Juli 2025 Blog

Paradigmen­wechsel bei der baurechtlichen Kündigungs­vergütung

Der EuGH und das Kammergericht Berlin stellen klar: Auch die Vergütung für nicht erbrachte Leistungen ist umsatzsteuerpflichtig.

Einleitung

Die vorzeitige Kündigung von Bauverträgen durch den Besteller und die damit verbundenen Entgeltansprüche des Unternehmers werfen regelmäßig komplexe Fragen der Rechnungsstellung auf. Während bislang nur die auf tatsächlich erbrachte Leistungen entfallende Vergütung als umsatzsteuerbar galt, hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 28. November 2024 (Rs. C-622/23) zu einem österreichischen Sachverhalt entschieden, dass auch die Vergütung für nicht erbrachte Leistungen der Umsatzsteuer zu unterwerfen ist, sofern der Unternehmer mit der Ausführung begonnen hatte und zur Fertigstellung bereitstand. Das Kammergericht Berlin hat diese EuGH-Rechtsprechung in einem Beschluss vom 13. Mai 2025 (Az. 21 U 8/25) nun konsequent auf das nationale Recht übertragen. 

Sachverhalt und bisherige Rechtslage

Im Zentrum sowohl der Entscheidung des EuGH als auch des Kammergerichts stand ein klassischer Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung: Ein Bauunternehmer hatte mit der Ausführung der vereinbarten Leistungen begonnen, der Auftraggeber kündigte jedoch den Vertrag, bevor das Werk fertiggestellt war. 

Wird ein Bauvertrag vor vollendeter Leistung durch den Besteller frei gekündigt, kann der Unternehmer nach § 648 Satz 2 BGB die vereinbarte Gesamtvergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen und des anderweitigen Erwerbs verlangen. In dem der EuGH-Entscheidung zugrundeliegenden Fall verlangte der Unternehmer die Zahlung eben dieser umgangssprachlich als „großen Kündigungsvergütung“ bezeichneten Forderung. 

Während der zivilrechtliche Anspruch durch das deutsche Werkvertragsrecht klar geregelt ist, kommt es für die Frage der Umsatzsteuerbarkeit des in Rechnung gestellten Betrages darauf an, ob es sich bei dem Vergütungsteil für die nicht erbrachten Restleistungen um umsatzsteuerbares Entgelt oder um einen nicht umsatzsteuerbaren Schadensersatz handelt.

Bisher entsprach es der ständigen Rechtsprechung von Bundesgerichtshof und Bundesfinanzhof sowie der Auffassung der Finanzverwaltung, dass nur die auf tatsächlich erbrachte Leistungen entfallende Vergütung umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig ist. Denn ausschließlich für die durchgeführten Arbeiten liege eine Gegenleistung für die zu entrichtende Vergütung vor, was diese als steuerbares Entgelt qualifiziere. In der Schlussrechnung nach Kündigung war deshalb stets zwischen erbrachten Leistungen (Abrechnung mit Umsatzsteuerausweis) und nicht erbrachten Leistungen (Abrechnung ohne Umsatzsteuer) zu differenzieren. Dies führt in der Praxis regelmäßig zu aufwändigen Abgrenzungsfragen und Unsicherheiten.

Entscheidungen von EuGH und Kammergericht

Der EuGH stellt nun klar, dass der Betrag, den ein Besteller dem Werkunternehmer auch dann schuldet, wenn die vollständige Ausführung des Werks unterbleibt, als Entgelt für eine Leistung im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen ist, wenn 

  1. der Unternehmer zur Leistung bereit war und
  2. durch Umstände auf Seiten des Bestellers an der Erbringung gehindert wurde. 

Die steuerbare Leistung des Werkunternehmers besteht nach Ansicht des EuGH also bereits darin, dass der Unternehmer den Besteller in die Lage versetzt, die vertraglich geschuldete Leistung abzurufen. Demgegenüber gingen die deutsche Rechtsprechung und Finanzverwaltung bisher davon aus, dass mit der vorzeitigen Beendigung ein neuer Leistungsgegenstand (unvollendetes Werk) entstehe und das hierauf entfallende Entgelt nur bei einem verbrauchsfähigen Vorteil umsatzsteuerpflichtig sein könne.

