Referentenentwurf der 10. GWB-Novelle offiziell: Änderungen in der Zusammenschlusskontrolle und insbesondere ein neues Aufgreifinstrument
Nachdem im Oktober eine erste Fassung geleakt war, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie am 23. Januar 2020 den als „GWB Digitalisierungsgesetz“ betitelten Entwurf der 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nunmehr offiziell in Umlauf gebracht und im Bereich der Fusionskontrolle mit Aufnahme eines gänzlich neuen Aufgreifinstruments noch einmal ordentlich nachgelegt.
Inhaltlich geht es – wie der Name des Referentenentwurfs „GWB Digitalisierungsgesetz“ schon vermuten lässt – bei der 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) um Themen der Digital- bzw. einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft, deren wettbewerblichen Herausforderungen effektiver begegnet werden können soll. Die 10. GWB-Novelle setzt damit am Koalitionsvertrag an, der sich an verschiedenen Stellen zum Wettbewerbsrecht im Kontext der Digitalisierung verhält.
Im Bereich der Fusionskontrolle geht es dem Referentenentwurf hingegen nicht um Fragen der Digitalisierung, sondern darum, „einzelne Aspekte der Fusionskontrolle sowohl im Hinblick auf verfahrens- als auch materiell-rechtliche Fragestellungen zu optimieren“, und zwar wie folgt.
Anhebung der 2. Inlandsumsatzschwelle
Nach derzeit geltendem Recht ist ein Zusammenschlussvorhaben beim Bundeskartellamt anzumelden, wenn im letzten abgeschlossen Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss (a) die beteiligten Unternehmen insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als EUR 500 Millionen und (b) im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als EUR 25 Millionen sowie (c) ein anderes beteiligtes Unternehmen im Inland Umsatzerlöse von mehr als EUR 5 Millionen erzielt haben. Die gute Nachricht für M&A im Mittelstand: Die 2. Inlandsumsatzschwelle soll nun von EUR 5 Millionen auf EUR 10 Millionen angehoben werden (siehe aber im Folgenden das neue Aufgreifinstrument). Damit soll das Bundeskartellamt entlastet und es soll ihm die Fokussierung auf die „wettbewerblich relevantesten Zusammenschlüsse“ ermöglicht werden.
Dazu ein paar Zahlen: Die Anmeldezahlen sind seit 2013 kontinuierlich gestiegen. 2019 hat das Bundeskartellamt rund 1.400 angemeldete Verfahren geprüft, davon 14 in der so genannten Phase 2 vertieft. Der Referentenentwurf geht davon aus, dass die Anhebung der erstmals 2009 eingeführten 2. Inlandsumsatzschwelle zu einer Verringerung der Anmeldezahlen um etwa 20 % bzw. 270 Zusammenschlüssen führt sowie 1 Hauptprüfverfahren weniger zu erwarten ist.
Entfallen der „Anschlussklausel“
Infolge der Anhebung der 2. Inlandsumsatzschwelle soll die so genannte „Anschlussklausel“ entfallen, nach der die Vorschriften der Fusionskontrolle derzeit keine Anwendung finden, wenn sich ein Unternehmen, das nicht im Sinne von § 36 Abs. 2 GWB abhängig ist und das im vergangenen Geschäftsjahr weniger als EUR 10 Millionen an Umsatz erlöst hat, mit einem anderen Unternehmen zusammenschließt.
Änderung der „Bagatellmarktklausel“
Die Bagatellmarktklausel, die schon vor einigen Jahren von der formellen Fusionskontrolle (muss angemeldet werden?) in die materielle verschoben wurde (bestehen wettbewerbliche Bedenken?), soll nunmehr dahingehend geändert werden, dass ein Bagatellmarkt bis zu einer Größe von EUR 20 Millionen (bisher EUR 15 Millionen) angenommen werden kann. Allerdings soll damit auch eine Verschärfung verknüpft werden, denn der Referentenentwurf bestimmt, dass im Falle einer gebündelten Marktbetrachtung die Umsatzerlöse zu kumulieren sind.
Ermittlung der Umsatzerlöse nach IFRS
Nach derzeit geltendem Recht sind gemäß § 36 Abs. 1 GWB die Umsatzerlöse nach § 277 HGB zu ermitteln. Wenn ein Unternehmen für seine regelmäßige Rechnungslegung ausschließlich einen anderen international anerkannten Rechnungslegungsstandard verwendet, soll künftig für die Ermittlung der Umsatzerlöse dieser Standard maßgeblich sein.
Das Bundeskartellamt hat zwar von § 277 HGB abweichende Methoden zur Umsatzermittlung auch in der Vergangenheit immer wieder akzeptiert (jedenfalls wenn die abweichende Ermittlung keinen Anlass für wettbewerbliche Bedenken gab). Damit wäre aber klar, dass Umsatzerlöse für die Zwecke der Fusionskontrolle auch nach IFRS ermittelt werden dürfen, allerdings nach dem eindeutigen Wortlaut des Referentenentwurfs nur dann, wenn Umsatzerlöse nur nach IFRS und nicht auch nach HGB bestimmt werden.
