März 2020 Blog

Webmail-Dienste sind keine Tele­kommu­nika­tions­dienste

Die Einordnung von sog. Over-the top („OTT“)-Diensten unter das Telekommunikationsgesetz (TKG) ist eine seit Jahren umstrittene Frage. Hierbei handelt es sich um Dienste, die über das offene Internet, nicht über klassische Festnetz- oder Mobilfunknetze realisiert werden. Internetbasierte E-Mail-Dienste (Webmail-Dienste) gehören dazu. Die Bundesnetzagentur sah das bisher anders und führte darüber mit Google eine mehrjährige Auseinandersetzung. Das OVG Münster hat mit Urteil vom 05.02.2020, Az. 13 A 17/16, in diesem Verfahren entschieden.

Sachverhalt

Bereits im Jahr 2012 erließ die Bundesnetzagentur einen Bescheid gegenüber Google, in dem festgestellt wurde, dass es sich bei dem Webmail-Dienst „Gmail“ um einen Telekommunikationsdienst im Sinne des TKG handele und Google deswegen verpflichtet sei, sich als Telekommunikationsanbieter im Register der Bundesnetzagentur anzumelden. Google wehrte sich gerichtlich gegen diese Feststellung. In erster Instanz wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Im Berufungsverfahren legte das OVG Münster dem EuGH Fragen zur Auslegung des Begriffs „Telekommunikationsdienst“ im TKG vor. Dieser Begriff dient der Umsetzung des entsprechenden Begriffs „elektronischer Kommunikationsdienst“ im einschlägigen Unionsrecht.

Bereits mit Urteil vom 13.06.2019 entschied der EuGH über die vorgelegten Auslegungsfragen zum Begriff des „elektronischer Kommunikationsdienst“. Nach dieser Entscheidung sind Webmail-Dienste wie Gmail nicht als elektronische Kommunikationsdienste einzustufen. Die Bundesnetzagentur hatte dennoch zunächst an ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung festgehalten. Das OVG Münster ist dem mit Urteil vom 05.02.2020 deutlich entgegengetreten.

Entscheidung

Das OVG Münster gab der Klage von Google statt und ließ die Revision gegen das Urteil nicht zu. Mit Eilbeschluss vom selben Tag wies das Gericht die Bundesnetzagentur zudem an, die von Google unter Vorbehalt vorgenommene Meldung als Telekommunikationsanbieter im Register der Bundesnetzagentur zu löschen.

Das Gericht stellte zunächst klar, dass der Begriff des Telekommunikationsdienstes für den gesamten Anwendungsbereich des TKG einheitlich im Sinne des EuGH-Urteils auszulegen ist. Diese Klarstellung ging auf eine Äußerung der Bundesnetzagentur zurück, wonach der Begriff des Telekommunikationsdienstes innerhalb des TKG unterschiedlich auszulegen sei. Die Auslegung des EuGH sollte danach für die Vorschrift zur Meldepflicht gelten, nicht aber für andere Regelungen im TKG, etwa zu Pflichten im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung.

Das OVG bestätigte in der Sache die Auslegung des EuGH und stellte fest, dass Gmail als Webmail-Dienst keinen Telekommunikationsdienst im Sinne des TKG darstellt und Google deswegen auch nicht der Meldepflicht unterfällt. Nach der gesetzlichen Begriffsdefinition sind Telekommunikationsdienste „gewöhnlich gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze bestehen“. Wesentlicher Streitpunkt zwischen der Bundesnetzagentur und Google war die Frage, ob ein rein internetbasierter E-Mail-Dienst wie Gmail ganz oder überwiegend in der Signalübertragung über Kommunikationsnetze besteht. Das OVG lehnte dies unter Verweis auf das EuGH-Urteil ab. Eine „Signalübertragung“ im Sinne der Definition setzt danach voraus, dass der Anbieter gegenüber seinen Kunden die Verantwortung für die Signalübertragung übernimmt. Die Tätigkeit eines Webmail-Diensteanbieters besteht aber im Wesentlichen nur darin, bei der Versendung und dem Empfang von Nachrichten aktiv zu werden, sei es, indem er den E-Mail-Adressen die IP-Adressen der entsprechenden Endgeräte zuordnet oder die Nachrichten in Datenpakete zerlegt und sie in das offene Internet einspeist oder sie aus dem offenen Internet empfängt. Nicht der Webmail-Diensteanbieter, sondern die Internetzugangsanbieter der Absender und der Empfänger, der Internetzugangsanbieter des Webmail-Dienstes und die Betreiber der verschiedenen Netze, aus denen das offene Internet besteht, sind für die Signalübertragung verantwortlich, die für das Funktionieren eines internetbasierten E-Mail-Dienstes erforderlich ist.

Praxisfolgen

Für den derzeit geltenden Rechtsrahmen bedeutet die Rechtsprechung des EuGH und des OVG eine wesentliche Klarstellung. Webmail-Diensteanbieter unterliegen nicht der Meldepflicht des TKG. Im Sinne der einheitlichen Begriffsbestimmung für den gesamten Anwendungsbereich unterliegen Webmail-Anbieter aber auch u.a. nicht den Pflichten zur Umsetzung von Telekommunikationsüberwachungen und Auskunftserteilung gegenüber Behörden.

Diese Entscheidung ist allerdings von begrenzter zeitlicher Relevanz. Derzeit ist eine grundlegende Änderung des deutschen TKG in Vorbereitung. Bis zum 20.12.2020 müssen die EU-Mitgliedstaaten den Europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation in nationales Recht umsetzen. Der Kodex erfasst „interpersonelle Kommunikationsdienste“ , zu denen Webmail-Dienste gehören dürften. Es bleibt abzuwarten, welche konkreten Verpflichtungen für Anbieter von interpersonellen Kommunikationsdiensten gelten werden. Zudem soll eine Änderung des aktuellen Telemediengesetzes die Lücke füllen, die nach derzeitiger Rechtslage entstanden ist. Im Rahmen einer Gesetzesnovelle ist die Einführung eines Auskunftsverfahrens geplant, um eine Rechtsgrundlage für behördliche Auskunftsverlangen gegenüber Anbietern von Telemedien und damit auch gegenüber Webmail-Diensteanbietern zu schaffen.  

Dr. Grace Nacimiento, LL.M., Rechtsanwältin
Düsseldorf

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