Januar 2021 Blog

Neues vor den Toren: Der Digital Markets Act und die 10. GWB-Novelle

Im Januar vergangenen Jahres wurde an dieser Stelle bereits über den Referentenentwurf der 10. GWB-Novelle berichtet, durch den die Richtlinie (EU) 2019/1 zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedsstaaten in deutsches Recht umgesetzt werden soll. Nun ist es soweit: Der Bundestag verabschiedete das GWB-Digitalisierungsgesetz am 14. Januar 2021 mit den Stimmen der Großen Koalition und der Grünen. Verzögert hatte die schon für Dezember geplante abschließende Beratung u.a. eine aufsehenerregende Meldung aus Brüssel: Am 15. Dezember 2020 stellte die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager den Verordnungsentwurf zum Digital Markets Act (DMA-E) vor, der nationales und Unionskartellrecht mit Blick auf sog. „Gatekeeper“ komplementieren möchte. Aber ging es darum nicht auch bei der 10. GWB-Novelle?

„Kernelement der EU-Digitalstrategie“

Zusammen mit dem Digital Services Act (der eine sicherere und transparentere Online-Umgebung für Verbraucher bezweckt) ist der DMA-E eines der Kernelemente der EU-Digitalstrategie: Mit dem DMA-E sollen unionsweit einheitliche Regelungen zum Umgang mit sog. „Gatekeepern“ wie Anbietern sozialer Netzwerke, Suchmaschinen, Cloud-Diensten, Content-Plattformen, Betriebssystemen und Werbenetzwerken geschaffen werden. Vorgesehen ist insbesondere, dass das Verhalten von Gatekeepern künftig nicht mehr nur nachträglich im Rahmen der Missbrauchskontrolle überprüfbar sein soll. Vielmehr bezeichnet der DMA-E bestimmte Verhaltensweisen, die Gatekeepern von Gesetzes wegen verboten werden sollen.

Das Europäische Parlament und die Mitgliedsstaaten werden den Vorschlag der Kommission im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens erörtern. Sollte das Gesetz verabschiedet werden, gilt es als Verordnung unmittelbar in der gesamten EU. Angestrebt ist dabei offenbar eine Vollharmonisierung, d.h. die Mitgliedsstaaten dürfen weder strengere noch weniger strenge Rahmenbedingungen vorsehen.

Die „Gatekeeper-Kriterien“

Um ein effektives Vorgehen gegen große, systemische Online-Plattformen zu ermöglichen und unfaire Praktiken zu unterbinden, sollen Gatekeeper nach (laut der Kommission) „eng definierten objektiven Kriterien“ ermittelt werden, d.h. die Gatekeeper-Kriterien sollen erfüllt sein, wenn ein Unternehmen

  • eine starke wirtschaftliche Position mit erheblichen Auswirkungen auf den Binnenmarkt innehat und in mehreren EU-Ländern aktiv ist,
  • über eine starke Vermittlungsposition verfügt, d.h. eine große Nutzerbasis mit einer großen Anzahl von Unternehmen verbindet,
  • eine gefestigte und dauerhafte Marktstellung hat (oder bald haben wird), d.h. langfristig stabil ist.

Pflichten und Verbote für Gatekeeper

Um Innovation nicht auszubremsen, sollen Gatekeeper weiterhin die Möglichkeit haben, neue Dienstleistungen zu entwickeln und diese auch anzubieten. Der DMA-E möchte aber verhindern, dass sie gegenüber von ihnen abhängigen gewerblichen Nutzern und Kunden unlautere Praktiken anwenden, um sich selbst einen Vorteil zu sichern.

Die Kommission hebt insbesondere hervor, Gatekeeper müssten künftig:

  • Dritten in bestimmten Situationen die Zusammenarbeit mit ihren eigenen Diensten erlauben,
  • es ihren gewerblichen Nutzern ermöglichen, auf die Daten zuzugreifen, die sie bei der Nutzung der Gatekeeper-Plattform generieren,
  • den Unternehmen, die auf ihrer Plattform Werbung betreiben, die Instrumente und Informationen zur Verfügung stellen, die sie brauchen, um eine eigene, unabhängige Überprüfung ihrer Werbung auf der Gatekeeper-Plattform vornehmen zu können,
  • es ihren gewerblichen Nutzern ermöglichen, ihr Angebot zu bewerben und Verträge mit ihren Kunden außerhalb der Gatekeeper-Plattform abzuschließen.

Des Weiteren hebt die Kommission hervor, dass es Gatekeepern künftig nicht mehr erlaubt sei:

  • Dienstleistungen und Produkte, die der Gatekeeper selbst anbietet, gegenüber ähnlichen Dienstleistungen oder Produkten, die von Dritten auf der Plattform des Gatekeepers angeboten werden, in puncto Reihung bevorzugt behandeln,
  • Verbraucher/innen daran hindern, sich an Unternehmen außerhalb ihrer Plattformen zu wenden,
  • Nutzer/innen daran hindern, vorab installierte Software oder Apps zu deinstallieren, wenn sie dies wünschen.

Das Verbot der Selbstbevorzugung dürfte manchen Plattformökonomen möglicherweise am härtesten treffen.

Papiertiger oder scharfes Schwert?