Presserechenklausel: Halbierung des Faktors
Der Faktor der so genannten „Presserechenklausel“ soll nach dem GWB Digitalisierungsgesetz von 8 auf 4 reduziert werden. Dies bedeutet, dass für Verlag, Herstellung und Vertrieb von Zeitungen, Zeitschriften und deren Bestandteilen künftig nur noch das Vierfache der entsprechenden Umsatzerlöse im Rahmen der formellen Fusionskontrolle (s.o.: Muss angemeldet werden?) zugrunde zu legen ist. Die Anpassung soll so einer „gewachsene(n) Kon-kurrenz durch neue Anbieter und ein(em) deutlich geänderte(n) Nutzerverhalten“ Rechnung tragen.
Aufforderung zur Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse
Der Referentenentwurf stellt zwar (noch immer) fest, dass ein „spezieller Aufgreiftatbestand für den systematischen Aufkauf wachstumsstarker Unternehmen durch „marktstarke Digitalkonzerne“ – wie ihn die Studie zur „Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen“ diskutiert – (…) derzeit nicht als erforderlich erachtet“ wird.
Neu hinzugekommen seit der geleakten Fassung ist jedoch ein neuer § 39a GWB, nach dem das Bundeskartellamt „ein Unternehmen durch Verfügung auffordern (kann), jeden Zusammenschluss des Unternehmens mit anderen Unternehmen in einem oder mehreren bestimmten Wirtschaftszweigen anzumelden, wenn 1. das Unternehmen im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von mehr als 250 Millionen Euro erzielt hat und 2. Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der Wettbewerb im Inland in den genannten Wirtschaftszweigen eingeschränkt werden kann“. Nach Absatz 2 der Bestimmung soll das gelten „für Zusammenschlüsse bei denen 1. das zu erwerbende Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr Umsatzerlöse von mehr als 2 Millionen Euro erzielt hat und 2. mehr als zwei Drittel seiner Umsatzerlöse im Inland erzielt hat.“
Nach der Begründung des Referentenentwurfs soll damit den Fällen Rechnung getragen werden, in denen „ein Unternehmen mehrere Erwerbsvorgänge auf den gleichen sachlich relevanten Märkten durchführt und bei denen auf Veräußererseite unterschiedliche Personen oder Unternehmen stehen“, so dass § 38 Abs. 5 Satz 3 GWB nicht zur Anwendung kommt, der schon jetzt bestimmt, dass zwei oder mehr Teilerwerbe, die innerhalb von zwei Jahren zwischen denselben Personen oder Unternehmen (!) getätigt werden, als ein einziger Zusammenschluss behandelt werden, wenn dadurch erstmals die Umsatzschwellen des § 35 GWB erreicht werden. Mit dem neuen Aufgreiftatbestand soll somit bewirkt werden, dass der systematische Zukauf kleinerer Unternehmen durch größere, der bislang völlig unter dem Radar der Zusammenschlusskontrolle bleibt, künftig vom Bundeskartellamt geprüft werden kann. Besonders im Blick hat der Referentenentwurf dabei Regionalmärkte, auf denen sich größere Unternehmen und Konzerne durch entsprechende Erwerbsstrategien eine Vormachtstellung zu Lasten des Mittelstands erkaufen könnten.
Mit dem neuen Aufgreifinstrument soll dem Bundeskartellamt daher ein Tätigwerden ermöglicht werden, „bevor in bestimmten Märkten eine marktbeherrschende Stellung großer Unternehmen entsteht“, und zwar unterhalb der geltenden bzw. neuen Inlandsumsatzschwellen, wobei die Wirtschaftszweige, für die das gelten soll, in der konkret Aufforderung zu benennen sein sollen.
Aus Verhältnismäßigkeitsgründen (die Aufforderung des Bundeskartellamts ist ein Verwaltungsakt) sieht die neue Vorschrift ferner nach Abs. 3 eine zeitliche Beschränkung vor, d.h. die Anmeldepflicht soll für drei Jahre ab Bestandskraft der Entscheidung gelten – wobei die Aufforderung bei Bestehen wettbewerblicher Bedenken erneuert werden können soll.
Abschließend geht der Referentenentwurf davon aus, dass die Regelung des § 39a GWB nur eine „ergänzende Funktion für bestimmte Wirtschaftszweige“ zukomme. Daher sei auch „davon auszugehen, dass die Regelung jährlich nur auf circa ein bis drei Unternehmen angewandt wird“.
Frist bis zum 04. Februar 2021
Gesetzgeberischer Anlass der 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist die Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und des Rates, die eine Stärkung der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften beabsichtigt. Die Richtlinie muss bis spätestens zum 04. Februar 2021 umgesetzt werden. Mit Fortgang und Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist daher noch im Laufe des Jahres 2020 zu rechnen.
(Bundeskartellamt – Jahresrückblick 2019)
Christian Kusulis, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main