November 2018 Blog

IP in der Industrie 4.0 – (Dawning Of A) New Era

Der Schutz von Technologien und Geschäftsmodellen in der Industrie 4.0 erfordert ein grundlegendes Umdenken und die aktive Verfolgung einer maßgeschneiderten IP-Strategie. „IP Management“ ist das Schlagwort der Stunde. 

One Step Beyond 

Industrie 4.0 bedeutet zunächst Digitalisierung der industriellen Produktion, und zwar im Sinne und im Wege einer Verzahnung der Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik. Im Weiteren und daraus folgend bedeutet Industrie 4.0 eine Erweiterung der Systemgrenzen: Nutzen und Wert eines Produkts sind nicht (ausschließlich/im Wesentlichen) in diesem selbst verkörpert, sondern folgen insbesondere aus dessen Nutzbarkeit als Plattform (Beispiel: Mobiltelefon) oder aus der Nutzung des Produkts in einem größeren systemischen Kontext (Beispiele: Traktoren und Geräte in der digitalen Landwirtschaft; 3D-Drucker). Der Hersteller wird damit zum Systemanbieter. Kaufmännisch wird der Schwerpunkt der Wertschöpfung (in Teilen) verlagert von der einmaligen Vergütung beim Erwerb des Produkts hin zur dauerhaften Vergütung für wiederkehrende Leistungen.

You’re Wondering Now

In immaterialgüterrechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage der Schutzfähigkeit entsprechender Leistungen und auf solchen beruhender Geschäftsmodelle. Zu denken ist insbesondere an das Patent als technisches Schutzrecht, für das neben dem Erfordernis der Neuheit dementsprechend insbesondere die Voraussetzung der Technizität gilt, die Lehre des Patents muss also technischer Natur sein (für das Gebrauchsmuster gilt entsprechendes). Nach der Rechtsprechung des BGH ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn es sich um „eine (…) erfinderische Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs“ handelt (Beschluss vom 27.03.1969 - X ZB 15/67 (BPatG) – Rote Taube). Daraus folgt, dass Software als solche nicht patentierbar ist. Auf eine computerimplementierte Erfindung wird vielmehr nur dann ein Patent erteilt, wenn damit eine technische Aufgabe gelöst wird. Dies ist regelmäßig bei so genannter „embedded software“ der Fall (vgl. zur Frage der Patentierbarkeit von Erfindungen in der Industrie 4.0 auch die instruktive Abhandlung des Europäischen Patentsamts Patents and the Fourth Industrial Revolution - The inventions behind digital transformation | December 2017

It’s Up to You 

Hersteller bzw. Anbieter stehen als Folge vor der Aufgabe, insbesondere Produkte zum Schutz ihrer Technologien und Geschäftsmodelle „patentierbar“ zu machen. Dies bedeutet, dass es anders als in der Industrie 3.0 nicht genügt, schlicht darauf zu warten, bis die Entwicklungsabteilung eine Erfindung meldet. Erfindungen im digitalen Kontext müssen vielmehr generiert, d.h. es müssen aktiv schutzfähige Produkte, insbesondere patentierbare Verfahren, entwickelt werden. Dies setzt ein insbesondere frühzeitiges Zusammenwirken verschiedener Abteilungen voraus, so je nach Organisation von F&E, Produktentwicklung, Patentabteilung, Marketing, Vertrieb, Rechtsabteilung etc.. IP ist damit nicht – mehr oder minder zufälliges – Ergebnis von Forschung und Entwicklung, sondern maßgebliches Motiv schon ab einem frühen Stand der Überlegungen. IP wird daher in weiten Teilen der (klassischen) Industrie auch eine zunehmende Bedeutung zugeschrieben.

