September 2020 Blog

Liefer­ketten­gesetz – Neues Haftungs­risiko für Unter­nehmen und Mana­ger

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) haben angekündigt, dass noch in der laufenden Legislaturperiode ein Gesetz über die Sorgfaltspflichten in globalen Wertschöpfungsketten (Sorgfaltspflichtengesetz) verabschiedet werden soll. Das Vorhaben weitet die Verantwortlichkeit von Unternehmen und damit auch die Gefahr von Haftungsfällen immens aus. Kommt das Gesetz, müssen Unternehmen zukünftig nicht nur vor ihrer eigenen Haustür kehren.

1.    Hintergrund

Bereits seit mehreren Jahren wird insbesondere von Seiten einiger Interessenverbände und Nichtregierungsorganisationen (NGO) der Ruf nach einem Gesetz lauter, das es erlaubt, inländische Unternehmen für die Verletzung von Menschenrechten und Umweltverstößen innerhalb von globalen Lieferketten zur Verantwortung zu ziehen. Die Große Koalition hat sich dieses Themas in ihrem Koalitionsvertrag angenommen und im Falle einer unzureichenden freiwilligen Selbstverpflichtung der Unternehmen eine gesetzliche Regelung angekündigt. Nach einer Unternehmensbefragung im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) sickerte Anfang 2020 ein erster Gesetzesentwurf durch, der von mehreren Medien aufgegriffen wurde. Im Juni 2020 erschien außerdem ein gemeinsames Eckpunktepapier des BMZ und BMAS, das wesentliche Kernelemente des geplanten Sorgfaltspflichtengesetzes festhält.

2.    Neue Sorgfaltspflichten für Unternehmen entlang globaler Lieferketten

Mit dem geplanten Sorgfaltspflichtengesetz sollen in Deutschland ansässige Unternehmen verpflichtet werden, ihrer Verantwortung in der Wertschöpfungskette nachzukommen. Die Unternehmen sollen insbesondere verpflichtet werden,

  • potentielle oder tatsächliche Auswirkungen ihrer Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen auf international anerkannte Menschenrechte zu ermitteln und zu bewerten,
  • Maßnahmen zu ergreifen, um negativen Auswirkungen vorzubeugen, sie zu minimieren und zu beheben,
  • die Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen fortlaufend zu überprüfen,
  • einen geeigneten Beschwerdemechanismus einzurichten, um Menschenrechtsverletzungen frühzeitig zu identifizieren und
  • jährlich transparent und öffentlich zu berichten, dass sie die tatsächlich und potenziell nachteiligen Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns auf die Menschenrechte kennen und diesen in geeigneter Weise begegnen.

3.    Für welche Unternehmen gelten die neuen Sorgfaltspflichten?

Über die Frage, ab welcher Unternehmensgröße das Sorgfaltspflichtengesetz zur Anwendung kommen soll, wurde in der Vergangenheit (und wird wohl bis heute) erheblich gestritten. Nach dem Eckpunktepapier soll das Gesetz für Unternehmen gelten, die – konzernweit – mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen. Der Anfang 2020 durchgesickerte Gesetzesentwurf orientierte sich noch an der Definition einer großen Kapitalgesellschaft in § 267 Abs. 3 S. 1 HGB. Danach wären Unternehmen betroffen, die mindestens zwei der nachfolgenden drei Merkmale überschreiten:

  • EUR 20 Mio. Bilanzsumme
  • EUR 40 Mio. Umsatzerlöse
  • Im Jahresdurchschnitt 250 Arbeitnehmer.

Darüber hinaus sah der Gesetzesentwurf auch eine Verpflichtung von kleineren Unternehmen vor, wenn diese in einem Hochrisikosektor (bspw. Bergbau und Textilienherstellung) oder einem Konflikt- und Hochrisikogebiet tätig sind.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) soll laut Medienberichten wiederum fordern, dass die Lieferketten-Sorgfaltspflichten nur für Unternehmen mit mindestens 5.000 Mitarbeitern gelten. Es bleibt abzuwarten, welcher Schwellenwert sich letztlich durchsetzen wird.