Etwa ein halbes Jahr nach dem EuGH-Urteil hat das Kammergericht Berlin diese Leitlinien auf das deutsche Recht übertragen. Der bisherigen nationalen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis wird damit eine Absage erteilt.

Auswirkungen auf die Praxis

Vorzeitige Kündigungen sind in der Baupraxis keine Seltenheit, etwa bei Finanzierungsengpässen des Bestellers, geänderten Planvorstellungen oder unvorhergesehenen Grundstücksproblemen. In solchen Fällen steht der Unternehmer oft in der Warteschleife – die Leistung ist begonnen, das Bauvorhaben unvollendet, und die recht aufwändige Abrechnung der Kündigungsvergütung wird notwendig, um Liquiditätsengpässe auszugleichen.

Baurechtliche Implikation
Die Abrechnung nach Kündigung bleibt auch nach den vorliegenden Gerichtsentscheidungen anspruchsvoll. Das KG betont, dass die Informations- und Kontrollinteressen des Auftraggebers auch vor dem Hintergrund der neuen Rechtsprechung zu wahren sind. Eine saubere Abgrenzung der erbrachten und nicht erbrachten Leistungen durch den Unternehmer ist auch weiterhin Voraussetzung für eine prüffähige Schlussrechnung. Es empfiehlt sich deshalb, schon mit Beginn der Ausführung die Aufwandsrechnung systematisch zu dokumentieren. Vor diesem Hintergrund haben die gerichtlichen Entscheidungen kaum baurechtliche Auswirkungen.

Umsatzsteuerrechtliche Implikationen
Der bisherigen deutschen Rechtsprechung von BGH und BFH dürfte für Fälle des § 648 Satz 2 BGB durch das Urteil des EuGH der Boden entzogen sein. Dies hat das Kammergericht bestätigt. Die Umsatzsteuer dürfte daher künftig auf den gesamten Abrechnungsbetrag – also inklusive des in der Vergangenheit als Schadensersatz betrachteten Teils – zu erheben sein. Bemessungsgrundlage ist die vertraglich vereinbarte (volle) Vergütung abzüglich der nach Kündigung tatsächlich ersparten Aufwendungen und des anderweitigen Erwerbs. 
Offen ist allerdings derzeit noch, ab wann diese EuGH-Rechtsprechung in Deutschland anzuwenden ist. Die entsprechende Passage im Umsatzsteuer-Anwendungserlass (Abschn. 1.3 Abs. 5, Abschn. 3.9 Abs. 2 UStAE) ist bisher noch unverändert, und entfaltet grundsätzlich Bindungswirkung für die Finanzverwaltung. Allerdings kann sich der Steuerpflichtige auch unmittelbar auf die EuGH-Rechtsprechung berufen, wenn diese für ihn vorteilhafter sein sollte. Für Besteller, die zum Vorsteuerabzug berechtigt sind und insbesondere in Fällen der Umkehr der Steuerschuldnerschaft (§ 13b Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5 UStG) dürfte die neue Beurteilung zwar nicht vorteilhafter sein, aber auch nicht wirtschaftlich ins Gewicht fallen. Für Besteller, die keinen Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen können, führt die EuGH-Rechtsprechung jedoch zu einer tatsächlichen Mehrbelastung, da der bisher nicht umsatzsteuerbare Schadensersatz zu steuerpflichtigem Entgelt wird. 
Mit einer Aktualisierung der Verwaltungsanweisungen für die Finanzverwaltung dürfte zu rechnen sein. Daher sollten Bauunternehmen sich bereits auf eine Anpassung ihrer Rechnungs- und Buchhaltungsprozesse vorbereiten. In streitigen Fällen sollte die Nachforderung des Umsatzsteueranteils vorbehalten werden und insoweit die zivilrechtliche Verjährung der Vergütungsansprüche im Blick behalten werden.

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