Juli 2021 Blog

Es bleibt dabei – keine Haf­tung des Betriebs­erwerbers für vor Er­öffnung des Insolvenz­verfahrens ent­standene Ansprüche auf be­triebliche Alters­ver­sorgung

Zur Eintrittspflicht des Pensions-Sicherungs-Vereins (PSV) auch für noch nicht verfallbare Anwartschaften

Es entsprach fast 40-jähriger Rechtsprechung des BAG, § 613a BGB bei Betriebsübergängen aus der Insolvenz haftungsrechtlich einzuschränken. Betriebserwerber hafteten danach nur für Ansprüche, die ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.

Mit zwei Vorlagebeschlüssen vom 16.10.2018 an den EuGH hat das BAG in zwei Rechtstreitigkeiten über den Umfang von Ansprüchen auf betriebliche Altersversorgung im Fall eines Betriebserwerbs aus der Insolvenz die Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit dem Unionsrecht auf den Prüfstand gestellt. Zugleich hatte es die Frage aufgeworfen, ob der PSV umfassender haftet, weil Art. 8 der Insolvenzschutzrichtlinie (RL 2008/94/EG, folgend InsolvenzschutzRL) womöglich unmittelbar anwendbar ist. Mit seinen Urteilen vom 09.09.2020 (C-674/18 und C-675/18) hat der EuGH beide Vorlagen beantwortet. Das BAG hat diese Antworten nun in seine Rechtsprechung eingeordnet, diese fortentwickelt und zum Teil modifiziert. Nach seinen Urteilen vom 26.01.2021 (3 AZR 878/16 und 3 AZR 139/17) in den beiden Vorlageverfahren gilt nun Folgendes:
 

1. Bestätigung der Haftungsbeschränkung - insolvenzrechtliche Verteilungsgrundsätze gehen vor

Betriebserwerber werden grundsätzlich Schuldner von Versorgungsversprechen, die der Verkäufer begründet hat. Bei Eintritt des Versorgungsfalls müssen Erwerber also Betriebsrente auch für vor dem Betriebsübergang liegende Zeiten zahlen; ebenso werden Erwerber Schuldner von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung, die schon vor dem Betriebsübergang begründet worden sind.

Als Ausnahme von diesem Grundsatz bestätigt das BAG seine die Erwerberhaftung aus § 613a BGB einschränkende Rechtsprechung. Auch künftig haften Erwerber eines Betriebs aus der Insolvenz nur für solche Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung, die ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient worden sind. Diese Einschränkung rechtfertigt sich unverändert daraus, dass andernfalls der insolvenzrechtliche Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung unterlaufen würde. Anders als andere Gläubiger würden Arbeitnehmer sonst mit dem Betriebsübernehmer einen neuen Schuldner auch für vorinsolvenzlich entstandene Ansprüche erhalten und wären somit im Vergleich zu sonstigen Gläubigern bevorzugt. Die gesetzgeberische Entscheidung, § 613a BGB auch in Insolvenzverfahren anzuwenden, habe sich allein auf den damit verbundenen Bestandsschutz bezogen, der vorliegend nicht berührt sei. Durch die Haftungseinschränkung würden außerdem Betriebsübergänge erleichtert, was letztlich dem sozialstaatlichen Ziel diene, Arbeitsplätze zu erhalten.
 

2. Was ist mit erdienten Ansprüchen aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung?

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind insolvenz(arbeits)rechtlich gesehen Insolvenzforderungen, wenn es sich um solche „für“ die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt, vgl. § 108 Abs. 3 InsO. Nach gefestigter Rechtsprechung des BAG kommt es darauf an, wann die Arbeitsleistung erbracht worden ist. Kommt sie der Insolvenzmasse nicht mehr zugute, weil sie schon zuvor erbracht worden sind, handelt es sich um einfache Insolvenzforderungen. Da Leistungen der betrieblichen Altersversorgung typischerweise eine Gegenleistung für die gesamte bis zum Versorgungsfall erbrachte Betriebszugehörigkeit sind, bestimmt sich die Einordnung eines solchen Anspruchs als Insolvenzforderung oder als Masseverbindlichkeit danach, in welchem Umfang der Anspruch auf Zeiten der Betriebszugehörigkeit vor oder nach Insolvenzeröffnung beruht. Erwerber haften nur für den zweitgenannten Teil.
 

3. Rechtsprechungsänderung zur Berechnung des vom Erwerber zu tragenden Versorgungsanspruchs

Zumindest zwischenzeitlich hatte das BAG zur Berechnung des vom Erwerber zu tragenden Umfangs einer Betriebsrente auf die fiktive Vollleistung abgestellt. Hieran hält das BAG nicht mehr fest. Nunmehr ist bei Eintritt des Versorgungsfalls die Betriebsrente nach den dann maßgeblichen Bestimmungen der Versorgungsordnung zu ermitteln und danach zeitanteilig auf die vor und nach Insolvenzeröffnung verbrachte Betriebszugehörigkeit aufzuteilen.
 

