September 2025 Blog

Reform des Produkthaftungsrechts: Der Referentenentwurf zur EU-Richtlinie im Überblick

Mit dem am 11. September 2025 veröffentlichten Referentenentwurf zur Umsetzung der neuen EU-Produkthaftungsrichtlinie (EU) 2024/2853 legt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz die Grundlage für die erste grundlegende Reform des Produkthaftungsrechts seit 1989. Das neue Produkthaftungsgesetz soll am 9. Dezember 2026 in Kraft treten; für zuvor in Verkehr gebrachte oder in Betrieb genommene Produkte gilt weiterhin das alte Recht. Im Grundsatz erfolgt die Umsetzung deckungsgleich mit der EU-Richtlinie; Abweichungen gibt es nur, wo deutsches Recht die Vorgaben bereits erfüllt.

Software und KI erstmals umfassend erfasst

Die wichtigsten Neuerungen betreffen vor allem den Anwendungsbereich der Produkthaftung, der künftig alle Arten von Software unabhängig von einer Verkörperung oder Verbindung mit körperlichen Gegenständen umfasst – einschließlich lokal installierter Programme, Cloud-Anwendungen, Software-as-a-Service und Künstlicher Intelligenz. EU-Produkthaftungsrichtlinie und Referentenentwurf verzichten dabei bewusst auf eine Definition des Software-Begriffs, um „offen für künftige technische Entwicklungen“ zu sein. Damit wird der Begriff „Produkt“ erstmals explizit auf digitale Komponenten erweitert. Fehler in KI-Systemen, etwa im Bereich des autonomen Fahrens, können künftig haftungsrechtlich relevant sein. Open-Source-Software bleibt jedoch ausgenommen, sofern sie nicht im Rahmen einer Geschäftstätigkeit entwickelt oder bereitgestellt wird. In diesem Zusammenhang stellt der Referentenentwurf allerdings auch klar, dass ein Hersteller, der entsprechende Open-Source-Software im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit als Komponente in ein Produkt integriert, dann wiederum für Schäden haftet, die durch Fehler der Software verursacht worden sind. Eine Haftung des Herstellers der Open-Source-Software bleibt insoweit ausgeschlossen.

Ausdrücklich als „Produkt“ erfasst werden zudem auch digitale Konstruktionsunterlagen. Hierbei handelt es sich beispielsweise um Vorlagen für Bohr-, Dreh- und Fräsmaschinen sowie sogenannte CAD-Dateien („computer-assisted-design“).

Haftung bei Produktveränderung und Upcycling

Wer ein Produkt nachträglich wesentlich verändert, etwa durch Upcycling oder Modifikation, und es in Verkehr bringt, haftet künftig als Hersteller. Diese Regelung betrifft insbesondere Unternehmen, die gebrauchte Produkte aufbereiten oder Komponenten austauschen und weiterverkaufen. Sie stärkt den Verbraucherschutz, indem sie sicherstellt, dass auch für modifizierte Produkte eine klare Haftungsregelung besteht.

Bei fehlerhaften Komponenten haften ggf. sowohl der Hersteller des Gesamtprodukts als auch der Hersteller der fehlerhaften Komponente. „Komponenten“ in diesem Sinne sind auch sog. „verbundene Dienste“, d.h. digitale Dienste, ohne die bestimmte Produktfunktionen nicht ausführbar wären (z.B. Sprachassistenten).

Zusätzliche Kriterien für Fehlerhaftigkeit und möglicher Fortbestand der Haftung

Maßgeblich für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts sind die berechtigte Sicherheitserwartung sowie die Vorgaben des deutschen und europäischen Produktsicherheitsrechts (z.B. auch der KI-Verordnung). Für die insoweit erforderliche Berücksichtigung aller Umstände werden zusätzliche Kriterien eingeführt, zu denen u.a. die Fähigkeit des Produkts gehört, nach Inverkehrbringen oder Inbetriebnahme weiter zu lernen oder neue Funktionen zu erwerben. Ein etwaiger Produktrückruf oder sonstige relevante Maßnahme einer zuständigen Behörde sind ebenfalls als Abwägungskriterium heranzuziehen. Die EU-Produkthaftungsrichtlinie stellt allerdings auch klar, dass derartige Eingriffe für sich genommen keine Vermutung der Fehlerhaftigkeit begründen sollten.

Im Übrigen ist bei der Beurteilung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts – wie bisher – grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens bzw. der Inbetriebnahme abzustellen. Nach EU-Produkthaftungsrichtlinie und Referentenentwurf kommt es zukünftig aber zu einem Fortbestand der Haftung, wenn solange der Hersteller (z.B. durch Software-Updates) die Kontrolle über das Produkt behält.

Erweiterter Kreis der Haftenden

Die Reform trägt der Realität globaler Lieferketten Rechnung: Neben dem Hersteller können entsprechend einer Haftungskaskade künftig auch Importeure, Fulfilment-Dienstleister und – unter bestimmten Voraussetzungen – Lieferanten sowie Online-Plattformen oder Marktplatz-Betreiber haftbar gemacht werden. Letztere haften insbesondere dann, wenn der Hersteller außerhalb der Europäischen Union sitzt oder eine Plattform als Anbieter auftritt und Hersteller oder Lieferanten nicht innerhalb eines Monats benennt. Dies soll die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtern, insbesondere wenn der Hersteller außerhalb der Europäischen Union ansässig und schwer greifbar ist.

