Verlust der Gesellschafterstellung wegen zu niedrig angesetzten Streitwerts einer Anfechtungsklage
Dass man nicht am falschen Ende sparen sollte, ist eine Binsenwahrheit. Hieran erinnert ein aktuelles Urteil des Landgerichts Darmstadt (LG), in welchem die Anfechtungsklage eines GmbH-Gesellschafters gegen seinen Ausschluss mangels Zustellung „demnächst“ als verfristet bewertet wird.
Sachverhalt
Kläger (K) und Nebenintervenient (N) sind Brüder und bereits seit längerem in Gesellschafterstreitigkeiten verwickelt. K hielt 49,5% und N 50,5% der Geschäftsanteile der beklagten GmbH. In einer streitigen Gesellschafterversammlung Ende Dezember 2023 wurde auf Vorschlag des N unter Widerspruch des K der D zum Versammlungsleiter gewählt. Mit der Stimmenmehrheit des N wurde u.a. in den TOP 3 bis 5 beschlossen, dass K mit sofortiger Wirkung vom Amt des Geschäftsführers abberufen, sein Dienstvertrag aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung gekündigt und K aus wichtigem Grund vorsorglich erneut aus der Gesellschaft ausgeschlossen werde.
Gemäß Gesellschaftsvertrag war die Einlegung von Rechtsmitteln jeder Art nur innerhalb einer Frist von einem Monat nach Beschlussfassung zulässig. Die Klageschrift des K erreichte das Landgericht am letzten Tag dieser Frist Ende Januar 2024, wurde jedoch erst am 18.10.2024 zugestellt.
Hierzu war es u.a. deshalb gekommen, weil der Prozessbevollmächtigte des K in seiner Klage einen erheblich zu niedrigen Streitwert von lediglich EUR 25.000,- angegeben hatte, weshalb die Kostenbeamtin am 7.2.2024 einen entsprechend zu niedrig bemessenen Gerichtskostenvorschuss anforderte, den der Kläger am 13.2.2024 eingezahlt hat. Mit Schreiben vom 15.2.2024 hat der Vorsitzende des LG dem Klägervertreter mitgeteilt, dass die Angabe eines Streitwerts von EUR 25.000,- nicht nachvollziehbar sei. Mit Beschluss vom 21.3.2024 hat die Kammer unter Berücksichtigung weiterer Ausführungen des Klägers den Streitwert vorläufig auf EUR 7.396.464,- festgesetzt. Unter dem 8.4.2024 wurde der Vorschuss aus diesem Streitwert angefordert und am 25.7.2024 vom Kläger eingezahlt.
Mit seiner Anfechtungsklage von Ende Januar 2024 hat K insbesondere beantragt, die Nichtigkeit der Beschlüsse zu TOP 3 bis 5 festzustellen.
Entscheidung
Das Landgericht wies die Klage als unbegründet zurück.
Die Anfechtungsklage sei nicht innerhalb der gesellschaftsvertraglich festgelegten Anfechtungsfrist von einem Monat erhoben worden. Dabei ging das Landgericht zutreffend davon aus, dass die Klage innerhalb dieser Frist nicht nur bei Gericht eingegangen, sondern der Beklagten auch zugestellt worden sein musste. Dies ergab sich zwar nicht aus dem Wortlaut, aber aus Sinn und Zweck dieser Regelung, den Gesellschaftern aus Gründen der Rechtssicherheit zügig Gewissheit über die Bestandskraft gefasster Beschlüsse zu beschaffen. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sei die Anfechtungsfrist jedoch längst abgelaufen gewesen.
Die Klage gelte auch nicht deshalb als noch fristgerecht erhoben, weil der Kläger bereits fünf Tage nach der ersten Kostenanforderung vom 7.2.2022 den auf Basis des zu geringen Streitwerts errechneten Gerichtskostenvorschuss eingezahlt hatte und damit eine Zustellung „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO erfolgt wäre. In diesem Fall würde die Klage trotz verspäteter Zustellung noch als rechtzeitig erhoben gelten. Die Voraussetzungen des § 167 ZPO hätten jedoch nicht vorgelegen. Eine Zustellung „demnächst“ nach Eingang des Klageantrags bei Gericht erfordere die Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, soweit seitens der Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan wurde. Dabei seien regelmäßig dem Zustellungsveranlasser zuzurechnende Verzögerungen von bis zu 14 Tagen als geringfügig anzusehen und deshalb hinzunehmen.
Diese Voraussetzungen aber lagen hier nach Auffassung des LG nicht vor.
Der Klägervertreter, ein Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, habe den erheblich zu niedrigen Streitwert von lediglich EUR 25.000,- vorsätzlich deutlich zu niedrig angegeben, um dem Kläger in erheblichem Umfang Gerichtskosten einzusparen. Aufgrund dieser Täuschung der Kostenbeamtin habe der Kläger nicht davon ausgehen können, dass nach Einzahlung des unter dem 7.2.2024 angeforderten (deutlich zu niedrigen) Kostenvorschusses eine Zustellung der Klage bewirkt werden würde und er alles Erforderliche dazu getan hätte. Vielmehr habe der Kläger erst mit Einzahlung des vollständigen Kostenvorschusses am 25.7.2024 aus dem mit Beschluss vom 21.3.2024 vorläufig festgesetzten Streitwert in Höhe von EUR 7.396.464 (!) alle für eine ordnungsgemäße Klagezustellung geforderten Mitwirkungshandlungen erbracht. Diese durch die Falschangabe verursachte Verzögerung von mehreren Monaten aber sei nicht mehr als nur geringfügig und deshalb hinnehmbar anzusehen.
