Zu viel Marktmacht? EuG erklärt die Corona-Beihilfen zugunsten der Deutschen Lufthansa für rechtswidrig
Nach dem weltweiten Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 kam der globale Flugverkehr innerhalb von wenigen Tagen nahezu vollständig zum Erliegen. Die Deutsche Lufthansa AG geriet wie viele ihrer Konkurrenten in existenzielle Schwierigkeiten und erhielt staatliche Unterstützung, unter anderem von der Bundesrepublik Deutschland. Die Europäische Kommission genehmigte die staatlichen Beihilfen der Bundesrepublik Deutschland – nach Ansicht des Gerichts der Europäischen Union (EuG) allerdings zu Unrecht.
Das deutsche Maßnahmenpaket und die Genehmigung der Kommission
Die Kommission hatte am 19. März 2020 einen sog. „Befristeten Krisenrahmen“ verabschiedet, mit dem die Mitgliedsstaaten durch eine Flexibilisierung der Regeln für staatliche Beihilfen die Möglichkeit erhalten sollten, die Wirtschaft im Zusammenhang mit den Folgen der Corona-Pandemie zu unterstützen.
Daraufhin meldete die Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Kommission am 12. Juni 2020 eine Einzelbeihilfe in Form einer Rekapitalisierung in Höhe von 6 Mrd. Euro an, die sie der Deutschen Lufthansa AG gewährt hatte. Diese Rekapitalisierung, die Teil eines größeren Pakets von Unterstützungsmaßnahmen zugunsten der Lufthansa war, zielte darauf ab, in der durch die Covid-19-Pandemie hervorgerufenen Ausnahmesituation die Bilanzpositionen und die Liquidität der Unternehmen der Lufthansa Group wiederherzustellen.
Die Europäische Kommission genehmigte auf Grundlage dieses Krisenrahmens das deutsche Maßnahmenpaket zugunsten der Lufthansa mit dem Beschluss Nummer SA.57153, knüpfte die Billigung aber an Auflagen. Diese bestanden u.a. darin, dass Lufthansa an seinen Drehkreuzen Frankfurt und München Start- und Landerechte (sog. Slots) abgeben musste. Diese Kommissionsentscheidung veranlasste die Lufthansa-Wettbewerber Ryanair und Condor, Nichtigkeitsklagen gegen den zugehörigen Beschluss (Beschl. v. 25.06.2020, Az. C(2020) 4372 final) zu erheben. Sie sahen sich durch den Genehmigungsbeschluss unmittelbar und individuell in ihren Rechten betroffen.
Das Urteil des EuG
Das EuG kam zu dem Ergebnis, dass die Kommission sich nicht an diejenigen Regeln gehalten hat, die sie sich selber mit dem befristeten Krisenrahmen auferlegt hat. Daher war die Genehmigungsentscheidung der deutschen Beihilfenmaßnahme für nichtig zu erklären. Insgesamt werfen die Richter der Wettbewerbsbehörde die folgenden Fehler vor:
Förderfähigkeit der Lufthansa: Staatliche Rekapitalisierung als einzige Möglichkeit?
Die Kommission hat laut dem EuG nicht in ausreichender Weise geprüft, ob die Lufthansa die in der Krise benötigten Finanzmittel nicht auch selbst auf den Märkten hätte beschaffen können. Weder der Wortlaut noch der Zweck noch der Regelungskontext von Rn. 49 Buchst. c des Befristeten Rahmens stützen nach dem EuG die Auffassung der Kommission, dass der Beihilfeempfänger außerstande sein muss, sich Finanzmittel in Höhe seines gesamten Bedarfs auf den Märkten zu beschaffen. Sie hätte zumindest (ergebnisoffen) prüfen müssen, inwieweit Lufthansa über ausreichend Sicherheiten, z.B. in Form unbelasteter Flugzeuge, verfügt hätte, die eine Aufnahme weiterer Kredite am Markt möglich gemacht hätten.
