Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Fluch oder Segen für die Nutzung des Internet?
Seit dem 1. Januar 2018 besteht für „soziale Netzwerke“ die Pflicht zur Löschung bestimmter rechtswidriger Inhalte. Wird dadurch die Rechtsuchsetzung „im Netz“ tatsächlich gefördert oder wird vielmehr die Meinungsfreiheit beschränkt? Dieser Beitrag skizziert den Anwendungsbereich und Inhalt des NetzDG, die wesentliche Konfliktlage und Kritik hieran sowie die praktischen Folgen aus anwaltlicher Perspektive.
Seit 1. Januar 2018: Beschwerdeverfahren zur Löschung/Sperrung von „rechtswidrigen“ Inhalten sozialer Netzwerke
Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz - NetzDG) vom 1. September 2017 ist am 1. Oktober 2017 in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes ist eine effektive Bekämpfung von „Hasskriminalität“ und strafbaren Falschmeldungen („Fake News“) in „sozialen Netzwerken“.
Den „sozialen Netzwerken“ wurde eine dreimonatige Übergangsfrist eingeräumt, den Kerngehalt des Gesetzes - ein Beschwerdeverfahren - zu etablieren. Bei diesem Beschwerdeverfahren handelt es sich um ein Novum im (deutschen) Recht. Diese Übergangsfrist ist zum 1. Januar 2018 abgelaufen.
Seitdem haben Nutzer sozialer Netzwerke das Recht, gegen (vorgeblich) rechtswidrige Inhalte, Beschwerde bei dem jeweiligen „sozialen Netzwerk“ einzureichen. Mit diesem Beschwerderecht korrespondiert die Pflicht der „sozialen Netzwerke“, die (vorgeblich) rechtswidrigen Inhalte entweder weltweit löschen oder regional (etwa für Abrufe aus Deutschland) sperren zu müssen - und zwar regelmäßig innerhalb von einem Zeitraum von 24 Stunden bis zu sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde.
Anwendungsbereich und Inhalt des NetzDG
Das NetzDG gilt nicht für jeden Anbieter von Telemediendiensten, sondern nach § 1 NetzDG nur für solche, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen („soziale Netzwerke“ im Sinne des NetzDG). Nicht erfasst werden Dienste der Individualkommunikation wie E-Mail- oder Messenger-Dienste (etwa WhatsApp). Nicht erfasst werden auch soziale Netzwerke mit spezieller Themen- und Nutzerfestlegung wie Verkaufsplattformen, Online-Spiele, berufliche Netzwerke oder Fachportale. Ausgenommen sind auch Anbieter von journalistisch-redaktionell gestalteten Inhalten. Hat ein „soziales Netzwerk“ im Sinne des NetzDG weniger als zwei Millionen in Deutschland registrierte Nutzer, muss es weder ein wirksames Beschwerdeverfahren (§ 3 NetzDG) vorhalten noch trifft es eine Berichtspflicht (§ 2 NetzDG).
Damit ist festzuhalten, dass das NetzDG praktisch nur auf die großen und bekannten „sozialen Netzwerke“ wie Facebook,Twitter, YouTube, Google+, Instagram, Pinterest oder Soundcloud anwendbar ist.
Zentral ist die Frage, was unter „rechtswidrige Inhalte“ im Sinne des NetzDG zu verstehen ist. Die Antwort enthält § 1 Abs. 3 NetzDG, der insgesamt 21 Tatbestände des Strafgesetzbuchs (StGB) abschließend aufzählt. Es handelt sich etwa um das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Gewaltdarstellung. Beleidigung, Üble Nachrede, Verleumdung, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen oder Bedrohung.
Nicht strafbare Meinungsäußerungen oder Tatsachenbehauptungen werden also nicht erfasst.
