Abfindung fällig trotz Anfechtung des Sozialplans
Sachverhalt
Die Parteien stritten beim Bundesarbeitsgericht (BAG) zuletzt noch über die Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von 3.401,54 € auf den Sozialplanabfindungsanspruch der Klägerin. Dieser Sozialplan war am 08.05.2019 als Spruch einer Einigungsstelle zustande gekommen. Dort war zur Fälligkeit von Abfindungen Nachstehendes geregelt:
5. Fälligkeit der Leistungen
Ansprüche auf Abfindungen gemäß Ziffer 4 entstehen mit Abschluss dieses Sozialplanes und werden fällig mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, im Falle einer Kündigungsschutzklage jedoch nicht vor rechtskräftigem Abschluss des Rechtsstreits. (...)
Die Beklagte hatte den Einigungsstellenspruch wegen Überdotierung des Sozialplans erfolglos angefochten (zuletzt BAG Beschl. v. 27.04.2021, 1 ABN 89/21). Hieraufhin hatte sie die Sozialplanabfindung am 20.05.2021 ausgezahlt; indes waren die zugrundeliegende Betriebsschließung und die unstreitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien bereits am 31.07.2019 erfolgt. Wie zuvor das Arbeitsgericht (ArbG) Dresden, hatte auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen (Urt. v. 12.12.2023, 5 Sa 76/22) den Verzugszinsanspruch verneint und keine Revision zugelassen.
Das ArbG Dresden hatte gemeint, der Fälligkeitsregelung im Sozialplan komme keine Bedeutung zu, da dessen Wirksamkeit gerichtlich überprüft worden sei und der Abfindungsanspruch erst mit dem rechtskräftigen Beschluss des BAG über die Wirksamkeit des Sozialplans festgestanden habe. Deshalb hatte es den Rechtstreit auch solange ausgesetzt. Im Ergebnis hatte das LAG dies bestätigt: Eine andere Anspruchsgrundlage als den Sozialplan gebe es vorliegend nicht. Der individualrechtliche Abfindungsanspruch sei materiell abhängig von der vorherigen rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den Inhalt des Sozialplans (Erstreckung der Rechtskraft auf Dritte wegen materiell-rechtlicher Abhängigkeit analog § 9 TVG unter Verweis auf LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.03.2013, 7 Sa 1713/12). Sei der individualrechtliche Anspruch vom Bestand oder Inhalt eines Normenvertrages abhängig, müsse dies auch gegenüber denen Wirkung entfalten, die ihren Anspruch gerade auf diesen Normenvertrag stützen (BAG, Urt. 17.02.1992, 10 AZR 448/91).
Entscheidung
Nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde war die Klägerin demgegenüber auch in der Sache selbst beim BAG erfolgreich. Nach der bislang allein vorliegenden Pressemeldung des BAG habe die Entscheidung über die Anfechtung des Sozialplans keine rechtsgestaltende, sondern [nur] feststellende Wirkung. Die Anfechtung des Einigungsstellenspruchs habe daher zu keiner Verschiebung des dort geregelten Fälligkeitszeitpunkts der Abfindung geführt, die somit am 01.08.2019 fällig gewesen sei. Gegeben sei auch das nötige Verschulden der Beklagten an der verspäteten Auszahlung; die bloße Unsicherheit über die Wirksamkeit des Sozialplans habe keinen unverschuldeten Rechtsirrtum begründet.
Praxisfolgen
Das BAG bestätigt die bisherige Rechtsprechung der LAGe Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Köln und Baden-Württemberg, wonach Arbeitgeber aus § 77 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet sind, Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat durchzuführen, und zwar auch soweit sie auf einem Spruch einer Einigungsstelle beruhen (vgl. die Nachweise bei Fitting, BetrVG, 32. Aufl. 2024, § 76 Rn. 164). Das Gesetz regele keine aufschiebende Wirkung des Spruchs einer Einigungsstelle im Fall seiner Anfechtung (LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 20.07.2016, 21 TaBV 4/16, Rn. 53 m.w.N.). Folglich ist der Spruch einer Einigungsstelle mit den Worten des LAG Köln „schwebend wirksam“, solange seine Rechtsunwirksamkeit nicht rechtskräftig, zumindest erst-oder zweitinstanzlich, festgestellt ist (LAG Köln, Beschl. v. 20.04.1999, 13 Ta 243/98 m.w.N.). Das Gesetz regele keine aufschiebende Wirkung des Spruchs einer Einigungsstelle im Fall seiner Anfechtung (LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 20.07.2016, 21 TaBV 4/16, Rn. 53 m.w.N.).
Umso mehr ist große Sorgfalt bei der Formulierung von Betriebsvereinbarungen und Sprüchen in der Einigungsstelle in Bezug auf Fälligkeitsregelungen geboten. Soweit ein Sozialplan im Konsens zustande kommt, wäre etwa daran zu denken, die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Plan unter den Vorbehalt seiner Anfechtung gem. § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG zu stellen und/oder die Einrede der Entreicherung (§818 Abs. 3 BGB) auszuschließen. Erst recht böte sich dies an als Inhalt eines etwaigen Einigungsstellenspruchs. Dabei ist nicht zu verkennen, dass derlei Vorbehalte gerade in der Sozialplansituation rein praktisch schwierig umzusetzen sein dürften, geht es doch um die Milderung oder den Ausgleich von Nachteilen aus einer Betriebsänderung, die für Anspruchsberechtigte sehr bedeutsam sein können. Ansonsten bleibt im Einzelfall nur der Versuch einer einvernehmlichen Regelung über einen Zahlungsaufschub – oder ein Prozess- und damit Verzugszinsrisiko, wie der hier besprochene Fall zeigt.
BAG Urteil vom 28.01.2025, 1 AZR 73/24

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