOAI vereinbart werden, hat die Entscheidung des EuGH, jedenfalls nach der Ansicht des OLG Hamm, keine unmittelbare Rechtswirkung auf privatrechtlicher Ebene. Solche Vereinbarungen wären weiter unwirksam. Anders sieht dies das OLG Celle, welches die HOAI insoweit nicht mehr anwenden will. Anders ist dies, auch nach Ansicht des OLG Hamm, im Verhältnis von öffentlichem Auftraggeber zu privatem Auftragnehmer zu sehen. Hier kann der öffentlichen Hand die Europarechtswidrigkeit der HOAI entgegengehalten werden.

Eine Modifizierung oder Abschaffung der HOAI bewirkt in der Regel keine nachteilige Rückwirkung, d.h. Verträge und auch Honorarvereinbarungen bleiben auch bei einer Abschaffung der HOAI wirksam und durchführbar.

Konsequenzen für die öffentliche Auftragsvergabe

Konsequenzen ergeben sich bereits jetzt für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen durch öffentliche Auftraggeber. Öffentliche Stellen sind aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts (sog. vertikale Wirkung) verpflichtet, mit sofortiger Wirkung das für europarechtswidrig erklärte verbindliche Preisrecht der HOAI nicht mehr anzuwenden. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die öffentlichen Stellen in Deutschland in einem Informationsschreiben vom 04. Juli 2019 bereits hierzu angehalten.

Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über Architekten- oder Ingenieurleistungen kann daher ein Zuschlag nicht mehr aufgrund der Tatsache, dass die angebotenen Preise unterhalb der Mindestsätze oder oberhalb der Нöchstsätze der HOAI liegen, verweigert werden. Zu beachten ist aber, dass das Vergaberecht selbst Instrumente bereithält, um dem ungezügeltem Preiswettbewerb entgegenzutreten. Die Nichtanwendbarkeit der Höchst- und Mindestpreisregeln führt nicht dazu, dass der öffentliche Auftraggeber in Zukunft jedes auch noch so niedrige Preisangebot für Planungs- und Überwachungsleistungen akzeptieren muss.

Daniel Metz, Rechtsanwalt
München

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