Von Wundauflagen, Werbung und Wissenschaft
Werbung darf nicht in die Irre führen, also eine Vorstellung vom beworbenen Produkt vermitteln, die in Wahrheit gar nicht zutrifft. Das gilt umso mehr bei Medizinprodukten, für die zusätzlich ganz besondere (strenge) Regeln im Heilmittelwerbegesetz (HWG) beziehungsweise der EU-Verordnung 2017/745 (Medical Device Regulation, kurz MDR) gelten.
Sachverhalt
Verstöße gegen das UWG oder HWG sind häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. So auch in einem Fall, welchen das OLG Hamm im April zu entscheiden hatte. Erstmals hatte das OLG Hamm dabei einen Sachverhalt auf der Basis der MDR zu beurteilen. Die Vorschriften der MDR ersetzen das HWG teilweise und ergänzen es. Das HWG wiederum ergänzt das UWG. Der Regulierungsrahmen für Werbung im medizinischen Bereich wird dichter. Artikel 7 der MDR schreibt vor, dass keine Angaben über Eigenschaften oder Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten gemacht werden dürfen, die nicht zutreffen. Über Risiken muss aufgeklärt werden, und es dürfen nur die Verwendungen empfohlen werden, für die ein (besonderes) Konformitätsverfahren durchgeführt wurde. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist gem. § 3a UWG wettbewerbswidrig. Das leuchtet auch unmittelbar ein, soweit es etwa um Medikamente geht.
Im zu entscheidenden Fall ging es aber um ein Medizinprodukt: Wundauflagen – also Kompressen, wie sie in jedem Kfz-Verbandkasten zu finden sind. Man muss nicht medizinisch ausgebildet sein, um sie anzuwenden. Die MDR legt im Anhang VIII, Kapitel III, Regel 4 daher auch fest, dass es sich im Grundsatz um ein Medizinprodukt der (niedrigsten) Risikoklasse I handelt. Die Wundauflagen wurden auf der Website wie folgt beschrieben: „Anwendungsbereich: infizierte Wunden“ und „Wundstadien: Infektion“. Um die Rechtmäßigkeit dieser Bewerbung wurde in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (einstweilige Verfügung) gestritten. Eine solche (vermeintliche) Eile besteht bei Werbung für Medizinprodukten häufig.
Aber auch im einstweiligen Verfügungsverfahren ist der Maßstab der Irreführung gem. Art. 7 MDR bzw. § 5 UWG entscheidend. Es kommt darauf an, ob die Realität von der Vorstellung durch die Bewerbung abweicht. Werbung in diesem Sinne ist bereits die bloße Präsentation auf der Website. Für die Irreführung kommt es auf die Vorstellung der durch die Werbung angesprochenen Personen an, die sogenannten Verkehrskreise. Hier kam es auf medizinisches Personal, aber auch auf Laien an: Denn diese verwenden die Kompressen auch selbst. Das OLG Hamm hat hier die ständige Rechtsprechung bestätigt, dass die Irreführung in schon einem der angesprochenen Verkehrskreise ausreicht. Auch Laien gegenüber darf eine Angabe über das Medizinprodukt keine Fehlvorstellung auslösen.
Eine Fehlvorstellung lag hier zur Überzeugung des Gerichts vor, indem die Wundauflagen für infizierte Wunden und Infektionen beworben wurden. Denn mit der Aussage, die Wundauflagen seien für infizierte Wunden geeignet, entsteht bei Laien die Vorstellung, dass die Wundauflagen besondere Eigenschaften hätten – also aus einem bestimmten Grund besonders gut geeignet sind, wenn eine Wunde infiziert ist. Das müsste der Hersteller, der die Werbung macht, aber nachweisen. Das sogenannte „Strengeprinzip“ verlangt dann sogar einen wissenschaftlichen Nachweis: Es muss vor der Bewerbung eine randomisierte, placebo-kontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung durchgeführt und publiziert werden (sogenannter Goldstandard). Einen solchen Nachweis konnte die Beklagte für eine Wundauflage nicht führen.
Praxishinweis
Das Ergebnis überrascht in der Konsequenz: Für Angaben über Medizinprodukte mit vergleichsweise geringem Risiko sollte eine wissenschaftliche Studie zum Nachweis vorgelegt werden. Die Entscheidung ist aber folgerichtig, wenn man die Systematik der MDR ernst nimmt: Medizinprodukte sind potentiell riskant. Wofür sie verwendet werden sollen, muss genau geprüft werden. Und die Verwendung gibt der Hersteller in der Werbung schon dann vor, indem er einen Zweck bestimmt. Jede Angabe muss also stimmen. Bei gesundheitsbezogenen Angaben stimmt die Werbung nur dann, wenn eine Studie nach dem Goldstandard durchgeführt wurde. Die Gestaltung rechtssicherer Werbung für Medizinprodukte ist daher auch unter Geltung der MDR nicht einfacher geworden. Jede Aussage zum Produkt sollte auf ihre nachweisbare Richtigkeit geprüft werden.
(OLG Hamm, Urteil vom 21. April 2022, Aktenzeichen 4 U 39/22)