Bundeskabinett beschließt Corona-bedingte AWV-Novelle
In unmittelbarer Reaktion auf die Covid-19-Pandemie hat die Bundesregierung einen außerplanmäßigen Entwurf für eine Änderung der deutschen Außenwirtschaftsverordnung (AWV) beschlossen, der speziell kritische Erwerbe von deutschen Unternehmen im Gesundheitssektor unter schärfere Kontrolle stellt.
Vorgezogene Anpassung der Außenwirtschaftsverordnung
Nachdem Anfang April mit Blick auf die Corona-Krise bereits ein Gesetzentwurf zur Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) früher als geplant durch das deutsche Bundeskabinett beschlossen worden ist (s. unseren Bericht im GvW-Newsletter April 2020), hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) am 27. April 2020 zusätzlich einen Entwurf zur Novellierung der Außenwirtschaftsverordnung (15. ÄndVO) vorlegt, welcher am 20. Mai 2020 durch das Bundeskabinett abgesegnet worden ist . Die Verordnung konzentriert sich insbesondere auf den Gesundheitssektor und zieht gewisse Aspekte der ohnehin für das Jahr 2020 geplanten AWV-Novelle aufgrund der Corona-Pandemie vor.
Schutz des Gesundheitssektors
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier betont, dass es bei der Novellierung nicht darum gehe, den offenen Investitionsstandort Deutschland prinzipiell in Frage zu stellen, aber man müsse die Möglichkeit haben, genauer hinschauen zu können, wenn es nötig sei: „Wir müssen von kritischen Unternehmenskäufen aus Drittstaaten im Gesundheitssektor rechtzeitig erfahren und diese prüfen können. […] Das betrifft etwa Impfstoffe, Medikamente und medizinische Schutzausrüstung. Denn so können wir verhindern, dass medizinisches Know-how und Produktionskapazitäten, die für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung essentiell sind, ins Ausland abfließen. Die aktuelle Corona-Krise zeigt diese Notwendigkeit.“
Nach Auffassung des BMWi und der Bundesregierung macht die aktuelle, durch die COVID-19-Pandemie ausgelöste Entwicklung deutlich, dass der Kreis der bei der außenwirtschaftlichen Prüfung von Unternehmenserwerben bislang besonders berücksichtigten Unternehmen unzureichend ist. Daher wird mit der 15. ÄndVO die in § 55 Abs. 1 S. 2 AWV enthaltene Liste der besonders ordnungs- und sicherheitsrelevanten zivilen Unternehmen erweitert, bei deren Erwerb eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit insbesondere vorliegen kann. Dies gilt vor allem für Unternehmen aus dem Gesundheitssektor, die für die Bekämpfung hochinfektiöser Pandemien von wesentlicher Bedeutung sind. Künftig müssen daher geplante kritische Erwerbe aus Drittstaaten, d.h. unionsfremden Staaten (wobei Erwerber aus EFTA-Staaten in diesem Zusammenhang nicht als unionsfremd gelten), von deutschen Unternehmen, die insbesondere Impfstoffe, Medikamente, (persönliche) medizinische Schutzausrüstung und andere Medizingüter zur Behandlung hochansteckender Krankheiten entwickeln, herstellen oder produzieren dem Bundeswirtschaftsministerium verpflichtend angezeigt werden. Die Prüfmöglichkeit gilt dabei bereits ab einer Schwelle von 10 Prozent der Stimmrechte.
Konkret wird § 55 Abs. 1 S. 2 AWV um 5 weitere Nummern (7-11) ergänzt. Dies betrifft Unternehmen, die
- Dienstleistungen erbringen, die zur Sicherstellung der Störungsfreiheit und Funktionsfähigkeit bestimmter staatlicher Kommunikationsinfrastrukturen erforderlich sind,
- persönliche Schutzausrüstungen (PSA) im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2016/425 (z.B. Schutzmasken, Schutzhandschuhe oder Schutzanzüge) entwickeln oder herstellen,
- versorgungsrelevante Arzneimittel und Impfstoffe entwickeln, herstellten oder in Verkehr bringen oder deren Zulassungsinhaber sind,
- Medizinprodukte im Sinne des Medizinprodukterechts für lebensbedrohliche und hochansteckende Infektionskrankheiten entwickeln oder herstellen,
- In-vitro-Diagnostika im Sinne des Medizinprodukterechts entwickeln oder herstellen, die der Informationsgewinnung zu und Therapie von lebensbedrohlichen und hochansteckenden Infektionskrankheiten dienen.
Wenn das zurzeit im Bundestag beratene Erste Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes in seiner derzeit avisierten Form in Kraft tritt, wird für alle nach §§ 55 ff. AWV meldepflichtigen Erwerbe – also auch die o.g. Erwerbe sensibler Unternehmen aus dem Gesundheitssektor – künftig eine zivilrechtlich wirkende schwebende Unwirksamkeit des Vollzugsgeschäfts bis zur Freigabe durch das BMWi gelten. Daneben treten bestimmte sanktionsbewehrte Handlungsverbote.
Weitere Klarstellungen
Neben diesen Neuerungen dienen die weiteren in der „Corona-Novelle“ vorgesehen Maßnahmen hauptsächlich der Klarstellung der geltenden Rechtslage. So wird etwa in den neuen Absätzen in §§ 55 Abs. 1a und 60 Abs. 1a AWV klargestellt, dass auch die Konstellation des sog. „asset deals“ vom Erwerbsbegriff der Normen erfasst ist – was bereits zuvor gelebte Praxis war. Zudem werden in den neuen §§ 55 Abs. 1b und 60 Abs. 1b AWV jeweils klarstellende investorenbezogene Prüffaktoren (nach dem Vorbild des Art. 4 Abs. 2 der sog. EU-Screening-Verordnung (Verordnung (EU) 2019/452)) genannt – wie z.B. der Umstand, dass der Erwerber unmittelbar oder mittelbar von der Regierung eines Drittstaaten kontrolliert wird. Auch diese Faktoren konnten bereits zuvor durch das BMWi im Rahmen von Prüfungen berücksichtigt werden.
Verfahren und weitere Entwicklungen
Weitere Änderungen der AWV (insbesondere zur Umsetzung der Vorgaben der EU-Screening-Verordnung in das deutsche Investitionsprüfungsrecht und zur Anpassung der AWV an die kurzfristig bevorstehende Änderung des AWG) sollen in einem separaten Vorhaben der Bundesregierung zu einer 16. Änderung der AWV im Anschluss an die Krise umgesetzt werden. Die Aufteilung in zwei Änderungsvorhaben war laut dem BMWi vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen wegen der Eilbedürftigkeit der in der 15. ÄndVO vorgesehenen Änderungen (mit dem Fokus auf den Gesundheitssektor) zwingend geboten.
Marian Niestedt, Rechtsanwalt
Nina Kunigk, Rechtsanwältin
beide Hamburg