November 2024 Blog

Hoffnung für Wirecard-Aktionäre

Im Wirecard-Insolvenzverfahren haben ca. 52.000 Aktionäre Schadensersatzansprüche über ca. 8,5 Mrd. EUR zur Tabelle angemeldet. Insgesamt wurden Gläubigerforderungen im Umfang von ca. 15,4 Mrd. EUR angemeldet. Bisher nicht geklärt ist, ob Aktionäre, denen aufgrund der Täuschungen rund um Wirecard ein Schadensersatzanspruch zusteht, diesen anmelden können oder ob sie als Gesellschafter nur etwaige Überschüsse, nach der vollständigen Befriedigung aller Gläubiger erhalten. Das OLG München hat nunmehr ein Urteil des LG München aufgehoben und Schadensersatzansprüche angenommen.

Sachverhalt

Die Klägerin hatte Aktien der Wirecard AG auf dem Sekundärmarkt erworben und meldete im Insolvenzverfahren Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher Täuschung in Höhe von 10 Mio. EUR zur Tabelle an. Sie begründet die Ansprüche mit der Täuschung über ein tatsächlich nicht existierendes Geschäftsmodell, auf vorsätzliche Insolvenzverschleppung, unrichtige Darstellung der geschäftlichen Verhältnisse und unterlassene Veröffentlichung von Insiderinformationen. Der Insolvenzverwalter hatte die Forderungen unter Hinweis auf die Gesellschafterstellung der Klägerin bestritten. Gesellschafter erhalten grundsätzlich nur dann etwas auf ihre Forderungen, wenn alle „normalen“ Gläubiger (im Sinne des § 38 InsO) vollständig befriedigt werden. Das LG München hatte die Klage abgewiesen, da Aktionäre keine Gläubiger im Sinne des § 38 InsO seien. Diese könnten Ansprüche, die letztendlich auf ihre Aktionärsstellung zurückzuführen seien, nicht zur Insolvenztabelle anmelden. Aus der bewussten Entscheidung, ins Eigenkapital zu investieren, folge die gesellschaftsrechtliche Bindung der geltend gemachten Schadensersatzansprüche.

Entscheidung 

Das OLG München hat diese Rechtsfrage anders beurteilt. Unter Hinweis auf die sog. EMTV-Entscheidung des 2. Zivilsenates und eine Entscheidung des 9. Zivilsenates des BGH aus dem Jahr 2022 geht das Gericht davon aus, dass die Schadensersatzansprüche der Aktionäre nicht aus der Gesellschafterstellung heraus begründet, sondern quasi „auf dem Weg dorthin“ entstanden sind. Es könne nicht sein, so das Gericht, dass der Gläubiger eines solchen Schadensersatzanspruches die Insolvenz der Gesellschaft herbeiführen könne und auf der anderen Seite aber in der Insolvenz nur eine nachrangige Befriedigung erhalte. Die Vorschrift des § 199 InsO, die anordnet, dass ein in der Insolvenz verbleibender Überschuss an die Gesellschafter zu verteilen sei, habe seine Bedeutung vorrangig in der Vermeidung einer gesellschaftsrechtlichen Liquidation im Anschluss an ein Insolvenzverfahren. Es handele sich nicht um eine Nachrangregelung, sondern um eine Verlagerung der Überschussverteilung an die Gesellschafter ins Insolvenzverfahren.

Das OLG hat die Revision zugelassen, so dass der BGH Gelegenheit erhält, diese Frage endgültig zu klären. Das Verfahren ist unter dem Az. IX ZR 127/24 beim 9. Zivilsenat anhängig.

Praxishinweise

Angesichts einer Insolvenzmasse von derzeit 650 Mio. EUR (und vor Berücksichtigung vieler großvolumiger Klagen des Insolvenzverwalters gegen Dritte, z.B. gegen die ehemaligen Wirtschaftsprüfer über 1,5 Mrd. EUR) ist das Verfahren auch für die übrigen Gläubiger hochgradig interessant. Bleibt es bei der Entscheidung des OLG, so wird sich die Quote der „normalen“ Insolvenzgläubiger halbieren. Wie diese Frage letztendlich entschieden wird, darf als offen bezeichnet werden, da sich im Anschluss an die Entscheidung des LG eine wahre Gutachterschlacht entwickelt hatte. In Betracht der genannten Entscheidung des nunmehr entscheidenden 9. Zivilsenates des BGH aus dem Jahr 2022, der dort Schadensersatzansprüche die ihre „Wurzel“ nicht in dem Vertrag über die Beteiligung selbst, sondern in den schädigenden Ereignissen, die erst zum Abschluss des Vertrages geführt haben als anmeldbare Insolvenzforderung betrachtet hat, bestehen für die Aktionäre aber zumindest eine begründete Aussicht auf Erfolg auch vor dem BGH.

(OLG München, Teil- und Zwischenurteil vom 17.9.2024 – 5 U 7318/22e)

 

Anmeldung zum GvW Newsletter

Melden Sie sich hier zu unserem GvW Newsletter an - und wir halten Sie über die aktuellen Rechtsentwicklungen informiert!