Do Nothing

Die gegenläufige Auffassung erkennt in Patenten und den sonstigen Immaterialgüterrechten in der Industrie 4.0 nur noch einen eingeschränkten Wert. Diese Einschätzung gründet zum einen auf der Besorgnis, dass insbesondere Patente auf Grundlage der stetig wachsenden Menge an Information zunehmend einfacher angegriffen werden können, sich also aus einem entlegenen Winkel des Internets irgendeine neuheitsschädliche Information hervorziehen lässt, mit der das Patent zu Fall gebracht werden kann, während die Patentämter im Rahmen der Patentprüfung nur registerlich erfasste Informationen berücksichtigen. Zum anderen sieht diese Auffassung den Schwerpunkt der Industrie 4.0 nicht in technischen Entwicklungen, sondern in Daten. Da es kein Eigentum an Daten gibt, folgt hieraus die Auffassung, dass die Hauptaufgabe darin besteht, sich den Zugang zu Daten zu sichern.

Danger

Diese Auffassung ist offenkundig ausgerichtet auf Geschäftsmodelle, die auf Big Data/Smart Data gründen, passt jedoch auf die Bedürfnisse der in weiten Teilen nach wie vor durch Produktion geprägten deutschen Industrielandschaft eher nicht. Denn für die produzierende Industrie geht es nicht nur um den Schutz eigener Leistungen. Es geht vielmehr auch darum, nicht an deren Auswertung durch Schutzrechtsanmeldungen Dritter gehindert zu werden. Aber auch im Dienstleistungsbereich zeigt diese Auffassung Schwächen, jedenfalls dann, wenn beispielsweise ein Dritter ein Verfahren zum Patent anmeldet, das Gegenstand des eigenen Geschäftsbetriebs ist.

Our House

Ist also zu erwarten, dass irgendjemand anmeldet, sollte man die Anmeldung lieber selbst machen. Damit lassen sich zumindest defensive Strukturen aufbauen, die u.U. auch als Verhandlungsmasse dienen können. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass oftmals gar nicht absehbar ist, woher die Gefahr droht: War der Kreis der Wettbewerber in der Vergangenheit eingrenzbar, erschließt sich nun möglicherweise ein FAAMG-Player ein neues Geschäftsfeld, das in (technologischer) Konkurrenz zu einem Unternehmen steht, das bislang keine Berührungspunkte mit der Plattformökonomie hatte. Auch hört man von Fällen, in denen ein Kunde Verfahrenspatente unter Einschluss des Produkts des Herstellers angemeldet hat. Insbesondere im Vorfeld entsprechender Anmeldungen ist daher an Vertraulichkeitsvereinbarungen (etwa mit Interessenten und Kunden) zu denken, ferner auch an die Hinterlegung aussagekräftiger Unterlagen beim Notar vor einem Kundentermin.

Blank Expression

Werden Erzeugnisse an Endverbraucher vertrieben, ist noch ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen: Die gewerblichen Schutzrechte, darunter insbesondere das Patent, schützen vor Handlungen im privaten Rahmen zu persönlichen Zwecken nicht. Der Rechteinhaber eines patentgeschützten Erzeugnisses kann sich damit also nicht dagegen wehren, dass sein Produkt unter Nutzung additiver Fertigungstechnologien (3D-Druck) von einer Privatperson nachgebaut wird, solange dies nicht zu geschäftlichen Zwecken geschieht. Je höher dieses Gefahrenpotential eingeschätzt wird, umso eher sollte über alternative Schutzstrategien nachgedacht werden. Diese können nicht ohne weiteres nachvollziehbare Geometrien oder gar den Umstieg auf den Vertrieb von Datensätzen bedeuten.

Hit It

Relevanz und Tragweite vorstehender Erwägungen variieren stark nach Branche und Anwendung, so auch die Freiheitsgrade bei der Wahl der Strategie. Die Industrie 4.0 verändert aber nicht nur die Produktion, sondern die gesamte Kette der Wertschöpfung, von der Entwicklung über Fertigung und Nutzung bis u.U. sogar zur Entsorgung eines Produkts. Die in weiten Teilen rasanten Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass beizeiten gehandelt werden muss. Das neue Zeitalter hat bereits begonnen.

Christian Kusulis, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main 

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