September 2023 Blog

Trotz Vertriebsverantwortung: Keine Altgesellschafterhaftung für Fehler in nach dem 1.6.2012 veröffentlichten Verkaufsprospekten?

Der Burgfrieden zwischen dem II. und XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) zum eingeschränkten Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung könnte von nur kurzer Dauer gewesen sein. Für Verkaufsprospekte, die nach dem 31.5.2012 veröffentlicht wurden, prescht nun erneut der XI. Senat vor.

Vorgeschichte

Seit der Rechtsprechungsänderung des XI. Senats des BGH vom 19.2.2021 (mehr) stand zunächst fest, dass eine Haftung von Gründungsgesellschafter unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF ausgeschlossen ist. Eine solche Haftung werde durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt. Und zwar unabhängig davon, ob die Altgesellschafter „nur“ Gesellschafter sind, an der Komplementärin kapitalmäßig beteiligt sind oder sogar die Geschäftsführung der Fondsgesellschaft innehaben (mehr). Ob ein Emissionsprospekt fehlerfrei oder fehlerhaft ist, konnte vor diesem Hintergrund in der Praxis zumeist dahinstehen, da spezialgesetzliche Ansprüche längst verjährt waren.

Der II. Senat sah dies allerdings bis zuletzt anders und lehnte einen Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung kategorisch ab. Mit Beschluss des II. Senats vom 27.6.202 (mehr) dann die Wende: Es bestehe nunmehr Einigkeit mit dem XI. Senat, dass eine vorvertragliche Aufklärungspflicht den Gründungsgesellschafter unbeschadet der spezialgesetzlichen Prospekthaftung dann trifft, wenn entweder er selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernommen oder in sonstiger Weise für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung getragen und damit dem Anleger gegenüber einen zusätzlichen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.

Erneutes Vorpreschen des XI. Senats

Dem hat sich der XI. Senat zwar mit Beschluss vom 11.7.2023 angeschlossen. Allerdings lediglich insoweit, als eine spezialgesetzliche Prospekthaftung gemäß § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF in Rede steht.

Anders sei das im Anwendungsbereich der §§ 20, 21 VermAnlG, §§ 9, 10, 14 WpPG (Vorgängerfassung: §§ 21 ff. WpPG) sowie des § 127 InvG in der bis zum 21. Juli 2013 geltenden Fassung und des § 306 KAGB. Nach dem XI. Senat schließen diese Vorschriften in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB auch dann aus, wenn der Altgesellschafter den Vertrieb der Beteiligungen übernimmt oder in sonstiger Weise für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung trägt. Begründet wird dies mit systematischen und gesetzgeberischen Erwägungen bei Schaffung der den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. nachfolgenden spezialgesetzlichen Haftungsregimes.

Für § 127 InvG aF und § 306 KAGB ergebe sich dies schon daraus, dass deren persönlicher Anwendungsbereich auch diejenigen Personen umfasse, die Anteile im eigenen Namen gewerbsmäßig verkauft oder gewerbsmäßig den Verkauf der Anteile vermittelt oder die Anteile im fremden Namen verkauft haben.

Auch den §§ 20, 21 VermAnlG komme die dargestellte Ausschlusswirkung zu. Dies beruhe darauf, dass die Vorschriften Teil eines vom Gesetzgeber in zahlreichen Bereichen weiterentwickelten Haftungsregimes seien, mit dem der Gesetzgeber von ihm erkannte Schutzlücken habe schließen und die Prospekthaftung partiell verschärfen wollen. Daneben sei für eine Haftung wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen kein Raum mehr, was auch hinsichtlich der §§ 9, 10, 14 WpPG gelte.

Ausblick

Es wird abzuwarten sein, wann und wie sich der II. Senat mit Blick auf die stichhaltige Argumentation des XI. Senats zur Frage der Verdrängungswirkung der spezialgesetzlichen Prospekthaftungsnormen für Verkaufsprospekte ab dem 1.6.2012 positionieren wird. Es wäre jedoch keine Überraschung, wenn hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

(BGH, Beschluss vom 11. Juli 2023 – XI ZB 20/21)

 

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