Juli 2022 Blog

Folgen der angespannten Liefersituation bei Gas für Lieferanten und Verbraucher

Aufgrund der seit einigen Monaten angespannten Situation auf dem Gasmarkt in der Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die Bundesregierung am 30. März 2022 die Frühwarnstufe und am 23. Juni 2022 die Alarmstufe des auf der Internetseite des BMWK abrufbaren „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland“ ausgerufen. Unabhängig davon, ob die Bundesregierung als dritte und letzte Stufe die sog. Notfallstufe des nationalen Notfallplan Gas ausruft, ist trotz aller derzeitigen Bemühungen in den Wintermonaten ein Gasmangel nicht mehr auszuschließen. In diesem Beitrag wird kurz skizziert, mit welchen Mitteln die Bundesregierung eine Gasknappheit zu verhindern versucht und wie sich ein Gasmangel auf die Belieferung der Gasverbraucher auswirken wird.

A. Versuche zur Verhinderung einer drohenden Gasknappheit

I. Maßnahmen der Bundesregierung

Bereits kurz nach Kriegsbeginn hat die Bundesregierung begonnen, politisch die Tür zur Erschließung neuer Gasbezugsquellen sowie zur Erhöhung des Gasbezugs aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien zu öffnen. Zugleich wird die Schaffung der notwendigen Infrastrukturen in Deutschland für einen künftigen Bezug von flüssigem Erdgas (LNG) erheblich forciert. Seit Ende April 2022 gelten zudem gesetzliche Vorgaben für Füllstände in deutschen Gasspeichern für die kommenden Wintermonate. Die Trading Hub Europe, ein Gemeinschaftsunternehmen der deutschen Fernleitungsnetzbetreiber, das verantwortlich ist für den Betrieb des deutschen Marktgebiets, wurde mit der Beschaffung weiterer Gasbezugsoptionen betraut, unter anderem um die Einspeicherung von Gas zu unterstützen. Erst jüngst ermöglichte der Gesetzgeber mit dem Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz außerdem die Rückkehr von Kohle- und Ölkraftwerken in den Strommarkt, um den Gasverbrauch zur Stromerzeugung zu reduzieren. Mit diesem Gesetz sind auch zusätzliche Verordnungsermächtigungen zur weiteren Reduzierung des Gasverbrauchs eingeführt worden.

II. Einsparmaßnahmen auf Grund gesetzlichen Zwangs

Kontrovers diskutiert wird derzeit die Frage, ob der Staat das Einsparen von Gas durch die Letztverbraucher auch mit Zwangsmaßnahmen herbeiführen soll, wie z.B. mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Drosselung der Heizungstemperatur für Wohnungen. Nach dem am 20. Juni 2022 von der EU-Kommission vorgestellten „Plan zur Senkung der Gasnachfrage“ sollen jedenfalls die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, ihren Gasverbrauch bis März 2023 um 15 % zu senken. Ob dieser Vorschlag der Kommission vom Rat angenommen wird, bleibt abzuwarten. Mit noch größerer Spannung wird man aber beobachten müssen, ob und ggfls. welche Zwangsmaßnahmen der deutsche Gesetzgeber zum Einsparen von Gas einführen wird.

B. Auswirkungen der drohenden Gasknappheit auf Gasverbraucher

Trotz größter Anstrengungen aller Marktteilnehmer besteht derzeit wenig Hoffnung, dass das Risiko einer Gasmangellage in den Wintermonaten vollständig eliminiert werden kann. Dies wird sich sowohl mengenmäßig als auch kostenmäßig auf Letztverbraucher von Gas auswirken.

I. Mengenmäßige Auswirkungen

Mit Blick auf die mengenmäßigen Auswirkungen einer drohenden Gasknappheit in Deutschland ist zunächst wichtig zu wissen, dass Gasversorgungsunternehmen auf jeder Stufe des Notfallplan Gas gemäß des derzeit geltenden § 53a EnWG verpflichtet sind, die Versorgung von bestimmten Kundengruppen mit Gas sicherzustellen. Zu diesen Kunden gehören neben grundlegenden sozialen Diensten, wie zum Beispiel Krankenhäusern, vor allem Letztverbraucher, die Gas überwiegend für den Eigenverbrauch im Haushalt oder für den Jahresverbrauch von 10.000 kWh nicht übersteigenden Eigenverbrauch für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke kaufen. Geschützt sind außerdem auch sogenannte lastprofilversorgte Kunden, also Letztverbraucher, an die stündlich maximal 500 kWh und jährlich maximal 1,5 Millionen kWh Gas ausgespeist werden. Derzeit wird allerdings kontrovers diskutiert, ob und inwieweit der Schutz dieser Kundengruppen zu Gunsten der Industrie geändert werden soll und kann.

