Eigentum im Wandel? Arbeitsentwurf zur Vergesellschaftung in Berlin vorgelegt
Berlin denkt groß und grundlegend um – zumindest wenn es nach dem Willen der SPD-Fraktion geht. Mit dem Entwurf eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes (VergRG-Entwurf) bereitet die Hauptstadt erstmals die konkrete Anwendung von Artikel 15 Grundgesetz, also die Vergesellschaftung oder Vergemeinschaftung von Privateigentum, vor. Für Unternehmen in den Bereichen Wohnen, Energie, Infrastruktur und Kommunikation ist das ein Signal: Die Eigentumsordnung könnte sich grundlegend verändern. Potentiell betroffene Unternehmen können erwägen, gegen die gesetzlichen Neuregelungen vor die Verfassungsgerichte zu ziehen.
Politischer Hintergrund
Die aktuellen Bestrebungen für die Schaffung der Möglichkeit von Vergesellschaftungen gehen letztlich zurück auf den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ im Jahr 2021. Eine vom Berliner Senat im Nachgang zum Volksentscheid eingesetzte Expertenkommission bestätigte mehrheitlich: Eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen ist verfassungsrechtlich zulässig, sofern sie verhältnismäßig und gemeinwohlorientiert ausgestaltet ist und eine Entschädigung für die Unternehmen gezahlt wird. In ihrem Koalitionsvertrag für die Jahre 2023 bis 2026 hatten sich CDU und SPD darauf verständigt, ein Vergesellschaftungsrahmengesetz zu verabschieden, wenn die Expertenkommission zu dem Ergebnis gelangen sollte, eine Vergesellschaftung sei verfassungskonform möglich (vgl. Seite 50 f.).Dieser Volksentscheid und die folgende Arbeit der Expertenkommission betraf ausdrücklich nur die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen. Die aktuellen politischen Pläne gehen indes weiter, weil sie sich auf den gesamten Bereich der Daseinsvorsorge (Wohnraum, Energie, Müllentsorgung, Verkehr, Kommunikation, Gesundheitsdienste) beziehen.
Der nun vorgelegte Arbeitsentwurf der SPD-Fraktion – vollständig veröffentlicht von der Plattform Table.Briefings – stößt beim Regierenden Bürgermeister der CDU auf klare Ablehnung, obwohl sich die Regierungsparteien grundsätzlich darauf geeinigt hatten, einen derartigen Entwurf zu erarbeiten und noch dieses Jahr vorzulegen. Politisch birgt diese Thematik also erheblichen Sprengstoff.
Wesentliche Inhalte des Entwurfs
Der Entwurf des VergRG sieht einen rechtlichen Rahmen für die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln vor. Ziel ist die gemeinwohlorientierte Nutzung zentraler Ressourcen der Daseinsvorsorge ohne Gewinnabsicht (§ 1 Abs. 1 und § 2 VergRG-Entwurf). Die Umsetzung ist sodann Anwendungsgesetzen (§ 1 Abs. 2 VergRG-Entwurf) vorbehalten, für die freilich noch kein Entwurf vorgelegt worden ist. Selbst wenn das vorgelegte Rahmengesetz also verabschiedet werden würde, wäre es bis zu einer konkreten Vergesellschaftung noch ein längerer Weg.
Zwei Wege der Vergesellschaftung sieht der Entwurf vor: Erstens das Gemeineigentum, also den Übergang des Eigentums auf öffentliche Träger (z. B. Land Berlin, Anstalten des öffentlichen Rechts). Alternativ: die Gemeinwirtschaftliche Nutzung. Hier bleibt das Eigentum formal privat, wird aber durch gesetzliche Vorgaben (z. B. Vorgaben zur Preisbildung für Leistungen der Daseinsvorsorge, Investitionspflichten, Mitbestimmung) strukturell dem Gemeinwohl unterworfen (§ 4 VergRG-Entwurf). Beide Handlungsoptionen unterliegen nach dem Rahmengesetzentwurf dem Gesetzesvorbehalt; die Verwaltung kann hier also nicht ohne gesetzliche Grundlage tätig werden (vgl. § 7 VergRG-Entwurf).
Die Vergesellschaftung ist im Einzelfall nur zulässig, wenn diese auch dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit genügt (§§ 8, 9 VergRG-Entwurf). Zudem unterliegt die Vergesellschaftung einer Entschädigungspflicht (§ 11 VergRG-Entwurf).
Sobald die Vergesellschaftung in einer der beiden Formen durch Inkrafttreten des Anwendungsgesetzes erfolgt, dürfen keine Rechtsgeschäfte und Handlungen mehr vorgenommen werden, die den Vollzug der Vergesellschaftung erschweren (§ 14 VergRG-Entwurf). § 15 VergRG-Entwurf stellt klar, dass gegen das Anwendungsgesetz zur Vergesellschaftung und etwaigen Umsetzungsentscheidungen der zuständigen Behörden die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin zulässig sei.
Komplexe und ungeklärte verfassungsrechtliche Fragen
Der Entwurf betritt Neuland. Zu einer grundlegenden verfassungsgerichtlichen Erklärung des Art. 15 GG durch das Bundesverfassungsgericht ist es mangels Anwendung der Norm bislang nie gekommen. Damit ergibt sich für den Gesetzgeber die besondere Schwierigkeit, auf einem unbestellten Feld zu agieren. Auch die potentiell von solchen Regelungen betroffenen Unternehmen befänden sich also, sofern es zu diesen Vergesellschaftungen tatsächlich kommen sollte, in einem Bereich mit großer Rechtsunsicherheit.