Angesichts der enormen Marktmacht von Facebook, Amazon, Google und Co. – sieben der zehn weltweit größten Unternehmen sind auf dem digitalen Markt aktiv und haben jeweils mehrere Hundert Millionen Nutzer – setzt die Kommission zur effektiven Durchsetzung der dargestellten Gebote und Verbote und der Sanktionierung von Verstößen in ihrem Entwurf zunächst auf finanzielle Sanktionen: So soll ein Unternehmen, das sich nicht an die Regeln hält, Geldbußen von bis zu 10 % seines weltweiten Jahresumsatzes zahlen müssen. Alternativ ist mit Zwangsgeld von bis zu 5 % des durchschnittlichen Tagesumsatzes zu rechnen. Bei systemischen Verstößen gegen den DMA-E sollen auch verhaltensorientierte oder strukturelle Maßnahmen ergriffen werden können, die bis zu der Veräußerung von Geschäftsbereichen reichen.

Meanwhile in Germany…

In Deutschland hat der Bundestag unterdessen Nägel mit Köpfen gemacht und Mitte Januar die 10. GWB-Novelle verabschiedet, die ebenfalls das Ziel hat, missbräuchlichem Verhalten von Tech-Unternehmen mit großer Marktmacht besser entgegenzuwirken. Im Fokus stehen dabei durchaus Verhaltensweisen, die auch der DMA-E in den Blick nimmt, insbesondere die bevorzugte Darstellung eigener Leistungen. Prescht der deutsche Gesetzgeber also voran und geht einen Sonderweg, ohne auf eine einheitliche, europäische Regelung zu warten? Vorerst wohl ja. Da andererseits das europäische Gesetzgebungsverfahren in der Regel recht lange dauert, wird man etwa zwei Jahren Zeit haben, Regelungsinstrumente des DMA-E, die sich auch in der GWB-Novelle wiederfinden, in Deutschland zu testen. Die so gewonnen Erkenntnisse könnten dann – im Idealfall – direkt in die Beratungen auf europäischer Ebene einfließen und dabei helfen, den DMA-E praxistauglich auszugestalten.

Wechselseitige Beeinflussung

Die GWB-Novelle wird also für den Feinschliff des DMA-E als Vorbild dienen können. Gleichzeitig hat auch der deutsche Gesetzgeber einige Ansätze aus dem DMA-E in die GWB-Novelle einfließen lassen. So arbeitet die Kommission in ihrem Entwurf häufig mit Regelbeispielen. Diese sollen Klarheit und Verständlichkeit einer Norm erhöhen, indem sie dem Anwender zeigen, welche Szenarien genau betroffen sind. Dieses Instruments bediente sich (mehr noch als in der Vergangenheit) auch der Bundestag, um die neuen Vorschriften des GWB verständlicher zu machen. Der zentrale Verbotstatbestand des § 19a GWB wurde so recht konkret gefasst, um klar zu machen, in welchen Fällen das Bundeskartellamt gegen Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb vorgehen kann.

Gleichzeitig gibt es Bereiche, die mit der GWB-Novelle bewusst nicht geregelt wurden, um dem DMA-E nicht vorzugreifen. So enthält die Novelle zum Beispiel keine Reglungen zu Übernahmen von kleinen, innovativen und wachstumsstarken Unternehmen durch die sogenannten Tech-Giganten.

Weiterentwicklung des Referentenentwurfs

Im Vergleich zu dem Referentenentwurf der GWB-Novelle, über den letztes Jahr an dieser Stelle berichtet wurde, haben sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch einige Änderungen ergeben. Zwei davon werden hier exemplarisch beleuchtet:

So wurden die Inlandsumsatzaufgreifschwellen für die Fusionskontrolle deutlich erhöht. Als Grund dafür werden die Entlastung des Mittelstandes und der Kartellämter genannt. Nach neuem Recht ist ein Zusammenschlussvorhaben beim Bundeskartellamt daher nur noch anzumelden, wenn im letzten abgeschlossen Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss (a) die beteiligten Unternehmen insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als EUR 500 Millionen und (b) im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als EUR 50 Millionen (bisher EUR 25 Millionen) sowie (c) ein anderes beteiligtes Unternehmen im Inland Umsatzerlöse von mehr als EUR 17,5 Millionen (bisher EUR 5 Millionen) erzielt haben. Die Änderung bedeutet damit eine deutliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der Fusionskontrolle nach deutschem Recht.

Mit § 39a GWB wurde das neue Aufgreifinstrument für die Fusionskontrolle aus dem Referentenentwurf nun in Gesetzesform gegossen. Das Bundeskartellamt kann ein Unternehmen ab sofort durch Verfügung dazu auffordern, jeden Zusammenschluss mit anderen Unternehmen in einem oder mehreren bestimmten Wirtschaftszweigen anzumelden, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Im Vergleich zum Entwurf wurden diese Voraussetzungen durch den Gesetzgeber nachjustiert. Zum einen muss das betroffene Unternehmen nun im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von mehr als EUR 500 Millionen, statt vorher EUR 250 Millionen, erzielt haben. Zum anderen ist mit § 39a Abs. 1 Ziffer 3 eine neue Bedingung mit Bezug zum Inland dazugekommen: Das betroffene Unternehmen muss in den genannten Wirtschaftszweigen einen Anteil von mindestens 15 Prozent am Angebot oder der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland haben. Als dritte Bedingung müssen objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb im Inland in den genannten Wirtschaftszweigen erheblich behindert werden könnte.

Diese neuen Regelungen sind am 19. Januar 2021 in Kraft getreten.

Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on contestable and fair markets in the digital sector (Digital Markets Act)
Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 und anderer Bestimmungen (GWB-Digitalisierungsgesetz) vom 18. Januar 2021

Christian Kusulis, Rechtsanwalt
Caroline Cohen, Rechtsreferendarin
Frankfurt a. M.

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