Guter Preis bleibt nicht guter Preis – BGH erteilt vorkalkulatorischer Preisfortschreibung eine Absage
Guter Preis bleibt nicht guter Preis – BGH erteilt vorkalkulatorischer Preisfortschreibung eine Absage
§ 2 Abs. 3 VOB/B regelt die Konsequenzen von Massenänderungen für den vereinbarten Preis beim Einheitspreisvertrag. Wie die Vergütungsanpassung bei Mehrmengen vorzunehmen ist, wenn keine Einigung über den neuen Einheitspreis zustande kommt, ist jedoch nicht geregelt.
Nach nahezu einhellig vertretener Auffassung in Rechtsprechung und Literatur galt seit Jahrzenten die sogenannte Korbion’sche Preisformel: „Guter Preis bleibt guter Preis, schlechter Preis bleibt schlechter Preis.“
Mit seiner Entscheidung vom 8. August 2019 hat der BGH dem nun für Mehrmengen eine Absage erteilt. Für die Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen sollen nicht die vom Auftragnehmer kalkulierten, sondern die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich sein, wenn sich die Parteien nicht anderweitig einigen.
Sachverhalt
Der Auftraggeber beauftragte den Auftragnehmer unter Einbeziehung der VOB/B mit Abbrucharbeiten. Vom Angebot umfasst war unter anderem die Leistung „Entsorgung von Bauschutt“ für die ausgeschriebene Menge von einer Tonne zu einem Einheitspreis von netto 462,00 EUR pro Tonne.
Tatsächlich hatte der Auftragnehmer jedoch nicht nur eine Tonne, sondern 83,92 Tonnen zu entsorgen. Mit der Schlussrechnung beanspruchte der Auftragnehmer hierfür den Einheitspreis von 462,00 EUR pro Tonne, insgesamt netto 38.771,13 EUR. Die tatsächlichen Kosten für die Entsorgung beliefen sich jedoch auf lediglich 92,00 EUR pro Tonne. Auf dieser Grundlage berechnete der Auftraggeber unter Berücksichtigung des Kalkulationszuschlages des Auftragnehmers von 20% auf Fremdkosten einen Einheitspreis von 109,88 EUR pro Tonne. Das Berufungsgericht sprach dem Auftragnehmer einen Einheitspreis von 150,40 EUR pro Tonne zu und wies die Klage im Übrigen ab. Dabei setzte es die vom Auftraggeber errechneten tatsächlichen Kosten inkl. Zuschlag (= 110,40 EUR) zuzüglich der dem Auftragnehmer pro Tonne selbst entstehenden Verladekosten in Höhe von 40,00 EUR pro Tonne an. an. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Auftragnehmer seinen zweitinstanzlichen Klageantrag, mit dem er einen Einheitspreis von 406,00 EUR pro Tonne begehrt, weiter.
Entscheidung
Der BGH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Sinn und Zweck des § 2 Abs. 3 VOB/B sei es sicherzustellen, dass sich Leistung und Gegenleistung auch bei einer Überschreitung der im Einheitspreis vorgesehenen Mengen angemessen gegenüberstünden. Wie die Vergütungsanpassung vorzunehmen sei, regele die Norm hingegen nicht, die VOB/B lege die Verantwortung hierfür in die Hände der Parteien. Dies begründe einen vertraglichen Anspruch auf Einwilligung in einen neuen Preis, wobei die Parteien zur Kooperation verpflichtet seien.
Abgesehen von der in § 2 Abs. 3 VOB/B vorgesehenen Einigung könnten die Parteien sich sowohl bei Vertragsschluss für den ungewissen Fall, dass Mengenmehrungen eintreten, als auch nachträglich, über einzelne Teilelemente der Preisbildung verständigen. Sei dies nicht der Fall, enthalte der Vertrag eine Lücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen sei. Dem stehe auch nicht entgegen, dass es sich bei der VOB/B um Allgemeine Geschäftsbedingungen handele, denn auch diese könnten eine planwidrige Regelungslücke enthalten und einer ergänzenden Vertragsauslegung zugänglich sein. Danach sei entscheidend, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Es entspreche der Redlichkeit und dem bestmöglichen Ausgleich der beiderseitigen Interessen, dass durch die unvorhergesehene Veränderung keine der Parteien einer Besser- oder Schlechterstellung erfahren solle. Es gelte auf Seiten des Auftragnehmers eine nicht auskömmliche Vergütung zu vermeiden und auf Seiten des Auftraggebers eine übermäßige Belastung zu verhindern.
Dies zu Grunde gelegt ergebe sich der neue Preis durch die tatsächlich angefallenen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge. Im vorliegenden Fall hatten die Parteien eine Vereinbarung hinsichtlich des GU-Zuschlags getroffen, im Übrigen sei auf die durch den Nachunternehmer unmittelbar verursachten Kosten abzustellen.
Praxishinweis
Zunächst stellt sich die Frage, ob sich diese Gedanken des VII. Zivilsenats auch auf den Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B übertragen lassen. Der Wortlaut des § 2 Abs. 5 VOB/B, wonach ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren ist, entspricht dem des § 2 Abs. 3 VOB/B, so dass eine unterschiedliche Bemessungsgrundlage nicht angezeigt ist und die Rechtsprechung entsprechend zu übertragen ist.
