Gamechanger in der Sportschiedsgerichtsbarkeit?
Mit Urteil vom 1. August 2025 (C‑600/23, RFC Seraing / FIFA) hat der EuGH den Rechtsschutz in der internationalen Sportschiedsgerichtsbarkeit deutlich gestärkt. Die Entscheidung reiht sich ein in die jüngste EuGH-Rechtsprechung – etwa zu International Skating Union/Kommission (C-124/21) und zur European Super League (C-333/21) –, die klarstellt, dass Sportverbände bei der Organisation von Wettbewerben den Grenzen des europäischen Wettbewerbsrechts unterliegen und ihre Regelwerke nicht missbräuchlich zur Marktabschottung einsetzen dürfen.
Hintergrund
Der Court of Arbitration for Sport (CAS) mit Sitz in Lausanne ist die zentrale Instanz für Streitigkeiten im internationalen Sport und galt lange als nahezu unantastbar. Kritisch gesehen wird dies vor allem aus zwei Gründen: Zum einen fehlt es häufig an echter Freiwilligkeit, da Vereine und Athleten eine CAS-Schiedsvereinbarung unterzeichnen müssen, wenn sie an bestimmten Wettbewerben teilnehmen wollen. Zum anderen entziehen sich CAS-Schiedssprüche bislang einer letztinstanzlichen Überprüfung durch europäische Gerichte.
Sachverhalt
Die FIFA verhängte gegen den belgischen Fußballverein RFC Seraing eine Transfersperre und eine Geldstrafe, weil der Verein gegen bestimmte FIFA-Regeln, konkret gegen das Verbot der sog. Dritteigentümerschaft (Third-Party-Ownership), verstoßen hatte.
Die hiergegen gerichtete Berufung des RFC Seraing vor dem CAS blieb erfolglos, insbesondere bestätigte der CAS die Vereinbarkeit der FIFA-Regeln mit dem Unionsrecht. Auch das Schweizer Bundesgericht wies die anschließende Beschwerde des RFC Seraing gegen den CAS-Schiedsspruch zurück.
Parallel klagte RFC Seraing vor belgischen Gerichten auf Feststellung der EU-Rechtswidrigkeit der FIFA-Regelung; das belgische Gericht sah den CAS-Schiedsspruch jedoch durch die Entscheidung in der Schweiz als rechtskräftig an.
Der Belgische Kassationsgerichtshof rief daraufhin den EuGH an, um zu klären, ob es mit EU-Recht – insbesondere Art. 19 EUV i. V. m. Art. 267 AEUV und Art. 47 EU-Grundrechtecharta – vereinbar ist, einem von einem Drittstaat überprüften Schiedsspruch unionsrechtliche Rechtskraft beizumessen.
Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat die Überprüfbarkeit von CAS-Schiedssprüchen nach EU-Recht bekräftigt. Das Gericht stellte klar, dass der Rückgriff auf ein Schiedsverfahren die fundamentalen EU-Rechte von Athleten, Clubs und weiteren wirtschaftlich tätigen Akteuren im Sport nicht beeinträchtigen darf. CAS-Schiedssprüche müssen daher einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen, um die Einhaltung grundlegender Verfahrensrechte und die Vereinbarkeit mit zwingendem EU-Recht sicherzustellen – insbesondere, wenn die Entscheidung die Ausübung von Grundfreiheiten oder den Wettbewerb im Binnenmarkt berührt.
Damit können CAS-Schiedssprüche nicht nur vom Schweizer Bundesgericht, sondern auch von nationalen EU-Gerichten auf Verstöße gegen die öffentliche Ordnung der Union überprüft werden. Während der EuGH insofern nicht dem weitreichenden Vorschlag der Generalanwältin folgte, stellte er klar, dass jedenfalls das europäische Kartellrecht (Art. 101 ff. AEUV) und die Grundfreiheiten (Art. 45 ff. AEUV) Teil der öffentlichen Ordnung der Union sind und von den EU-Gerichten überprüft werden können. Auch einstweiliger Rechtsschutz muss vor nationalen Gerichten möglich sein. Verbandsregeln wie die FIFA-Regeln, die dies ausschließen, dürfen nicht angewendet werden.
Gleichzeitig bestätigte der EuGH die grundsätzliche Zulässigkeit des Schiedszwangs im Sport: In Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung stellt er ausdrücklich klar, dass die CAS-Schiedsvereinbarung von den Verbänden dem Einzelnen „einseitig aufgezwungen“ werde. Dies könne jedoch grundsätzlich durch legitime Ziele des Sports, „wie beispielsweise der Gewährleistung einer einheitlichen Behandlung von Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der in ihre Zuständigkeit fallenden Sportdisziplin oder der Ermöglichung einer kohärenten Auslegung und Anwendung der für diese Disziplin geltenden Regeln“ gerechtfertigt und somit zulässig sein. Die Bindung an den CAS dürfe jedoch nicht dazu führen, dass der Zugang zu effektivem Rechtsschutz nach EU-Recht ausgeschlossen wird.
Einordnung
Das Urteil bedeutet wohl nicht das Ende des CAS als maßgebliche Schiedsinstanz im internationalen Sport. Gleichwohl markiert es einen Wendepunkt: Der EuGH stößt die Tür für eine Überprüfung von CAS-Schiedssprüchen durch nationale EU-Gerichte weit auf. Damit wird das bisherige System der alleinigen Überprüfung durch das Schweizer Bundesgericht, welches keinen wirksamen Rechtsschutz nach EU-Recht gewährleistet, durchbrochen.
Spannend bleibt, wie der CAS reagieren wird. Eine denkbare Reaktion könnte darin liegen, neben dem aktuellen Schiedsort in Lausanne zusätzliche Schiedsorte innerhalb der EU im CAS-System einzuführen. Damit könnte die Überprüfung von CAS-Schiedssprüchen durch EU-Gerichte hergestellt werden. Ein vergleichbares Vorgehen hat der europäische Fußballverband, die UEFA, in Reaktion auf die eingangs erwähnten EuGH-Urteile bereits umgesetzt und Dublin neben Lausanne als möglichen Schiedsort in seine Verfahrensregeln aufgenommen.

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