März 2021 Blog

Kein Nachbar­schutz für Eigen­tümer von durch Natura 2000-Vorschriften ge­schützten Flächen

Eigentümer von Grundstücken, die in einem Natura 2000-Gebiet liegen, sind nicht berechtigt, einen Verstoß gegen Vorschriften des Gebietsschutzes zu rügen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig entschied mit Urteil vom 17. Februar 2021, dass die Vorschriften über den Schutz von Natura 2000-Gebieten keinen Drittschutz vermitteln.

Hintergrund

Natura 2000 ist ein EU-weites Netz von Schutzgebieten zur Erhaltung gefährdeter oder typischer Lebensräume und Arten. Es setzt sich zusammen aus den Schutzgebieten der Vogelschutz-Richtlinie (Richtlinie 2009/147/EG) und der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG), die ein umfassendes naturschutzrechtliches Instrument zum Lebensraum- und Artenschutz bilden. FFH-Gebiete werden von den Ländern ausgewählt und der Kommission zur Anerkennung als besonderes Schutzgebiet übermittelt (vgl. § 32 BNatSchG und Art. 4 der FFH-Richtlinie).

Sachverhalt

Anlass der Entscheidung war die Anfechtung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, eine Asphaltmischanlage zu errichten und zu betreiben. Kläger ist ein Eigentümer benachbarter Grundstücksflächen, die zum Natura 2000-Gebiet (FFH-Gebiet) „Obere Schwentine“ in Schleswig-Holstein gehören. Er sah Naturschutz- und zwingendes Habitat- und Artenschutzrecht verletzt und rügte u.a. die Unzulänglichkeit einer FFH-Verträglichkeitsstudie. Als „betroffener Einzelner“ mit Blick auf angrenzende und unter FFH-Schutz stehende Eigentumsflächen könne er eine Verletzung entsprechender Vorschriften geltend machen; insoweit sei er klagebefugt.

Vorinstanzliche Entscheidungen

Das VG und das OVG Schleswig hatten die auf Aufhebung der Genehmigung gerichtete Klage abgewiesen. Sie stützten die Klageabweisung darauf, dass die Vorschriften, gegen die die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Asphaltmischanlage aus Sicht des Klägers verstieß, nicht den nötigen Drittschutz vermitteln. Insoweit ist Voraussetzung für das Klagerecht natürlicher Personen, dass eine eigene subjektiv-öffentliche Rechtsverletzung vorliegt. In den Fällen einer Drittanfechtung (ein anderer als der Adressat des Verwaltungsakts ficht diesen an) können nur Verstöße drittschützender Normen gerügt werden.

Die natur- und artenschutzrechtlichen Vorschriften erfüllen diese Anforderungen aus Sicht der Instanzgerichte nicht. Weder die nationalen Artenschutzvorschriften noch die Vorschriften der FFH-Richtlinie räumten Privaten drittschützende Rechte auf Einhaltung der habitat- und artenschutzrechtlichen Regelungen ein. Ziel der FFH-Richtlinie sei es, zur Sicherung der Artenvielfalt beizutragen sowie die natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten zu bewahren (Art. 2 Abs. 1 und 2 FFH-Richtlinie). Die Unterschutzstellung von in seinem Eigentum stehenden Flächen verleihe dem Kläger als Eigentümer aber gerade keine eigenen Abwehrrechte. Die Überwachung der Einhaltung dieser Vorschriften obliege den für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden.

Es sei auch nicht unionsrechtlich geboten, die Berufung auf eine Verletzung der Arten- und Habitatschutzvorschriften, insbesondere auf die europäische FFH-Richtlinie, weitergehend zu ermöglichen.

Entscheidung des BVerwG

Das BVerwG bestätigte die vorinstanzlichen Entscheidungen und wies die Revision ab. Auch das BVerwG führt aus, dass die europäischen und nationalen Vorschriften über Natura 2000-Gebiete dem Ziel dienten, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume zu bewahren oder wiederherzustellen. Einen Bezug zu den Interessen des Einzelnen ließen sie nicht erkennen. Anders als Naturschutzverbände seien Einzelne nicht berechtigt, Verstöße gegen Naturschutzrecht unabhängig von einer Verletzung eigener Rechte geltend zu machen.

Auch das Eigentumsgrundrecht gebiete es nicht, die im öffentlichen Interesse erlassenen Schutzvorschriften für Natura 2000-Gebiete zugunsten des Eigentümers unter Schutz gestellter Grundstücke als drittschützend auszulegen und ihm ein Klagerecht einzuräumen.

Praxishinweis

Der in der Rechtsprechung etablierte Grundsatz gilt nach wie vor: In den Fällen der Anfechtung gegen an Dritte erlassene Verwaltungsakte setzt die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis die Geltendmachung eines Rechts voraus, das die Interessen (auch) der dritten Person schützt. Die als verletzt gerügte Rechtsnorm darf die Interessen der Allgemeinheit, muss aber jedenfalls auch die individuellen Interessen des Einzelnen schützen.

Eine Ausnahme von dem Grundsatz findet sich mit dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) im Umwelt- und Naturschutzrecht: Naturschutzverbände können unabhängig von einer „eigenen“ Rechtsverletzung klagen.

Die Entscheidung des BVerwG bestätigt diese Grundsätze. Das Gericht nimmt den Ausnahmecharakter des UmwRG ernst und den Fall nicht zum Anlass, die Anforderungen an den Drittschutz zu lockern. Privatpersonen können also weiterhin Dritten erteilte (immissionsschutzrechtliche) Genehmigungen gerichtlich nur überprüfen lassen, wenn diese (auch) drittschützende Normen verletzen. Natura-2000-Vorschriften gehören für das BVerwG nicht dazu.

(Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Februar 2021 – 7 C 3.20)

Dr. Ann-Cathrin Brock, Rechtsanwältin
Hamburg

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