§ 2 Abs. 6 VOB/B hingegen sieht die Bemessung der Vergütung für eine zusätzliche Leistung nach den Grundlagen der Preisermittlung für die vertragliche Leistung vor, allerdings mit dem Zusatz: „und den besonderen Kosten der zusätzlichen Leistung“. MitUrteil vom 27. August 2019 (Az. 21 U 160/18, nicht rechtskräftig) hat das KG auch für Ansprüche aus § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B als Grundlage die tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten, die dem Unternehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen, angenommen. Die Preiskalkulation des Unternehmers sei nur ein Hilfsmittel bei der Ermittlung dieser Kostendifferenz. Im Streitfall komme es nicht auf die Kosten an, die der Unternehmer in seiner Kalkulation angesetzt habe, sondern auf diejenigen, die ihm bei Erfüllung des nicht geänderten Vertrags tatsächlich entstanden wären bzw. aufgrund der Leistungsänderung tatsächlich entstünden. Entsprechend dem BGH (Urteil vom 10. September 2009, Az. VII ZR 152/08) handele es sich bei der Kalkulation des Unternehmers nicht um eine Geschäftsgrundlage des Bauvertrages und werde selbst dann nicht vom Besteller in seinen Geschäftswillen aufgenommen, wenn sie bei Auftragserteilung offengelegt werde. Es gehe darum, eine Methode der Preisermittlung zu vermeiden, die Preisspekulation ermögliche. Der Wortlaut von § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B sei ebenso wenig eindeutig wie der des § 2 Abs. 3 VOB/B und deshalb entsprechend auszulegen.
Allerdings diene die Kalkulation dazu, die Kosten anzugeben, die dem Unternehmer durch die Vertragsdurchführung entstünden. Daraus folge: Soweit die Kalkulation, auf die sich ein Unternehmer in einem Rechtsstreit bezieht, unstreitig bleibe, sei die von ihm auf dieser Grundlage errechnete Mehrvergütung im Zweifel auf Grundlage seiner tatsächlichen Mehrkosten ermittelt und also maßgeblich nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B.
Dies ist auch konsequent und steht im Einklang mit der Regelung des § 650c Abs. 2 BGB, wonach vermutet wird, dass die hinterlegte Urkalkulation den tatsächlichen Kosten entspricht. Nichts anderes kann gelten, wenn die Kalkulation zwischen den Parteien aus anderem Grunde unstreitig ist. Auch die Übertragung auf § 2 Abs. 6 VOB/B erscheint sachgemäß, da eine Unterscheidung zwischen § 2 Abs. 5 und § 2 Abs. 6 VOB/B in der Praxis häufig Schwierigkeiten bereitet. Zudem handelt es sich bei § 2 Abs. 6 VOB/B um die Vergütung für im Vertrag nicht vorgesehene Leistungen, für die eine Ermittlung nach den Grundsätzen der Preisfortschreibung bisher ohnehin schwer möglich war.
Um bereits bei Vertragsschluss Kostensicherheit zu erzielen, kann es sich anbieten eine anderslautende Vereinbarung für Mehrmengen im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B zu treffen.
Im Hinblick auf das Urteil des KG und den identischen Wortlaut des § 2 Abs. 5 VOB/B ist dies auch für geänderte und zusätzliche Leistungen zu empfehlen. Dabei wird es aber kaum ausreichen, in vorformulierten Vertragsbedingungen eine vorkalkulatorische Preisfortschreibung zu vereinbaren – dies dürfte im Hinblick auf § 2 Abs. 5 VOB/B und § 2 Abs. 6 VOB/B unwirksam sein, da auch § 650c Abs. 1 BGB die Vergütungsanpassung nach den tatsächlich erforderlichen Kosten vorsieht. § 650c BGB soll zwar nicht für Mehrmengen gelten, die nicht auf einer Anordnung des Auftraggebers beruhen. Im Hinblick auf den identischen Wortlaut von § 2 Abs. 5 und § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B erscheint eine unterschiedliche Betrachtung insofern jedoch unangemessen.
Die Regelung des § 650c BGB hat den Hintergrund, dass keine der Vertragsparteien durch die Veränderung der auszuführenden Leistungen besser oder schlechter gestellt werden soll. Die vorkalkulatorische Preiskalkulation kann aber gerade hierzu führen. Deshalb sollten die Parteien lediglich einzelne Berechnungsparameter verbindlich vereinbaren.
Allerdings sollte eine Berechnung anhand der Urkalkulation dann weiterhin möglich sein, wenn der Auftragnehmer seine Urkalkulation bei Vertragsschluss hinterlegt oder diese auf andere Weise unstreitig gestellt wird durch die Parteien (§ 650c Abs. 2 BGB). Dies ist dem Auftragnehmer nicht nur vor dem Hintergrund seiner Vergütungsansprüche für Mehrmengen und Nachträge, sondern auch vor dem Hintergrund etwaiger Behinderungen zu raten.
BGH, Urteil vom 8. August 2019 – Az. VII ZR 34/18
Dr. Jeanette Abel und Alena Danilow, Rechtsanwältinnen
beide Hamburg