Verbesserte Durchsetzungsmöglichkeiten für Geschädigte

Für Geschädigte verbessert sich die Rechtsdurchsetzung deutlich. Sofern die „Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs“ hinreichend dargelegt ist, können diese zukünftig insbesondere eine Offenlegung von relevanten Beweismittel verlangen. Anders als bei der Umsetzung der Offenlegung von Beweismitteln nach der Kartellschadensersatzrichtlinie in § 33g GWB, wird im Referentenentwurf zur EU-Produkthaftungsrichtlinie von vornherein nicht auf das Kriterium der „Glaubhaftmachung“ abgestellt. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu beachten, dass der Bundesgerichtshof auch die „Glaubhaftmachung“ in § 33g GWB nicht im Sinne des § 294 ZPO (d.h. als überwiegende Wahrscheinlichkeit) versteht, sondern das Kriterium vielmehr eigenständig auslegt. Ausreichend sein sollen daher konkrete Anhaltspunkte, die einen gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit (aber nicht zwingend eine überwiegende Wahrscheinlichkeit) begründen (BGH, Urteil vom 04.04.2023, Az. KZR 20/21). Auf diese Entscheidung wird im Referentenentwurf zum neuen Produkthaftungsrecht explizit verwiesen, sodass der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung zu den kartellrechtlichen Offenlegungsvorschriften wohl auch auf die entsprechenden Bestimmungen im neuen Produkthaftungsrecht übertragen wird. Der Anspruch auf Offenlegung nach dem Referentenentwurf zur EU-Produkthaftungsrichtlinie richtet sich zudem ausschließlich gegen die beklagte Partei (d.h. kein Anspruch gegenüber Dritten) und setzt eine bereits anhängige Schadensersatzklage voraus (d.h. kein vorprozessualer Offenlegungsanspruch). Bei der Anordnung einer etwaigen Offenlegung müssen die Gerichte auch die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen berücksichtigen.

Ergänzend eingeführt werden mit dem Referentenentwurf zur EU-Produkthaftungsrichtlinie zudem widerlegliche Vermutungen für die Fehlerhaftigkeit eines Produkts sowie die Kausalität zwischen einem Produktfehler und dem eingetretenen Schaden. Die Vermutung für die Fehlerhaftigkeit eines Produkts soll eingreifen, wenn (i) der Beklagte einer Anordnung zur Offenlegung von Beweismitteln nicht nachkommt oder (ii) ein Verstoß gegen Produktsicherheitsrecht oder (iii) eine offensichtliche Funktionsstörung nachgewiesen ist. Die Kausalitätsvermutung setzt voraus, dass der Schaden typischerweise auf den festgestellten Produktfehler zurückgeführt werden kann. Von einem Produktfehler und/oder der Kausalität zwischen Produktfehler und eingetretenem Schaden soll zudem auch dann auszugehen sein, wenn (i) der entsprechende Beweis für den Kläger – trotz einer angeordneten Offenlegung von Beweismitteln – wegen technischer oder wissenschaftlicher Komplexität „übermäßig schwierig“ ist und (ii) dieser die Wahrscheinlichkeit für einen Produktfehler und/oder die Kausalität zwischen Produktfehler und eingetretenem Schaden nachgewiesen hat.

Soweit in der EU-Produkthaftungsrichtlinie auf die Möglichkeiten der Verbandsklage und gebündelten Anspruchsdurchsetzung verwiesen wird, hält der Referentenentwurf keine expliziten Bestimmungen für erforderlich, weil diese Möglichkeiten bereits unmittelbar aus dem entsprechenden nationalen Recht folgende würden (insbesondere die §§ 164 ff. BGB zur Vertretung, die §§ 398 ff. BGB zum Forderungsübergang und die §§ 1 ff. des Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetzes zu Verbandsklagen).

Schließlich werden rechtskräftige Entscheidungen künftig elektronisch veröffentlicht, was die Transparenz erhöht. 

Finanziell unbegrenzte Haftung

Der bisherige Haftungshöchstbetrag bei Personenschäden von 85 Millionen Euro sowie die bisherige Selbstbeteiligung bei Sachschäden (500 Euro) entfallen. Die Produkthaftung ist künftig finanziell unbegrenzt – ein erheblicher Risikofaktor für Unternehmen, insbesondere bei Serienfehlern oder Personenschäden.

Verjährung

Wie bisher beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre ab Kenntnis von Schaden, Fehler und Hersteller, maximal zehn Jahre ab Inverkehrbringen. Bei Latenzschäden kann die Frist auf bis zu 25 Jahre verlängert werden. 

Fazit

Die Reform des Produkthaftungsrechts stellt Hersteller und Anbieter vor weitreichende Herausforderungen – insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung und die Einbindung von Software und KI in moderne Produkte. Unternehmen sollten sich frühzeitig auf die neuen Haftungsregeln einstellen, indem sie ihre internen Prozesse, Compliance- und Risikomanagementsysteme sowie Versicherungsstrategien umfassend überprüfen. Ein gezielter Gap-Check hilft, das eigene Produktportfolio, Softwareanteile (einschließlich KI), Upcycling-Prozesse und die Lieferkette auf Konformität mit den neuen Anforderungen zu analysieren. Bestehende Verträge sollten aktualisiert werden – insbesondere hinsichtlich Haftungs- und Freistellungsklauseln, Gewährleistungen, Nachweis- und Benennungspflichten sowie Regelungen zu Plattform- und Fulfilment-Verträgen, Rückruf und Incident-Management. Nur wer jetzt handelt, kann Haftungsrisiken wirksam minimieren und rechtssicher agieren. Angesichts einer Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen (z.B. „wesentliche Veränderung“ eines Produkts zur Begründung der Hersteller-Eigenschaft oder „übermäßige Schwierigkeit“ zum Nachweis von Produktfehler und/oder Kausalität) dürfte die Auslegung und Konkretisierung des neuen Produkthaftungsrechts letztlich auch vielfach den Gerichten überlassen bleiben.

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