Vergütung und Ausstieg des Staates: Kein Staffelungsmechanismus
Der Befristete Krisenrahmen verlangt ein Anreizsystem für Beihilfenempfänger, das für die staatliche Kapitalzuführung verwendete Instrument zurückzukaufen. Bei Eigenkapitalinstrumenten wie der in Rede stehenden Kapitalbeteiligung verlangt der Krisenrahmen im Speziellen einen Staffelungsmechanismus, nach dem sich die Vergütung für den Staat im Gegenzug zur Kapitalzuführung erhöht. Alternativ kann die Kommission laut dem Krisenrahmen auch andere Mechanismen akzeptieren, sofern sie insgesamt in Bezug auf die Anreize für den Ausstieg des Staates zu einem ähnlichen Ergebnis führen und eine ähnliche Gesamtwirkung auf die Vergütung für den Staat haben. Für letzteres hatte sich die Kommission im hiesigen Fall entschieden, jedoch zu Unrecht, denn die von Deutschland angemeldete Maßnahme könne dem EuG zufolge nicht zu einem ähnlichen Ergebnis führen. Während ein Staffelungsmechanismus einen Anreiz für den betreffenden Beihilfeempfänger schaffen soll, die staatlichen Anteile so bald wie möglich zurückzukaufen, zielt die von Deutschland getroffene Regelung über den Kaufpreis der Aktien im Wesentlichen darauf ab, zu gewährleisten, dass der Preis, zu dem der Staat Aktien erwirbt, nicht über dem Marktpreis liegt. Da der Preis der Aktien sowohl nach oben als auch nach unten schwanken kann, ist der Kaufpreis nicht unbedingt dazu angetan, im Lauf der Zeit den Anreiz für den betreffenden Beihilfeempfänger zu erhöhen, die staatlichen Anteile zurückzukaufen. Daraus folgt nach dem EuG, dass die Höhe des Aktienpreises beim Einstieg des deutschen Staates in das Kapital der Lufthansa entgegen dem Vorbringen der Kommission keinen alternativen Mechanismus zur Erhöhung der Vergütung bildete.
Es fehlte also an einem an die Beihilfengewährung gekoppelten Anreizelement für die Lufthansa.
Wie lässt sich die Marktmacht der Lufthansa auf den betreffenden Märkten feststellen?
Wenn es sich bei dem Empfänger einer Covid-19-Rekapitalisierungsmaßnahme, die sich wie hier auf mehr als 250 Mio. Euro beläuft, um ein Unternehmen handelt, das auf mindestens einem der relevanten Märkte, auf denen es tätig ist, über beträchtliche Marktmacht verfügt, müssen die Mitgliedstaaten nach den Vorgaben des Befristeten Krisenrahmens zusätzliche Maßnahmen zur Wahrung eines wirksamen Wettbewerbs auf diesen Märkten vorschlagen. Die Kommission habe aber nach dem EuG zum einen Rechtsfehler begangen, indem sie (in einem ersten Schritt) eine Marktmacht von Lufthansa nur für Frankfurt und München festgestellt hatte. Für die anderen Flughäfen, die Gegenstand ihrer Untersuchung waren – u.a. Brüssel, Palma de Mallorca, Wien und weitere deutsche Flughäfen – hatte sie eine Marktmacht verneint. Anders als von Ryanair gerügt, hätte sie aber nicht mehr Flughäfen prüfen müssen.
Die Kommission habe darüber hinaus nicht alle maßgeblichen Faktoren berücksichtigt, um eine Marktmacht der Lufthansa an den betreffenden Flughäfen zu beurteilen. Nur auf Basis von Kriterien, die im Wesentlichen mit der Flughafenkapazität zusammenhängen und den Zugang der Fluggesellschaften zur Flughafeninfrastruktur betreffen, ließe sich keine Schlussfolgerung treffen, was die Marktanteile der Lufthansa Group auf dem Markt für Passagierluftverkehr an den untersuchten Flughäfen betrifft. Vielmehr sei Verhältnis der Marktanteile der Lufthansa Group zu denen ihrer Konkurrenten ein gewichtiger Anhaltspunkt für das Bestehen einer beträchtlichen Marktmacht, wie etwa die Zahl der Flüge und der Sitzplätze, die von und zu den betreffenden Flughäfen angeboten werden. Die Kommission hatte nur Ersteres geprüft, Letzteres aber rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt.
