Gerichtliche Zustellungen über die Landesgrenze

Innerhalb Europas wurden die für Auslandszustellungen geltenden Regeln mit der EuZVO (Europäische Zustellungsverordnung, VO (EU) 2020/1784) seit dem 1. Juli 2022 modernisiert. Die Verordnung behält ein bereits seit dem Übereinkommen von 1997 innerhalb der EU bestehendes System bei und soll zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Zustellungen beitragen. Außerhalb Europas gilt gegenüber den meisten Staaten das HZÜ (Haager Zustellungsübereinkommen von 1965).

Hier einige Handlungshinweise in der Praxis:

Sie haben eine Zustellung aus dem EU-Ausland erhalten?

Erste Schritte:

  • Wie auch bei innerstaatlichen Verfahren: Umschlag mit Datumstempel aufbewahren!
  • Prüfen Sie, ob eine deutsche Übersetzung aller Dokumente beigefügt ist
  • Wenn keine Übersetzung beigefügt ist oder offenbar nicht alle Schriftstücke übersetzt sind: Liegt ein Formblatt bei, mit welchem Sie über Ihr Recht, die Annahme der Schriftstücke zu verweigern, belehrt werden?

Ihre Rechte und zu beachtende Fristen:

  • Fehlt eine Übersetzung, wird die Zustellung innerhalb der EU wirksam, wenn Sie ihr Annahmeverweigerungsrecht nicht innerhalb der vorgesehenen Frist ausüben.
  • Das Recht zur Annahmeverweigerung muss nicht bei der Übergabe durch den Zustellenden, sondern kann durch nachträgliche Erklärung erfolgen.
  • Die Frist betrug bislang eine Woche und wurde seit 1.7.2022 auf zwei Wochen verlängert.
  • Die Frist läuft nur, wenn auch das Formblatt zur Belehrung über dieses Recht beigefügt ist.

Wir prüfen gerne mit Ihnen, ob es sinnvoll ist, das Annahmeverweigerungsrecht auszuüben.

  • Bei Sprachkenntnissen besteht kein Recht auf eine Übersetzung, also auch kein Annahmeverweigerungsrecht.
  • Es besteht kein Recht auf eine Übersetzung in die Sprache des Empfangsstaates – es genügt eine Sprache, die die Empfängerinnen und Empfänger verstehen (z. B. Englisch).
  • Wird die Annahme verweigert, kann die Zustellung mit beigefügter Übersetzung nachgeholt werden. Für die Partei, die die Zustellung veranlasst hat (z. B. Klägerin) werden bereits durch den ersten Versuch der Zustellung ohne Übersetzung Fristen gewahrt, insbesondere die Verjährung gehemmt.
  • Wird die Annahme verweigert, laufen Fristen für den Empfänger erst ab der nochmaligen Zustellung.
  • Ist der bloße Zeitgewinn kein relevanter Aspekt der Streitigkeit, kann es auch sinnvoll sein, sich selbst eine Übersetzung einzuholen und die Zustellung gegen sich gelten zu lassen.

Sie haben soeben von einem Verfahren im Ausland erfahren, haben aber keine Zustellung einer Klage erhalten?

Auch hierfür sieht das Europäische Zivilverfahrensrecht vereinheitlichte Grundregeln vor, die die Verteidigungsrechte der beklagten Partei schützen. Beklagte haben somit im Verlauf eines Zivilverfahrens mehrfach die Möglichkeit, sich gegen eine Klage zu verteidigen. Je nachdem, in welchem Verfahrensstadium sich das Ursprungsverfahren befindet, kann die Strategie unterschiedlich aussehen.

  • Nach Art. 22 EuZVO, Art. 28 Brüssel Ia-VO muss ein mitgliedstaatliches Gericht immer dann, wenn sich der oder die Beklagte nicht eingelassen hat (nicht erklärt hat, sich gegen die Klage zu verteidigen), vor Erlass einer Entscheidung prüfen, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück (die Klage) auch tatsächlich der Beklagten zugestellt worden ist.
  • Ist dennoch eine Entscheidung ergangen, gewährt Art. 22 Abs. 4 EuZVO der Beklagten ein Wiedereinsetzungsrecht. Die Klageerwiderung bzw. ein Einspruch gegen ein Versäumnisurteil kann also oftmals auch nach Fristablauf nachgeholt werden.
  • Betreibt die klägerische Partei aus der Entscheidung die Zwangsvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat, kann die Beklagte die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung beantragen, Art. 45 Abs. 1 lit. b) Brüssel I-VO. Damit entfällt die Wirkung der Entscheidung im Vollstreckungsstaat. Ähnliches gilt gegenüber Entscheidungen aus Drittstaaten.

Die Verteidigungsmittel gegen eine ohne Zustellung der Klage ergangene Entscheidung setzen aber voraus, dass die Rechtsbehelfe, die im Ursprungsstaat gegen die Entscheidung zur Verfügung standen, genutzt wurden.

Wir prüfen gerne mit Ihnen, ob Sie sich gegen die Klage im Ausland verteidigen sollten und veranlassen bei Bedarf eine schnelle Mandatierung von Korrespondenzanwältinnen oder -anwälten vor Ort.

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