4. Haftung für gesetzlich noch nicht verfallbare Ansprüche – weitere Rechtsprechungsänderung

a. Arbeitnehmern, die bei Insolvenzeröffnung bereits gesetzlich unverfallbarer Anwartschaften erworben haben, steht im Versorgungsfall gegen den PSV ein Versorgungsanspruch zu, vgl. § 7 Abs. 2 BetrAVG. Die Höhe des Anspruchs richtet sich nach den Bemessungsgrundlagen bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 7 Abs. 2a BetrAVG. Zum Ausgleich erwirbt der PSV den Versorgungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, vgl. näher § 9 Abs. 2 BetrAVG.

b. Noch nicht gesetzlich unverfallbarer Ansprüche bleiben jedoch beim Arbeitnehmer. Er kann diese als - aufschiebend bedingte - Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden. Eine Auszahlung an den Arbeitnehmer erfolgt erst mit Eintritt des Versorgungsfalls. An der früheren Rechtsprechung zur Konkursordnung, wonach sich eine solche Versorgungsanwartschaft bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses respektive bei Liquidation des Arbeitgebers in einen fälligen Zahlungsanspruch verwandelt hat, hält das BAG für beim Arbeitnehmer verbliebene Versorgungsansprüche nicht fest. Hierfür fehle es an einer gesetzlichen Grundlage, die die in einer solchen vorzeitigen Auszahlung liegende Abweichung vom Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung rechtfertige.

c. Für die Insolvenzpraxis bedeutet dies, dass der auf eine solche aufschiebend bedingte Forderung entfallende Anteil zu hinterlegen ist, §§ 191 Abs. 1, 198 InsO. Durch die Hinterlegung anfallende Kosten sind bei der Schätzung des zu hinterlegenden Betrages (§ 45 S. 1InsO) als Ausgleich für anfallende Zinsen zu berücksichtigen. Insoweit schließt sich das BAG der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 10.7.1997, IX ZR 161/96) an. Bei der Schätzung sind die Sterbetafeln zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zugrunde zu legen. Etwaige künftige Gehaltsentwicklungen sind bis zum Eintritt des Versorgungsfalls zu schätzen; als Grundlage seien „ua“ in der Vergangenheit erfolgte Gehaltssteigerungen im einschlägigen Unternehmen oder der einschlägigen Branche heranzuziehen.
 

5. Potentielle Erweiterung der Haftung des PSV - Eintrittspflicht für gesetzlich noch nicht unverfallbare Anwartschaften

a. Art. 8 der InsolvenzschutzRL fordert einen Mindestschutz vor insolvenzbedingtem Entzug von Versorgungsansprüchen, ohne dies selbst näher zu konkretisieren. Der EuGH hat in seinen oben genannten Urteilen herausgearbeitet, dass dieser Mindestschutz zumindest in 2 Richtungen besteht: Erstens müssen ehemalige Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zumindest die Hälfte der Versorgungsleistungen erhalten, die sich auf Grundlage der jeweiligen Versorgungsordnung ergeben. Zweitens dürfe eine Leistungskürzung nicht unverhältnismäßig sein; das sei der Fall, wenn ein betroffener Arbeitnehmer wegen der Kürzung unterhalb der vom statistischen Amt der Europäischen Union für den betreffenden Mitgliedstaat ermittelten Armutsgefährdungsschwelle lebt oder künftig leben müsste. Die nationalen Gerichte hätten zu prüfen, ob gegen die mitgliedstaatliche Verpflichtung verstoßen werde, einem Arbeitnehmer einen solchen Mindestschutz zu gewähren. Über Art. 3 Abs. 4 lit. b Betriebsübergangsrichtlinie (RL 2001/23/EG) gelte dies auch im Fall eines Betriebsübergangs aus der Insolvenz.

b. Das BAG sieht den PSV als dem Staat gleichgestellt im Sinne der InsolvenzschutzRL an. Aus § 7 Abs. 1 S. 1 BetrAVG ergebe sich, dass sich die Aufgaben des PSV tatsächlich und rechtlich auf die Insolvenzsicherung unmittelbar erteilter Versorgungszusagen von Arbeitgebern erstrecken. Art. 8 InsolvenzschutzRL gewähre einen Erfüllungsanspruch. Die grundsätzliche Zuständigkeit des PSV für den Insolvenzschutz von Versorgungszusagen führe dazu, dass Art. 8 InsolvenzschutzRL unter Berücksichtigung der vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen der Mindestsicherung in der Lage sei, Ansprüche zu gewähren, ohne dass es auf die Voraussetzungen und Einschränkungen des § 7 BetrAVG ankomme.

c. Allerdings könne der PSV erst in Anspruch genommen werden, wenn die Mindestschutzbedingungen des Art. 8 InsolvenzschutzRL eingriffen. IdR. werde sich dies erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens und nach Eintritt des Versorgungsfalls feststellen lassen, weil erst dann feststehen wird, ob dem Versorgungsberechtigten mehr als 50 % der Versorgungsansprüche infolge des Betriebsübergangs in der Insolvenz entzogen wurden oder eine relevante Armutsgefährdung vorliegt.
 

Resümee:

Die Haftungsbeschränkung für Versorgungsansprüche beim Betriebserwerb aus der Insolvenz ist gefestigt und europarechtskonform. Für Unternehmens(ver)käufe schafft dies Rechtssicherheit.

Für die Dauer von Insolvenzverfahren und ihren Abschluss ist mit Verzögerungen zu rechnen, da nunmehr hinterlegte Ansprüche erst ausgeschüttet werden können, wenn der Versorgungsfall eingetreten ist. Wie einer der entschiedenen Fälle zeigt, kann dies sehr lange dauern. Das Insolvenzverfahren war 2009 eröffnet worden, der Kläger zu diesem Zeitpunkt erst 29 Jahre alt, somit der Versorgungsfall mit Vollendung des 65. Lebensjahres und damit die Ausschüttung noch 36 Jahre entfernt.

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