Kündigung wegen hartnäckiger Arbeitsverweigerung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte mit Urteil vom 28.06.2018 über die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung einer Führungskraft zu entscheiden. Dem Urteil sind wertvolle Hinweise für die tägliche Personalarbeit, aber auch Fingerzeige für die Beweisaufnahme vor dem Arbeitsgericht zu entnehmen.
Führungskraft mit Schwierigkeiten
Bemerkenswert ist das Urteil in mehrfacher Hinsicht:
- Das BAG hat das Urteil der Vorinstanzen nicht nur aufgehoben. Es hat das Landesarbeitsgericht München (LAG München, Urteil vom 6.12.2016 – 9 Sa 481/16) mit sehr deutlichen Worten beschieden: „Die Würdigung des LAG, die Klägerin habe keine vertraglichen Pflichten verletzt, […] ist in vielfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft“ und „nach allen denkbaren Maßstäben rechtsfehlerhaft ist seine Würdigung“. So deutlich wird das BAG selten. Liest man die Urteilsgründe des LAG, versteht man, warum. Das Urteil erhebt pauschale Wertungen zum Leitsatz (die Versetzung auf einen „völlig isolierten“ Arbeitsplatz sei unbillig und damit unwirksam) und wirkt insgesamt seltsam undogmatisch.
- Der Fall stammt „mitten aus dem Leben“. Es geht um eine offenbar sozial überforderte Sachgebietsleiterin, der die Mitarbeiter – auch nach Abgabe der Leitungsfunktion – förmlich „aus dem Weg gingen“. Der Arbeitgeber konnte am Ende gar nicht anders, als zu kündigen.
- Die Beklagte hat beinahe lehrbuchmäßig gehandelt: Zunächst hatte sie zur Beilegung des Konflikts eine Mediation durchgeführt. Dann entzog sie die Sachgebietsleitung. Als die Konflikte fortdauerten, bot sie die Abordnung in eine andere Abteilung an. Nachdem die Klägerin dies ablehnte, übertrug ihr die Arbeitgeberin Sonderaufgaben in einem abseits gelegenen Büro, dessen Lage aber mit den Aufgaben zusammenhing: Die Klägerin, eine Architektin, sollte das Bauwerk vor Ort begutachten und sich dort einen Arbeitsplatz einrichten. Dienstantritt und Dienstende sollte sie täglich per E-Mail melden. Nachdem die Klägerin sich weigerte, wurde sie wegen beider Pflichtverstöße abgemahnt und wenige Wochen später mangels Erfolg der Abmahnung nach Zustimmung des Personalrats außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt.
Umsichtiger kann ein Arbeitgeber kaum handeln. Der Arbeitnehmerin wurden etliche Chancen eingeräumt. Die Kündigung war im Wortsinne der letzte Ausweg („ultima ratio“). Man mag sich die Rezeption der Urteilsgründe auf Seiten der Beklagten vorstellen, die trotz dieser Bemühungen auch in zweiter Instanz unterlag und als Begründung dafür unter anderem lesen muss, sie habe die Klägerin nicht auf einen „sichtlich in die Jahre gekommenen, hölzernen Küchenstuhl“ setzen dürfen, ihr aber auch nicht zumuten dürfen, einen neuen Stuhl zu bestellen (weil zur Einrichtung eines Büros deutlich mehr gehöre, als zu sagen, „welchen Stuhl man gerne hätte“). Sie hätte ja stattdessen einen „Zimmertausch“ vornehmen können. Was zur Einrichtung eines Büros gehörte bleibt ebenso unklar wie die Quelle der gerichtlichen Erkenntnisse. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Beharrliche Arbeitsverweigerung als Kündigungsgrund gestärkt
Das BAG hob das Urteil auf. Auch die Versetzung in ein Einzelbüro und die Weisung, dieses selbst einzurichten sowie sich täglich per E-Mail an- und abzumelden, müsse keineswegs schikanös sein.
Im Einzelnen stellte das BAG fest:
- Will ein Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten (Arbeitsleistung oder Nebenpflichten) bewusst und nachhaltig nicht erfüllen, kann das als „beharrliche Arbeitsverweigerung“ eine fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigen.
- Bei einer „weitreichenden Konfliktlage“ zwischen Arbeitnehmern kann der Arbeitgeber berechtigt und sogar verpflichtet sein, einen störenden Arbeitnehmer zu versetzen.
- Aufgrund eines im Prozess vorgelegten Fotos und ohne Beweisaufnahme die Unzumutbarkeit eines Arbeitsplatzes anzunehmen, verletzt die Grundsätze der Beweiswürdigung.
