Klarere Spielregeln beim Aufkauf deutscher Firmen? – Bundestag verabschiedet neues Außenwirtschaftsgesetz
Am 18. Juni 2020 hat der Bundestag die erste Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) beschlossen, die das deutsche Recht der Investitionsprüfung weiter verschärft. Das Bundeswirtschaftsministerium spricht hingegen von einem „zweiten bedeutenden Schritt zur Stärkung des deutschen Investitionsprüfungsrechts“.
Außenwirtschaftsrechtsnovelle 2020
Der im Lichte der Corona-Krise als besonders eilbedürftig eingestufte Gesetzesentwurf zur Änderung des AWG (wir berichteten) ist nunmehr am Donnerstag, dem 18. Juni 2020, durch den Bundestag verabschiedet worden. Er folgt der Ende Mai durch das Bundeskabinett beschlossenen und am 3. Juni 2020 in Kraft getretenen „Corona-Novelle“ der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) nach, die speziell kritische Erwerbe von deutschen Unternehmen im Gesundheitssektor unter schärfere Kontrolle gestellt hat (wir berichteten).
Ziel der Gesetzesänderung ist es, im Falle von kritischen Unternehmenserwerben durch Unions- (und EFTA-)fremde Investoren künftig einen noch wirksameren Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten, ohne dass die Stärkung des Investitionsprüfregimes dabei die Attraktivität Deutschlands als Investitionsstandort mindern soll. Kritik am neuen Gesetz kommt vor allem aus der Wirtschaft. So sprach etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) von „neuen Hürden“, die „kontraproduktiv für Investitionen“ seien.
Anpassung an die EU-Screening-Verordnung
Kernpunkt der Novelle ist die Anpassung des AWG an die Vorgaben der europäischen Verordnung (EU) 2019/425 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union (sog. EU-Screening-Verordnung), die am 11. Oktober 2020 endgültig Wirkung entfalten wird. Hierbei wurde insbesondere der bei der Prüfung eines Erwerbs anzuwendende Maßstab für erwerbsbeschränkende Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit angepasst. Künftig bedarf es statt einer „tatsächlichen und schweren Gefährdung“ nur noch einer „voraussichtlichen Beeinträchtigung“ der genannten Interessen. Neben den Auswirkungen eines Erwerbs in Deutschland rücken daneben nun auch Auswirkungen auf andere EU-Mitgliedstaaten sowie auf EU-Programme und -Projekte stärker in den Fokus.
Durch die Novelle wird zudem beim Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) eine deutsche Kontaktstelle für den in der EU-Screening-Verordnung zwingend vorgesehenen europäischen Kooperationsmechanismus eingerichtet. Diese wird für die koordinierte Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission, insbesondere im Bereich des Informationsaustausches über bestehende Prüfmechanismen, geplante Investitionen sowie laufende Investitionsprüfverfahren, verantwortlich sein.
Effektive Verhinderung faktischen Vollzugs
Mit der Neuregelung wird nunmehr jeder meldepflichtige Erwerb, auch im Rahmen der sog. sektorübergreifenden Prüfung (im Sinne von § 55 AWV), für die Dauer einer Investitionsprüfung „schwebend unwirksam“ sein. Damit besteht künftig für alle meldepflichtigen Erwerbe für die Dauer einer Investitionsprüfung ein Vollzugsverbot. Flankiert wird diese zivilrechtliche Unwirksamkeit durch neu eingeführte Handlungsverbote, deren Straf- und Bußgeldbewährung das Risiko eines faktischen Vollzugs etwa in Form eines frühzeitigen Abflusses sensibler Technologie oder kritischen Know-hows während eines Prüfverfahrens effektiv reduzieren sollen. Gerade die Regelungen zur Verhinderung der Zurverfügungstellung als kritisch eingestufter unternehmensinterner Informationen wird die Erwerbsparteien künftig vor praktische Probleme stellen.
Erweiterung des Anwendungsbereichs der sektorspezifischen Prüfung
Mit der Gesetzesänderung kommt es auch zu einer leichten Erweiterung des Anwendungsbereichs der sektorspezifischen Prüfung im Bereich von Rüstungsgütern und IT-Sicherheitsfunktionen. Hiervon sind künftig nicht mehr nur solche Unternehmen betroffen, die die kritischen Güter herstellen oder entwickeln, sondern auch Unternehmen, die Inhaber tatsächlicher Gewalt über diese Güter sind (ursprünglich sollte es sogar um deren „Nutzung“ gehen), sowie inländische Unternehmen, die solche Güter in der Vergangenheit hergestellt, entwickelt, modifiziert oder Gewalt über sie innegehabt haben und noch über Kenntnisse oder Zugang zu den zugrundeliegenden Technologien verfügen.