Kern des Gesetzes ist das bereits skizzierte Beschwerdeverfahren (§ 3 NetzDG), also die Pflicht zur Löschung bzw. Sperrung von Inhalten, die Gegenstand einer Nutzerbeschwerde sind. Dabei ist hervorzuheben, dass die Prüfung, ob der beanstandete Inhalt („offensichtlich“) rechtswidrig ist, nicht den in einem Rechtsstaat originär zuständigen Staatsanwaltschaften und Gerichten obliegt, sondern dem „sozialen Netzwerk“ selbst oder in Zweifelsfällen einer vom Bundesamt für Justiz (BfJ) anerkannten und überwachten privatwirtschaftlichen „Einrichtung der Regulierten Selbstregulierung“.
Nach der Berichtspflicht (§ 2 NetzDG) müssen Anbieter „sozialer Netzwerke“, die im Kalenderjahr mehr als 100 Beschwerden über rechtswidrige Inhalte erhalten, halbjährlich einen deutschsprachigen Bericht über den Umgang mit Beschwerden erstellen und im Bundesanzeiger sowie auf der eigenen Homepage veröffentlichen.
Den Bußgeldrahmen für Verstöße gegen das NetzDG (bis zu 50 Millionen Euro) regelt § 4 NetzDG. Durch die empfindliche Strafdrohung sollen die „sozialen Netzwerke“ zu erhöhter Aufmerksamkeit bei der Einhaltung des gesetzlichen Compliance-Standards verpflichtet werden.
Nach § 5 NetzDG haben Anbieter „sozialer Netzwerke“ im Inland einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen und auf ihrer Plattform in leicht erkennbarer und unmittelbar erreichbarer Weise auf ihn aufmerksam zu machen. Damit soll eines der Hauptprobleme der Rechtsdurchsetzung in „sozialen Netzwerken“, nämlich das Fehlen von verantwortlichen Ansprechpartnern für Justiz, Bußgeldbehörden und für Betroffene, gelöst werden.
§ 6 NetzDG regelt Übergangsvorschriften.
Von ganz erheblicher praktischer Bedeutung sind die durch das NetztDG erfolgten flankierenden Änderungen in den §§ 14 und 15 TMG: Sie gewähren einem Opfer von Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegenüber einem „sozialen Netzwerk“ einen Anspruch auf Auskunft über die Bestandsdaten (wie Name, Anschrift, E-Mail-Adresse) des (potenziellen) Verletzers. Zum Schutz vor Missbrauch ist jedoch eine vorherige gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung erforderlich, die vom Verletzten zu beantragen ist.
Wesentliche Konfliktlage und Kritik: Rechtsdurchsetzung vs. Meinungs- und Kommunikationsfreiheit im Internet
Das NetzDG ist mit den vorgestellten nur sechs Paragrafen (zusätzlich erfolgten Änderungen der §§ 14 und 15 Telemediengesetz (TMG)) ein vergleichsweise kleines Gesetz. Seine rechtspolitische Sprengkraft ist dafür umso größer. Es bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der großen Herausforderung Rechtsschutz und -durchsetzung im („rechtsfreien Raum“) Internet einerseits und der grundrechtlich geschützten Meinungs- und Kommunikationsfreiheit im Internet - dessen Wesen - andererseits.
Die Befürworter des Gesetzes, insbesondere die Bundesregierung als dessen Initiatorin, betonen die Wichtigkeit des NetzDG als „Garantie der Meinungsfreiheit“ im Rahmen einer gegenwärtig festzustellenden, von Hass und Diskriminierung geprägten, „massiven Veränderung des gesellschaftlichen Diskurses im Netz“. Nach dem Bundesjustizminister solle durch das NetzDG „das digitale Faustrecht im Netz" beendet werden.
Die Gegner des Gesetzes sehen zum einen die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit durch die bußgeldbewehrte (bis zu 50 Millionen Euro) Verpflichtung der „sozialen Netzwerke“ zur Löschung und Sperrung von Inhalten gerade in Gefahr. Die Rede ist dabei von „Zensur“ und „Overblocking“, also der Löschung bzw. Sperrung nicht nur von rechtswidrig sondern - im Zweifel und insbesondere in Ansehung des Bußgeldrahmens- auch von rechtmäßigen Inhalten. Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen.
