EuGH segnet verschuldensabhängige Eigenhaftung von Leitungsorganen juristischer Personen wegen Steuerschuld der Gesellschaft ab
Wegen §§ 69, 34 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) kann es zu einer unbegrenzten persönlichen Haftung von GmbH-Geschäftsführern und Vorständen für Steuerschulden der Gesellschaft kommen. Hieran erinnert ein aktuelles Urteil des EuGH im Kontext einer ähnlichen Haftungsregelung niederländischen Rechts.
§ 69 AO: Eine bisweilen unbekannte Haftungsfalle
Gemäß der bundesgesetzlichen Regelung des § 69 AO haften die Leitungsorgane juristischer Personen (§ 34 Abs. 1 AO) für Steuerschulden der Gesellschaft akzessorisch, persönlich und unbegrenzt, soweit diese infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der den Leitungsorganen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Zu den hierdurch adressierten Pflichten gehört insbesondere das Führen von Büchern und Aufzeichnungen, die Erteilung von Auskünften, das Vorlegen von Nachweisen, das fristgerechte Einreichen der Steuererklärung und die Pflicht, Steuerschulden der Gesellschaft aus deren Vermögen zu begleichen. Im Rahmen des § 69 AO trägt zwar die Finanzbehörde die Beweislast für die Pflichtverletzung des Leitungsorgans, sein Verschulden und den kausalen Schaden. Dies wiegt in der Praxis allerdings deshalb weniger schwer, weil der Haftungsschuldner verpflichtet ist, die zur Feststellung des Haftungsumfangs erforderlichen Informationen zu erteilen und entsprechende Mithilfe zu leisten hat.
Niederländisches Haftungsregime
Im niederländischen Steuerrecht regelt Art. 36 Beitreibungsgesetz ebenfalls eine Eigenhaftung der Geschäftsführer für Steuerschulden der Gesellschaft, welche in einem anhängigen finanzgerichtlichen Verfahren gegenständlich war. Danach tritt das Leitungsorgan eine Eigenhaftung einmal dann, wenn die Gesellschaft ihre Steuerschuld nicht mehr entrichten kann und trotz rechtzeitiger Anzeige dieses Umstands gegenüber den Steuerbehörden (Art. 36 Abs. 2 Beitreibungsgesetz) die Nichtzahlung der Steuerschuld auf eine offenkundig mangelhafte Geschäftsführung der vergangenen drei Jahre zurückgeht (Art. 36 Abs. 3 Beitreibungsgesetz). Der Geschäftsführer haftet erst recht, wenn die Gesellschaft ihre Pflicht zur Anzeige des Unvermögens zur Begleichung der Steuerschulden nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt. In diesem Fall wird sogar widerleglich vermutet, dass ihm der Eintritt des Zahlungsausfalls anzulasten sei (Art. 36 Abs. 4 Beitreibungsgesetz).
Entscheidung des EuGH
Im Rahmen eines Vorlageverfahrens hatte der EuGH über die Europarechtskonformität des Art. 36 Beitreibungsgesetz zu entscheiden und hat diese bejaht. Dies im Wesentlichen deshalb, weil der Geschäftsführer es selbst in der Hand hat, die gemäß Art. 36 Abs. 2 Beitreibungsgesetz erforderliche unverzügliche Anzeige des Zahlungsunvermögens vorzunehmen und die Haftung ein Verschulden erfordert. Aber auch die Verschuldensvermutung des Art. 36 Abs. 4 Beitreibungsgesetz sei wegen deren Widerleglichkeit nicht unverhältnismäßig. Unzulässig sei erst eine nationale Maßnahme, die de facto ein System der verschuldensunabhängigen Haftung einführt. Es sei als unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzusehen, die Haftung für die Mehrwertsteuer einer anderen Person als dem Steuerschuldner aufzuerlegen, ohne es dieser Person zu ermöglichen, sich der Haftung zu entziehen, indem sie den Nachweis erbringt, dass sie mit dem Gebaren des Steuerschuldners nichts zu tun hat. Es wäre nämlich offenkundig unverhältnismäßig, dieser Person uneingeschränkt den Verlust von Steuereinnahmen anzulasten, der durch das Tun eines Dritten verursacht worden ist, auf das sie keinen Einfluss hat.
Haftung aus § 69 AO europarechtlich „safe“
Vor diesem Hintergrund darf wohl davon ausgegangen werden, dass die Regelungen der §§ 69, 34 Abs. 1 AO erst recht europarechtskonform sind. Auch hier steht der Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft durch das Leitungsorgan grundsätzlich nichts im Wege und ist ein Verschulden erforderlich. A majore ad minus darf aus dem Urteil zudem gefolgert werden, dass die Verschuldensregelung des § 69 AO allein schon deshalb verhältnismäßig ist und europäischen Vorgaben standhält, da sie auf eine Verschuldensvermutung verzichtet.
(EuGH, Urt. v. 14.11.2024 – Rs C-613/23)

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