Unzureichende strukturelle Abhilfeverpflichtungen bei zu großer Marktmacht
Das von der Lufthansa zugesagte Abtretungsverfahren von Flugrechten in Gestalt der Abgabe von Start- und Landeslots in bestimmten Zeiträumen sei zum anderen (in einem weiteren Schritt) nicht genügend, um einen wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten. Dieses Verfahren zur Abtretung der Zeitnischen, das aus zwei Phasen bestehen sollte, wurde erfolgreich von den Klägern beanstandet. In der ersten Phase sollten die Zeitnischen nur „neuen Marktteilnehmern“ angeboten werden. Falls die Zeitnischen nach einem bestimmten Zeitraum, der sich über mehrere Saisons erstreckte, noch nicht an einen neuen Marktteilnehmer abgetreten wurden, sollten sie in einer zweiten Phase Luftfahrtunternehmen zur Verfügung gestellt werden, die an einem der beiden Flughäfen bereits eine Basis besaßen. Die Kommission habe aber nicht geprüft, ob es im Hinblick auf eine wirksame Reduzierung der Marktmacht angemessen gewesen sei, die Konkurrenten, die an den Flughäfen Frankfurt und München bereits eine Basis besaßen, von der ersten Phase des Verfahrens auszuschließen. Im Gegenteil wäre eine solche Angemessenheitsprüfung zwingend notwendig gewesen, denn der Ausschluss dieser Konkurrenten von der ersten Phase des Verfahrens die Gefahr bringt nach dem EuG die Gefahr mit sich, den Wettbewerb an diesen Flughäfen noch stärker zu fragmentieren. Dies ist ein deutliches Signal an die Kommission, an dieser Stelle nachzubessern.
Die Folgen und praktischen Auswirkungen: Ein Ausblick
Zunächst ist festzuhalten, dass die Stabilisierungsmaßnahme bereits vor dem Urteil des EuG vollständig beendet worden war und die stillen Einlagen sogar schon 2021 vollständig von der Lufthansa zurückgezahlt wurden. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der für die Bundesrepublik das Aktienpaket für einen Preis von 2,56 EUR pro Aktie erworben hatte, hat die Aktien im vergangenen Jahr mit einem Gewinn von 760 Mio. EUR veräußert. Damit waren die Rekapitalisierungsmaßnahmen bereits vor Erlass des Urteils zurückgeführt worden und dank des Veräußerungsgewinns sogar ein „guter Deal“ für die Bundesrepublik.
Ob die Kommission bei der ersten Frage der Beurteilung des Finanzbedarfs zu einem anderen Ergebnis kommen wird, ist für Lufthansa von geringer praktischer Bedeutung. Die Kommission jedenfalls muss ihre Prüfung und die Begründung detaillierter nachschärfen.
Inwiefern die Schaffung eines Anreizeffektes durch Einfügung eines Staffelungsmechanismus zudem noch praktisch wirksam erscheint, ist fraglich und wohl eher formaler Natur. Infolge einer weiteren, aus dem Krisenrahmen folgenden Auflage wurde der Lufthansa untersagt, eine Beteiligung an einem Wettbewerber mit mehr als 10% zu erwerben, so lange nicht mindestens 75% der stillen Einlagen abgelöst worden sind. Medienberichten zufolge plant die Lufthansa derzeit eine Beteiligung an der italienischen Fluggesellschaft ITA von 40%. Diese strategische Unternehmensentscheidung dürfte der Anreiz für die die Lufthansa gewesen sein, auch ohne einen Staffelungsmechanismus die Aktien zurückzukaufen.
Deutschland wird die Beihilfen (in abgeänderter Form, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts) wieder anmelden müssen und die EU-Kommission wird dann ebenso unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entscheiden. Es ist verfahrenstechnisch möglich und sogar zu erwarten, dass sie mit einer neuen und tragfähigen Begründung erneut zu einer Genehmigung kommt.
Schmerzhaft für die Lufthansa dürfte allerdings die Frage der konkreten Maßnahmen für den Ausgleich einer Wettbewerbsbeeinträchtigung sein und wie die Kommission diese Frage beantwortet. Letztlich muss die Antwort den Anforderungen aus dem Befristeten Krisenrahmen gerecht werden und einen wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt gewährleisten. Dies wird wohl nachträglich neue Auflagen für die Lufthansa zur Folge haben, insbesondere in Bezug auf den Wettbewerb an den Flughäfen Düsseldorf und Wien. Denkbar ist hier auch eine Abgabe weiterer Start- und Landeslots durch die Lufthansa.
Die Verfahrensbeteiligten können gegen das Urteil Rechtsmittel zum Gerichtshof der Europäischen Union einlegen. Lufthansa wie auch die Kommission teilten jeweils mit, dass man das Urteil analysieren und dann über das weitere Vorgehen entscheiden werde.
Das Urteil des EuG reiht sich währenddessen in eine Historie zahlreicher Gerichtsentscheidungen ein, die zeigt, dass der Luftverkehrssektor einer der Bereiche mit den meisten beihilfenrechtlichen Rechtstreitigkeiten vor den Unionsgerichten ist. Es bleibt also spannend.