Zum anderen wird das skizzierte „Outsourcing“ der Rechtswidrigkeitsprüfung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens kritisiert. Diese Kritik wurde bereits zum im Anschluss an das EuGH-Urteil vom 13. Mai 2014 (Rs. C-131/12 – „Recht auf Vergessenwerden“) von Google etablierte Löschungsverfahren geäußert. Ihr ist aber entgegenzuhalten, dass der Mechanismus „regulierter Selbstregulierung“ aus dem Medienschutzrecht bekannt ist und sich bewährt hat. Außerdem besteht - im Unterschied zum Google-Szenario - zumindest eine staatliche Aufsicht. Zudem schließt das Beschwerdeverfahren die Befassung der zuständigen Strafverfolgungsbehörden (Polizei/Staatsanwaltschaft) nicht aus, sondern bietet eine zusätzliche Option zur Entfernung rechtswidriger Inhalte in „sozialen Netzwerken“.
Praktische Folgen aus anwaltlicher Perspektive
Aus anwaltlicher Perspektive bietet das NetzDG die Chance, einem Betroffenen bzw. Opfer rechtswidriger, regelmäßig persönlichkeitsrechtsverletzender, Inhalte zu schnellem, effizienten Rechtsschutz zu verhelfen. „Anwaltszwang“ besteht gleichwohl nicht. Eine Prüfung, ob ein beanstandeter Inhalt die Voraussetzungen der Anwendbarkeit des NetzDG erfüllt, ist im Sinne der Verfahrensbeschleunigung jedoch ratsam.
Löscht das „soziale Netzwerk“ entgegen der Beschwerde eines Betroffenen nicht, ist der Sachverhalt beim BfJ zu melden. Das BfJ prüft dann, ob ein Bußgeldverfahren gegen den Netzwerkbetreiber einzuleiten ist. Soll - auf Wunsch des Mandanten - über das Löschen bzw. Sperren der Inhalte hinaus eine Strafverfolgung gegen einen den rechtswidrigen Inhalt veröffentlichenden Nutzer erreichen werden, kann gleichzeitig Strafanzeige bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden (Polizei/Staatsanwaltschaft) erstattet werden. Außerdem steht zur Geltendmachung materiellen und immateriellen Schadensersatzes der Zivilrechtsweg offen.
Des Weiteren besteht die Herausforderung, einer Löschung bzw. Sperrung von rechtmäßigen Inhalten (durch „Overblocking“) entgegenzuwirken. Das soziale Netzwerk wäre dazu aufzufordern, einen gelöschten bzw. gesperrten Inhalt wieder zu veröffentlichen. Notwendigenfalls ist die „Wiederveröffentlichung“ gerichtlich durchzusetzen.
Zudem ist Beratungsbedarf für Nutzer abzusehen, deren Bestandsdaten von einem „sozialen Netzwerke“ zu Unrecht herausgegeben wurden und die sich nun gegen eine Inanspruchnahme eines vermeintlich Betroffenen zur Wehr setzen müssen.
Nicht zuletzt ergibt sich für die Betreiber der von dem NetzDG erfassten „sozialen Netzwerke“ Beratungsbedarf: Zum einen etwa im Rahmen des Beschwerdemanagements (welcher Inhalt ist als „(offensichtlich) rechtswidrig“ im Sinne des NetzDG zu werten?) und zum anderen etwa bei der Abwehr von Bußgeldern des BfJ wegen angeblicher Verstöße gegen die Pflichten aus dem NetzDG.
Die zukünftige Anwendung des NetzDG ist mit Spannung zu beobachten.
Das BfJ stellt unter diesem Link Informationen über das NetzDG bereit.
Michael Herold, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main