Nur einige ungelöste Fragen offenbaren die Komplexität der Materie:
Lässt das Grundgesetz die Form eines Rahmengesetzes durch das Land Berlin, insbesondere wegen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 15 GG, überhaupt zu? Besteht die Gesetzgebungskompetenz, sollte es zu einem auf Grundlage des Rahmengesetzes gestützten „Mietendeckel 2.0“ kommen, nachdem das Bundesverfassungsgericht den ersten dahingehenden Versuch für verfassungswidrig erachtete? Ist der Tatbestand des Art. 15 GG wirklich auf den gesamten Bereich der Daseinsvorsorge anwendbar? Welche Art und Umfang von Entschädigungen verlangt eine Vergesellschaftung und gilt hier der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz? Inwiefern wären derartige Vergesellschaftungen mit den Grundrechten der Unternehmen aus dem Grundgesetz, der Europäischen Grundrechtecharta, der Europäischen Konvention für Menschenrechte sowie den europäischen Grundfreiheiten vereinbar?
Wie groß die rechtlichen Unsicherheiten sind, zeigen auch die Ergebnisse der im Bereich der Wohnimmobilien eingesetzten Expertenkommission: Diese konnte sich zwar mehrheitlich auf bestimmte Ergebnisse einigen – an zahlreichen Stellen verfassten einzelne Mitglieder jedoch abweichende Sondervoten. Die Fachwelt war sich im Rahmen dieser Kommissionsarbeit also keinesfalls einig.
Diese Situation der Ungewissheit bedenkt der Entwurf auf eine erstaunliche Weise mit: Weil an der verbindlichen Klärung der offenen Fragen zu Art. 15 GG ein legitimes Interesse bestünde, soll das Gesetz ausweislich des Entwurfs erst 24 Monate nach Erlass in Kraft treten (Artikel 2 VergRG-Entwurf), um eine etwaige verfassungsgerichtlichen Klärung „im Wege eines abstrakten Normenkontrollverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht“ zu ermöglichen. Dies ist ein erstaunlich defensives Vorgehen – oder möglicherweise Taktik, um die politisch durchaus ungeliebte Vergesellschaftung aus verfassungsrechtlichen Gründen doch nicht umsetzen zu müssen, weil rechtliche Gründe dem entgegenstehen.
Können sich Unternehmen vor den Verfassungsgerichten wehren?
Für betroffene Unternehmen stellt sich die Frage, ob sie gegen das nun geplante Rahmengesetz, sollte es verabschiedet werden, den Weg zum Bundesverfassungsgericht beschreiten können.
Die von der SPD-Fraktion angesprochene abstrakte Normenkontrolle kann jedenfalls von Unternehmen nicht eingelegt werden. Antragsbefugt sind lediglich Bundesregierung, Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages (§ 76 Abs. 1 BVerfGG). Die Landesregierung selbst könnte auf diesem Weg also ihr eigenes Gesetz (!) vor das Bundesverfassungsgericht bringen – das wäre ein zutiefst ungewöhnlicher Vorgang, scheint jedoch als nicht ausgeschlossen.
Für betroffene Unternehmen bliebe nur die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz. Eine solche Verfassungsbeschwerde, die sich insbesondere auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG stützen würde, unmittelbar gegen Gesetze ist grundsätzlich innerhalb eines Jahres nach dessen Inkrafttreten möglich (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Geprüft werden müsste im Einzelfall allerdings, ob die durchaus strengen Zulässigkeitsanforderungen gegeben sind: Die Beschwerdeführer müssen selbst, gegenwärtig und unmittelbar von dem Parlamentsgesetz betroffen sein, um eine Verfassungsbeschwerde in zulässiger Weise erheben zu können. Die Unternehmen müssten also Adressaten der Regelungen sein, was zu bejahen wäre, wenn sie den Bereichen der Daseinsvorsorge, die vergesellschaftet werden soll, angehören. Ob eine Betroffenheit auch bereits gegenwärtig und unmittelbar wäre, müsste vertiefter geprüft werden. Denn allein durch das Rahmengesetz wird noch keine Rechtsgrundlage für die Vergesellschaftungen geschaffen – dies ist späteren Anwendungsgesetzen vorbehalten. Auf der anderen Seite entfaltet das Rahmengesetz auf diesen Prozess bereits erhebliche Vorwirkungen.
Landesverfassungsrechtliche Einwände gegen das Gesetz könnten auch beim Berliner Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden, sofern nicht Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder wird (vgl. § 49 Abs. 1 VerfGHG). Parallele bundes- und landesverfassungsgerichtliche Verfahren sind also nicht möglich.
Ambitionierter Zeitplan
Der vorgesehene Zeitplan von 24 Monaten für eine verfassungsgerichtliche Klärung von zahlreichen ungeklärten verfassungsrechtlichen Fragestellungen ist sehr ambitioniert. Es dürfte zu erwarten sein, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit Art. 15 GG in einer solchen Entscheidung sehr grundsätzlich und ausführlich befassen würde – solche Senatsentscheidung brauchen erfahrungsgemäß sehr viel Zeit. Die verfassungsgerichtlichen Verfahren könnten die Pläne der Vergesellschaftung also deutlich verzögern, was insbesondere für betroffene Unternehmen eine gute Nachricht ist. Sie könnten erwägen, ob sie bereits aus diesem Grund verfassungsgerichtliche Verfahren anstrengen.

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