Neue Fristenregelung
Auf Grundlage einer kurzfristigen Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie wurde das AWG zudem, quasi in letzter Minute, um eine neue Fristenregelung (in § 14a AWG n.F.) für Investitionsprüfungsverfahren ergänzt. Hierdurch werden die Fristen für alle Investitionsprüfverfahren vereinheitlicht. Das BMWi muss nunmehr stets innerhalb von zwei Monaten nach Kenntnis über den schuldrechtlichen Erwerbsvertrag über die Eröffnung eines Prüfverfahrens entscheiden. Im Anschluss hat das BMWi weitere vier Monate Zeit für die tatsächliche Prüfung. Auswirkung hat dies letztlich nur bei der sektorübergreifenden Prüfung, wenn keine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragt wurde, bei welcher sich die Prüffrist insgesamt formal um einen Monat verkürzt. Andererseits wird dem BMWi durch die neue Vorschrift ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, die Prüffrist „im Einzelfall“ um bis zu drei Monate zu verlängern, wenn das Prüfverfahren „besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art“ aufweist. Wenn hierbei zusätzlich die Verteidigungsinteressen der BRD in besonderem Maße berührt werden, kommt sogar eine Verlängerung um bis zu vier Monate in Betracht.
Hinzu kommt die Möglichkeit des BMWi die Fristen mit Zustimmung der Erwerbsparteien zu verlängern, wodurch dem BMWi de facto ein Mittel in die Hand gegeben wird, eine Fristverlängerung gegen eine sonst drohende Untersagung zu „tauschen“. Darüber hinaus tritt mit Inkrafttreten der Novelle eine Hemmung der Prüffrist nicht länger nur dann ein, wenn die Beteiligten über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag verhandeln, sondern zusätzlich, wenn das BMWi nachträglich weitere Auskünfte oder Unterlagen zum Verfahren einfordert. Zwar wird mit dieser Regelung Rechtssicherheit bezüglich der Frage geschaffen, wann alle Unterlagen vorliegen und wann die Prüffrist zu laufen beginnt, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Im Ergebnis dürfte dies allerdings keine signifikanten Änderungen mit sich bringen, da weiterhin das Risiko besteht, dass das BWMi Prüfverfahren durch solche Auskunfts- bzw. Unterlagenersuchen faktisch letztlich beliebig in die Länge ziehen kann. Schließlich ist vorgesehen, dass die Prüffrist neu zu laufen beginnt, wenn etwa eine Freigabe (bzw. eine Unbedenklichkeitsbescheinigung), eine Beschränkungsanordnung oder eine vertragliche Regelung aufgehoben oder geändert wird. Ob vor diesem Hintergrund die neue Fristenregelung tatsächlich Planungssicherheit für Unternehmen schaffen und Verfahren transparenter und zügiger gestalten wird, wie dies in der Gesetzesbegründung vorgegeben wird, bleibt abzuwarten und ist jedenfalls zweifelhaft. Für die bislang ganz überwiegende Zahl der sektorübergreifenden Prüfungen, in denen der Erwerber eine Unbedenklichkeitsbescheinigung beantragt, dürfte die neue Regelung keine spürbaren Erleichterungen mit sich bringen.
Ausblick
Das vom Bundestag beschlossene Änderungsgesetz wird nun dem Bundesrat zugeleitet und soll dort möglichst kurzfristig abschließend beraten werden. Weitere Änderungen des Außenwirtschaftsrechts im Wege einer 16. Änderungsverordnung zur AWV, um diese an die o.g. Neuerungen abzupassen, sind in naher Zukunft zu erwarten. In der 16. Änderungsverordnung zur AWV wird insbesondere auch der Katalog kritischer Technologien (z. B. in den Bereichen Künstlicher Intelligenz, Halbleiter und Robotik) enthalten sein, für die bereits ab einer Schwelle von 10% des Erwerbs von Stimmrechten eine Meldepflicht gelten wird.
Marian Niestedt, Rechtsanwalt
Nina Kunigk, Rechtsanwältin
beide Hamburg