Aus prozessualen Gründen musste das LG anschließend noch Stellung zu der Frage beziehen, ob die streitgegenständlichen Beschlüsse eventuell analog § 241 Nr. 1 Aktiengesetz (AktG) nichtig sein könnten. Dies deshalb, weil nach dem Bundesgerichtshof (BGH) eine Anfechtungsklage stets auch den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der angegriffenen Beschlüsse beinhaltet. Für eine Nichtigkeit sah das LG jedoch im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte als gegeben an.
Anmerkungen
Es gibt viele Konstellationen, in der es auf eine rechtzeitige Klageerhebung ankommt, zu der regelmäßig nicht nur der Eingang der Klage bei Gericht, sondern auch deren formelle Zustellung an den Beklagten gehört, welche erst die Klage rechtshängig werden lässt. Hierzu zählt ganz sicher die Hemmung der Verjährung von Ansprüchen, die mit Ablauf eines Jahres zu verjähren drohen (vgl. § 199 Abs. 1 BGB, sog. „Jahresendverjährung“).
Ebenso hierzu zählt das Anfechtungsrecht von Aktionären oder GmbH-Gesellschaftern, die sich gegen missliebige Beschlüsse der jeweiligen Gesellschafterversammlungen wehren wollen. Für dieses gilt gemäß (bzw. für die GmbH analog) §§ 243, 246 Abs. 1 AktG eine Anfechtungsfrist von 1 Monat nach Beschlussfassung. Wurden Beschlüsse nicht innerhalb dieser Frist wirksam angefochten, werden sie unanfechtbar und gelten trotz etwaiger Mängel sozusagen als „geheilt“. Anders nur, wenn die Mängel der Beschlussfassung so erheblich sind, dass die Beschlüsse von Anfang an nichtig waren. In diesem Fall muss die Nichtigkeit nicht (wie bei der Anfechtungsklage, vgl. § 248 AktG) vom Gericht angeordnet, sondern lediglich festgestellt werden. Prozessual erfolgt dies über die nicht fristgebundene Nichtigkeitsklage gemäß § 249 AktG. Dies ist auch der Grund dafür, dass das LG in seiner Entscheidung die Beschlüsse gemäß TOP 3 bis 5 auf eine etwaige Nichtigkeit zu überprüfen hatte: Nichtige Beschlüsse sind von Anfang an rechtlich nicht existent und können daher auch nicht durch Ablauf der Anfechtungsfrist „geheilt“ werden.
Dies vorausgeschickt besteht die Besonderheit des Urteils darin, dass das LG in einer wertenden Entscheidung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 167 ZPO (Zustellung „demnächst“) dem Kläger die Hilfe dieser Norm deshalb verweigert hat, weil dessen Prozessbevollmächtigter vorsätzlich einen um mehr als EUR 7,3 Mio. (!) zu niedrigen Streitwert angegeben hatte. Soweit ersichtlich, findet sich diese Konstellation im Zusammenhang mit der Unanwendbarkeit des § 167 ZPO in der einschlägigen Kommentarliteratur zwar nicht. Die Wertung des LG ist gleichwohl uneingeschränkt zu begrüßen. Denn das grob pflichtwidrige Handeln seines Prozessvertreters sollte nach Auffassung des Landgerichts ganz offensichtlich den Kläger vor der Belastung mit einem erheblichen Gerichtskostenvorschluss bewahren, da er statt des tatsächlich angefallenen Kostenvorschusses in Höhe von EUR 93.675,- lediglich EUR 1.233,- gezahlt hatte. Der Sache nach hat der Kläger damit den Versuch unternommen, sich die alsbaldige Zustellung der Klage und damit die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO vorsätzlich und rechtswidrig zu erschleichen. Die dadurch verursachte Verzögerung zwischen der Einzahlung des zu niedrigen Gerichtskostenvorschusses am 13.2.2024 und der Einzahlung des korrekten Vorschusses am 27.7.2024 war daher dem Kläger anzulasten mit der Folge, dass die Zustellung nicht „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO erfolgte. Im Ergebnis führte die pflichtwidrige „Taktik“ des Klägeranwaltes letztlich dazu, dass der Kläger u.a. seinen Gesellschaftsanteil verloren hat.
Sollte das Urteil in Rechtskraft erwachsen, dürfte der Prozessbevollmächtigte des Klägers früher oder später mit Regressansprüchen des Klägers konfrontiert werden, wobei zu beachten sein wird, dass die Verjährungsfrist etwaiger Regressansprüche mit Erlass des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnen dürfte. Sollte es also zukünftig darauf ankommen, die Verjährung etwaiger Regressansprüche durch Klageeinreichung zu hemmen, dürfte der Kläger entsprechend vorgewarnt sein.
(LG Darmstadt, Urteil vom 5. Mai 2025 – 18 O 5/24)

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