Fiktiver Schadensersatz nach Verkehrsunfall
Der Geschädigte ist bei der Geltendmachung von fiktivem Schadensersatz im Sinne von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich nicht verpflichtet dazu vorzutragen, ob und auf welche Art und Weise er eine Herstellung des vor dem Schadensereignis bestehenden Zustandes tatsächlich vorgenommen hat.
Sachverhalt
Der BGH hatte sich vor kurzem mit einem Fall zu befassen, bei welchem der Kläger den beklagten Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls in Nordrhein-Westfalen in Anspruch nahm.
Der Kläger berechnete seinen Schadensersatzanspruch mittels eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachten, welches für die Reparatur des klägerischen Fahrzeugs Kosten in Höhe von EUR 3.087,80 netto auswies. Das Fahrzeug ließ der in Deutschland wohnende Kläger während eines Urlaubs in der Türkei reparieren, zu den hierbei angefallenen Reparaturkosten machte er allerdings keine Angaben.
Von dem beklagten Haftpflichtversicherer verlangte der Kläger nunmehr Schadensersatz in Höhe von EUR 4.178,05 (EUR 3.087,80 Reparaturkosten, merkantiler Minderwert, Sachverständigenkosten, Nutzungsausfallentschädigung, Unkostenpauschale) nebst Rechtsanwaltskosten und Zinsen.
Das eingangs mit dem Fall befasste Amtsgericht wies die Klage ab, da der Kläger aus dessen Sicht nur die im Ausland tatsächlich angefallenen Reparaturkosten verlangen könne, zu denen er aber nicht vorgetragen habe. Das zweitinstanzlich zuständige Landgericht verurteilte den Beklagten dagegen auf Basis einer Haftungsquote von 40 % zur Zahlung von Schadensersatz nebst Rechtsanwaltskosten und Zinsen.
Entscheidung des BGH
Nach Auffassung des BGH hat das Landgericht die Reparaturkosten rechtsfehlerfrei zuerkannt.
Grundsätze fiktiver Schadensberechnung gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB
Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte wegen der Beschädigung einer Sache als Schadensersatz statt der Herstellung des ohne das Schadensereignis bestehenden Zustands den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Die Erforderlichkeit bemisst sich dabei danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer an Stelle des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist demnach grundsätzlich dazu gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen.
Im Rahmen von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gilt zudem das im Schadensersatzrecht verankerte Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Das bedeutet, der Geschädigte soll im Schadensfall zwar grundsätzlich die volle Wiederherstellung verlangen können, hieran jedoch nicht „verdienen“.
Verlangt der Geschädigte Schadensersatz im Wege der fiktiven Schadensberechnung, ist der Geschädigte nach Auffassung des BGH grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, zu den tatsächlichen Herstellungskosten konkret vorzutragen. Der Geschädigte habe Anspruch auf Zahlung der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten, egal ob er das Fahrzeug vollständig, minderwertig oder gar nicht reparieren lässt. Bei dem Verlangen fiktiven Schadensersatzes genüge es daher dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, wenn der Geschädigte die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwertstatt zugrunde legt, die ein von ihm beauftragter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Mart ermittelt habe. Dies gelte auch für die Kosten von Ersatzteilen.
Ungeachtet dessen müsse sich der Geschädigte bei fiktiver Schadensabrechnung gemäß § 254 Abs. 2 BGB allerdings vom Schädiger auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen Fachwerkstatt verweisen lassen, wenn der Schädiger darlegt und gegebenenfalls beweist, dass die Reparatur in einer solchen Werkstatt qualitativ einer Reparatur in einer markengebundene Fachwerkstatt entspricht und etwaige Umstände widerlegt, aus welchen dem Geschädigten eine Reparatur außerhalb einer markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar sein könnten.
Begrenzung fiktiver Schadensersatz bei Reparatur im notwendigen Umfang
Die Vorinstanzen vertraten – wie zum Teil in Rechtsprechung und Literatur – die Auffassung, dass der fiktive Schadensersatz zwecks Vermeidung einer unzulässigen Schadensbereicherung dann auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten begrenzt sei, wenn eine sach- und fachgerechte Reparatur in dem Umfang erfolgt sei, welchen der Sachverständige für notwendig gehalten habe. In diesem Fall sei die Darlegung der tatsächlichen Reparaturkosten oder die Vorlage der Reparaturrechnung seitens des Geschädigten erforderlich.
Nach Auffassung des BGH verkenne diese Ansicht jedoch die Tragweite der Ersetzungsbefugnis sowie die Dispositionsfreiheit des Geschädigten nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Maßgebend sei für den nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zu leistenden Ersatz allein der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag, nicht die tatsächlich vom Geschädigten aufgewendeten Reparaturkosten. Folglich müsse der Geschädigte weder darlegen, dass er sein Fahrzeug habe reparieren lassen noch auf welche Art und Weise und in welchem Umfang dies erfolgt ist.
Etwas Anderes folge laut dem BGH auch nicht aus einem Urteil des BGH aus 2013 (BGH, Urt. vom 3.12.2013 – VI ZR 24/13). Zwar habe der BGH hierin ausgeführt, dass auch im Rahmen einer fiktiven Schadensberechnung der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag auf die tatsächlich angefallenen Bruttokosten begrenzt sei, wenn der Geschädigte das Fahrzeug im vom Sachverständigen für erforderlich gesehenen Umfang hat reparieren lassen und diese hinter den vom Sachverständigen ermittelten Kosten zurückbleiben. Allerdings habe hier die Besonderheit bestanden, dass der Geschädigte selbst auf eine mühelos und ohne Weiteres zugängliche Fachwertstatt sowie die darin durchgeführte Reparatur verwiesen habe. Damit habe er das Vorliegen der Voraussetzungen der Schadensminderungspflicht selbst eingeräumt.
Im vorliegenden Fall habe der Kläger zu einer gleichwertigen, aber günstigeren Reparaturmöglichkeit in einer ihm mühelos und ohne Weiteres zugänglichen Fachwerkstatt allerdings nicht vorgetragen. Die vom Kläger in der Türkei gewählte Werkstatt stelle mangels müheloser Zugänglichkeit vom Wohnsitz des Klägers zudem von vorneherein keine Werkstatt dar, auf welche der Beklagte den Kläger hätte verweisen können.
(BGH, Urteil vom 28.1.2025 – VI ZR 300/24)

Melden Sie sich hier zu unserem GvW Newsletter an - und wir halten Sie über die aktuellen Rechtsentwicklungen informiert!