4.    Erhebliche Haftungsrisiken für Unternehmen und Manager

Unternehmen, die gegen die Lieferketten-Sorgfaltspflichten verstoßen, sollen nach derzeitigem Diskussionsstand mit Bußgeldern belegt und für eine angemessene Zeit von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden können. Darüber hinaus sollen Unternehmen zukünftig vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden können, wenn Dritte durch eine Menschenrechtsbeeinträchtigung einen Schaden an wesentlichen Rechtsgütern (insbesondere Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und das allgemeine Persönlichkeitsrecht) erleiden und die Beeinträchtigung für das Unternehmen bei Erfüllung der Sorgfaltspflichten vorhersehbar und vermeidbar gewesen wäre.

Bestehen Haftungsrisiken für das Unternehmen, betrifft das in der Regel auch das Management. Nach dem Eckpunktepapier ist die Geschäftsführung für die operationale Umsetzung der Sorgfaltspflichten zuständig. Wird einem Unternehmen ein Bußgeld auferlegt oder wird es von Betroffenen auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil Sorgfaltspflichten nicht eingehalten wurden, wird regelmäßig auch eine Pflichtverletzung des Managements gegenüber dem Unternehmen vorliegen. Daneben könnte das Management – je nach konkreter Ausgestaltung des Gesetzes – auch persönlich von Betroffenen auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden.

5.    Droht Managern mit einer D&O-Versicherung eine Deckungslücke?

Managern, die sich gegen Haftungsansprüche ihrer Gesellschaft und Dritten durch eine D&O-Versicherung geschützt haben, könnte im Falle von Lieferketten-Sorgfaltspflichtverletzungen eine Deckungslücke drohen.

D&O-Versicherungen gewähren in der Regel Versicherungsschutz für den Fall, dass ein Manager von der Gesellschaft oder einem Dritten auf Ersatz eines Vermögensschadens in Anspruch genommen wird. Ein Vermögensschaden ist – allgemein gesprochen – ein Schaden, der weder einen Sach- noch einen Personenschaden darstellt. Bei einer Verletzung von Menschenrechten in globalen Wertschöpfungsketten wird der Schaden der Betroffenen vor Ort allerdings häufig in einer Beeinträchtigung des Lebens oder der Gesundheit oder der Zerstörung von Eigentum (also in einem Sach- oder Personenschaden) liegen. Jedenfalls eine direkte Inanspruchnahme des Managements durch Betroffene wegen eines solchen Schadens dürfte nicht von einer D&O-Versicherung gedeckt sein.

Davon abzugrenzen ist zwar grundsätzlich die Konstellation, dass zunächst nicht das Management, sondern die Gesellschaft wegen eines Personen- oder Sachschadens in Anspruch genommen wird und die Gesellschaft anschließend das Management (insb. nach §§ 43 Abs. 2 GmbHG oder §§ 92, 93 AktG) in Regress nimmt. Auch dann ist ein D&O-Versicherungsschutz allerdings nicht sicher. In diesem Fall liegt zwar ein Vermögensschaden der Gesellschaft vor (die mit einem gegen sie gerichteten Schadensersatzanspruch des Betroffenen belastet wird), dieser wurde allerdings durch einen Personen- bzw. Sachschaden verursacht. Ob in solchen Konstellationen der Innenregressanspruch der Gesellschaft gegen das Management vom D&O-Versicherungsschutz erfasst wird, ist in der versicherungsrechtlichen Literatur umstritten. Geschäftsleiter tun daher gut daran, frühzeitig die einschlägigen Versicherungsbedingungen auf ihre Reichweite zu prüfen und gegebenenfalls die Frage des Versicherungsschutzes mit ihrem Makler oder D&O-Versicherer zu klären.

Uli Hochdorfer, Rechtsanwalt
München

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