Für alle Kundengruppen gilt aber mit der am 23. Juni 2022 ausgerufenen Alarmstufe, dass Gaslieferanten nicht ohne weiteres wegen eines Gasmangels die Lieferung verweigern können. Möchte ein Gaslieferant ein gesetzliches oder vertragliches Leistungsverweigerungsrecht ausüben und dies mit dem Ausfall oder der Reduzierung von Gaslieferungen unter von ihm abgeschlossenen Lieferverträgen begründen, so setzt dies nach § 27 EnSiG die Genehmigung der Bundesnetzagentur voraus, es sei denn der Gaslieferant kann nachweisen, dass eine Ersatzbeschaffung, unabhängig von den Kosten, unmöglich ist oder der Handel mit Gas für das deutsche Marktgebiet an der EEX ausgesetzt ist.

II. Kostenmäßige Auswirkungen

Auch wenn vor diesem Hintergrund nach derzeitiger Rechtslage das Risiko einer mengenmäßigen Beschränkung der Gaslieferung reduziert und im Idealfall sogar ausgeschlossen werden kann, so wird sich für jeden Letztverbraucher früher oder später eine (weitere) Kostensteigerung des Gasbezugs nicht vermeiden lassen. Denn die Gaslieferanten sehen sich seit Monaten mit kontinuierlich steigenden Beschaffungskosten konfrontiert.

Bislang erfolgt die Weitergabe der gestiegenen Gasbeschaffungskosten von den Lieferanten an ihre Kunden über das klassische Instrumentarium der Preisanpassungsklauseln, soweit diese in den einzelnen Vertragsverhältnissen nicht bei Festpreisvereinbarungen ausgeschlossen sind. Der Ausschluss von Preisanpassungsklauseln und der teilweise erhebliche Zeitverzug der Kostenweitergabe bei anwendbaren Preisanpassungsklauseln führt bei vielen Lieferanten aber zu erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten. Im Einzelfall, vor allem bei Großkunden und langfristigen Lieferverträgen, kann daher eine Preisanpassung auch über die so genannte allgemeine Wirtschaftsklausel oder die in § 313 BGB normierten Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen.

Die Möglichkeit, gestiegene Beschaffungskosten an die Gasverbraucher weiterzugeben gewinnt auf Grund der Auswirkungen auf die Liquidität noch mehr an Bedeutung, wenn der Bund, anders als jüngst bei Uniper, keine Stabilisierungsmaßnahmen nach § 29 EnSiG ergreift und die Gaslieferanten auch anderweitig keine Unterstützung erhalten, die Stadtwerke beispielsweise von den Ländern und Kommunen. Wichtig werden dann vor allem die in den §§ 24 und 26 EnSiG vorgesehenen gesetzlichen Regelungen zur Preisanpassung, die auch nach Ausrufung der Alarmstufe oder Notfallstufe unter bestimmten Voraussetzungen angewendet werden dürfen. Wichtigste Voraussetzung für die beiden alternativen Instrumente ist, dass die BNetzA das Vorliegen einer erheblichen Reduzierung der Gesamtgasimportmenge nach Deutschland festgestellt hat.

Nach § 24 EnSiG erhalten nach entsprechender Feststellung alle von der Reduzierung der Gesamtgasimportmenge unmittelbar durch Lieferausfälle oder mittelbar durch Preissteigerungen ihres Lieferanten infolge der Lieferausfälle betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette das vertraglich nicht ausschließbare Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen. Wird davon Gebrauch gemacht, kommt die Geltendmachung anderer vertraglicher Preisanpassungsrechte nicht mehr in Betracht. Der Kunde hat in diesem Fall das Recht, seinen Gasliefervertrag unmittelbar nach Zugang der Preisanpassungsmitteilung außerordentlich zu kündigen.

Die in der Branche bevorzugte und auch wahrscheinlichere Option einer Preisweitergabe bietet § 26 EnSiG. Mit dieser Regelung wird die Möglichkeit eröffnet, dass die gestiegenen Beschaffungskosten sozialisiert und über eine Umlage auf alle Gasverbraucher umgelegt werden. Grundlegende Voraussetzung für diese Alternative ist allerdings der Erlass einer entsprechenden Rechtsverordnung. Deren Inkrafttreten würde dann auch die Ausübung des Preisanpassungsrechts nach § 24 EnSiG ausschließen. Eine solche Rechtsverordnung wird von der Bundesregierung derzeit wohl erarbeitet und ihre inhaltliche Ausgestaltung wird mit Spannung erwartet.

C. Handlungsempfehlung

Alle Gasverbraucher sollten unabhängig von der Einführung gesetzlicher Zwangsmaßnahmen überlegen, wie sie ihren Verbrauch reduzieren können. Denn je geringer die Gasknappheit in den Wintermonaten ausfällt, desto geringer werden die Mengeneinschränkungen und Kostensteigerungen sein. Kostensteigerungen werden sich aber keinesfalls verhindern lassen, so dass dieser Umstand bei allen Gasverbrauchern frühzeitig in der Finanzplanung für das kommende Jahr berücksichtigt werden sollte.

Gasverbraucher, die nicht zu einer der geschützten Kundengruppen im Sinne des § 53a EnWG gehören, sollten sich zudem mit verschiedenen Szenarien einer verringerten Gasbelieferung auseinandersetzen und ggfls. ihren Netzbetreiber sowie die zuständigen Behörden über die Ergebnisse in Kenntnis setzen.

 

 

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