- Auch Verstöße gegen Arbeitssicherheits- oder Gesundheitsschutzvorschriften können eine Arbeitsverweigerung jedenfalls dann nicht rechtfertigen, wenn kein nachhaltiger Schaden droht.
- Nebenarbeiten (wie die Pflege oder Reinigung von Arbeitsmitteln oder dienstliche Besorgungen), die in engem Zusammenhang mit der vertraglichen Hauptaufgabe stehen, können grundsätzlich zugewiesen werden.
- Wer an einem vernetzten Arbeitsplatz arbeitet, ist nicht isoliert von anderen.
- Die Anordnung, sich per E-Mail an- und abzumelden, kann zu Kontrollzwecken zulässig sein.
- Aus vergangenen Konflikten kann abgeleitet werden, dass eine Verhaltensänderung des Arbeitnehmers unabhängig von einer Abmahnung nicht zu erwarten ist.
Grenzen gerichtlicher Sachkunde und Entbehrlichkeit der Abmahnung
Fast noch bemerkenswerter sind die Urteilsgründe aus Sicht des forensischen Arbeitsrechtlers, auch wenn es sich insoweit nur um die freundliche Erinnerung an die Grundsätze der Beweisaufnahme des § 286 ZPO handelt. Bei der gebotenen Umsetzung dieser Grundsätze durch die Arbeitsgerichte dürfte es die eine oder andere Beweisaufnahme mehr geben:
- Das Gericht kann ohne Beweisaufnahme nur das als wahr unterstellen, was es aus eigener Sachkunde weiß. Es hat dann den Parteien seine Sachkunde darzulegen. Im Zweifel hat das Gericht über streitige Behauptungen und Tatsachen (etwa zur vermeintlichen Zumutbarkeit einer Weisung) Beweis zu erheben durch Gutachten oder Augenschein. Es kann nicht einfach Behauptungen als wahr unterstellen.
- Wichtig für die Praxis des Arbeitsrechtsanwalts, der erst im Prozess ins Mandat kommt: Fehlt es an einer einschlägigen Abmahnung, kann es sich lohnen, den bisherigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses im Prozess darzulegen. Eine Abmahnung kann entbehrlich sein, wenn der bisherige Verlauf des Arbeitsverhältnisses (insbesondere vergangene Konflikte) annehmen lässt, dass eine Verhaltensänderung ohnehin nicht zu erwarten war.
Hinweise für die Praxis
Praktisch folgt aus dem Urteil für die Personalarbeit kaum Neues, aber willkommen Klares:
- Gibt es Beschwerden über das Verhalten einzelne Arbeitnehmer aus der Abteilung, kann eine Versetzung angemessen, im Zweifel sogar geboten sein.
- Es können dabei auch Nebenaufgaben zugewiesen werden. Auch die effiziente Aufgabenerledigung vor Ort kann ein Interesse an einer Versetzung begründen.
- Es kann ein probates Mittel zur Kontrolle der tatsächlichen Arbeitszeit sein, Beginn und Ende der täglichen Arbeitsaufnahme per E-Mail zu melden – das gilt insbesondere für im Außendienst tätige oder im Homeoffice arbeitende Mitarbeiter. Als Einzelmaßnahme ist dies nicht mitbestimmt.
- Verweigert der Arbeitnehmer die zugewiesene Tätigkeit, sollte er abgemahnt und im Wiederholungsfall gekündigt werden. Er darf zwar die Tätigkeit verweigern, trägt aber das Risiko der Falschbewertung. Das Verhalten ist – nach Abmahnung – auch zur fristlosen Kündigung geeignet.
- Der Einwand, man sitze allein, ist kein Grund, eine Aufgabe zu verweigern, sofern der Arbeitnehmer (per Mail und Telefon) in die Kommunikation des Unternehmens eingebunden ist. Auch die Behauptung, Arbeitsschutzvorschriften seien nicht gewahrt, ist erst dann ein gültiger Einwand, wenn nachhaltiger Schaden droht.
Insgesamt rückt das Urteil die verhaltenssteuernden Maßnahmen des Arbeitgebers wieder mehr in den Mittelpunkt und stärkt damit den Kündigungsgrund der „beharrlichen Arbeitsverweigerung“. Der Arbeitnehmer hat im Rahmen des vertraglich Vereinbarten in weitem Rahmen zu tun, was er schuldet, einschließlich (unliebsamer) Nebenaufgaben. Unterlässt er das und weigert er sich, neue Arbeitsaufgaben zu akzeptieren, kann das ein fristloser Kündigungsgrund sein – sogar ohne Abmahnung.
BAG Urteil vom 28.06.2018 – 2 AZR 436/17
Dr. Philipp Wiesenecker, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main