August 2025 Blog

Umsetzung der EU-Anti-SLAPP-Richtlinie

Seit Erlass der sog. EU-Anti-SLAPP-Richtlinie, deren offizielle Bezeichnung: „Richtlinie (EU) 2024/1069 vom 11. April 2024 über den Schutz von Personen, die sich öffentlich beteiligen, vor offensichtlich unbegründeten Klagen oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren („strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“)“ lautet, wird von Redaktionen und NGO, die von betroffenen Unternehmen wegen einer Skandal-Berichterstattung oder Skandal-Kampagne gerichtlich in Anspruch genommen werden, immer häufiger der Vorwurf erhoben, die gerichtlichen Schritte stellten ein SLAPP-Verfahren dar. Die Abkürzung SLAPP steht dabei für Strategic Lawsuit against Public Participation (und ist gleichzeitig in Anlehnung an das englische Wort „slap“ für „Ohrfeige“ konstruiert worden).

Mit dem „SLAPP“-Argument, das man auch als Totschlagsargument bezeichnen kann, ist der Vorwurf verbunden, dass SLAPP-Klagen rechtsmissbräuchlich und deshalb nach Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht künftig unzulässig sein sollen.

Die EU-Anti-SLAPP-Richtlinie (EU) 2024/1069

Die Richtlinie (EU) 2024/1069 ist nach ihrem Erwägungsgrund (1) sowie ihren Artikeln 1, 2 und 5 nur auf Zivil- und Handelssachen „mit grenzüberschreitendem Bezug“ beschränkt. Sie sieht eine Reihe von Verfahrensgarantien gegen offensichtlich unbegründete Klagen und missbräuchliche Verfahren in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug vor die gegen natürliche oder juristische Personen aufgrund ihrer öffentlichen Beteiligung angestrengt werden (Art. 1). Der Begriff der öffentlichen Beteiligung ist dabei weit definiert und umfasst insbesondere jede Aussage oder Tätigkeit, die in Ausübung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, der Freiheit von Kunst und Wissenschaft oder Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse erfolgt (Art. 4 Nr. 1). „Missbräuchliche Gerichtsverfahren“, gegen die sich die Richtlinie wendet, sind danach „Gerichtsverfahren, die nicht angestrengt werden, um tatsächlich ein Recht geltend zu machen oder auszuüben, sondern deren Hauptzweck darin besteht, öffentliche Beteiligung zu verhindern, einzuschränken oder zu sanktionieren, mit denen häufig ein Machtungleichgewicht zwischen den Parteien ausgenutzt wird und mit denen unbegründete Ansprüche verfolgt werden“.

Die Richtlinie gibt den EU-Mitgliedsstaaten auf, zugunsten der Betroffenen solcher Gerichtsverfahren Verfahrensrechte einzuführen, mit denen die Betroffenen z. B. eine Prozesskostensicherheit und eine frühzeitige Abweisung offensichtlich unbegründeter Klagen beantragen können (Art. 6). Ferner sieht die Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht eine beschleunigte Behandlung solcher Anträge (Art. 7) sowie für die beteiligten Gerichte die Möglichkeit vorsehen sollen, dass diese gegen Personen, die solche missbräuchliche Verfahren einleiten, „abschreckende Sanktionen oder sonstige gleichermaßen wirksame geeignete Maßnahmen, einschließlich der Zahlung von Schadenersatz oder der Veröffentlichung der Gerichtsentscheidung“ verhängen können (Art. 15). 

Die Umsetzungsfrist läuft nach Art. 22 der EU-Richtlinie nur bis zum 7. Mai 2026.

Der Referentenentwurf

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat angesichts der kurzen Umsetzungsfrist bereits im Juni 2025 einen Referentenentwurf veröffentlicht, der zur Umsetzung der EU-Anti-SLAPP-Richtlinie vorsieht, in der Zivilprozessordnung (ZPO) sechs neue Paragraphen einzufügen (§§ 23a, 615-619 ZPO RefE).

Liest man den Referentenentwurf indes genauer, stellt man schnell fest, dass dieser ohne Not von der EU-Richtlinie abweicht, indem er vorsieht, dass die Neuregelung der Anti-SLAPP-Verfahrensrechte in Deutschland künftig nicht, wie in der EU-Richtlinie vorgesehen, auf Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug beschränkt bleiben soll, sondern auch für „rein innerstaatliche Sachverhalte“ gelten solle (a. a. O., Seite 16). Das ist eine weitreichende Erweiterung der Anwendungsfälle, die für die gerichtliche Praxis in medienrechtlichen Verfahren in Deutschland umso überraschender käme, als es für einen solchen Alleingang bei der Abweichung von der EU-Richtlinie augenscheinlich keinen tatsächlichen Handlungsbedarf gibt. Denn noch die letzte Bundesregierung hat in einer Antwort vom 1. Oktober 2024 auf eine Kleine Anfrage (BT-Drs. 13/13237) mitgeteilt, dass es bisher keine SLAPP-Verfahren in Deutschland gegeben habe (a. a. O., Seite 2):

 „Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Praxis der deutschen Gerichte bislang keine Erfahrungen mit dem Phänomen solcher „SLAPP (Strategic Law-suits against Public Participation) Klagen“.

„Auch vor diesem Hintergrund sind der Bundesregierung konkrete Beispiele von Klagen vor deutschen Gerichten, die nach den Umständen des Einzelfalls die von der Richtlinie vorgesehene Definition für ein sogenanntes SLAPP-Verfahren erfüllt hätten, nicht bekannt.“

Diese Einschätzung ist vor dem Hintergrund der EU-Anti-SLAPP-Richtlinie auch plausibel. Denn nach Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie sollen solche Gerichtsverfahren aus den von den Mitgliedstaaten einzuführenden Anti-SLAPP-Regelungen ausgenommen bleiben, die angestrengt werden, um tatsächlich ein Recht geltend zu machen oder auszuüben. Im Erwägungsgrund (29) der Richtlinie heißt es dazu ausdrücklich: „Verfolgt der Kläger in einem Gerichtsverfahren hingegen Ansprüche, die begründet sind, so sollten solche Verfahren für die Zwecke dieser Richtlinie nicht als missbräuchlich angesehen werden“ und in Erwägungsgrund (7): „Im Fall eines Konflikts zwischen diesen Rechten müssen alle Parteien Zugang zu Gerichten haben, wobei der Grundsatz eines fairen Verfahrens gebührend zu achten ist.“

Risiken und Trittbrettfahrer

Sollte der im Juni 2025 veröffentliche Referentenentwurf des BMJV unverändert in die ZPO übernommen werden, würde das den Rechtsschutz für betroffene Unternehmen und Einzelpersonen empfindlich erschweren, die sich gerichtlich mittels medienrechtlicher Schritte (wie z. B. eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung oder einer Klage auf Unterlassung) gegen falsche Behauptungen in Medienberichten oder in Skandalkampagnen wehren wollen, die z. B. von NGO aus der Tierrechts- oder Umweltszene inszeniert oder von investigativen Medien verbreitet werden. 

Dies aus zwei wesentlichen Gründen: Die ohne Not geplante Ausweitung der Anti-SLAPP-Verfahrensrechte auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte würde dazu führen, dass praktisch jeder Betroffene, der in Deutschland gerichtlich gegen die Verbreitung falscher Behauptungen vorgehen möchte, sogleich mit einem Bündel von Verfahrensanträgen der Gegenseite überzogen werden könnte, gegen die er sich erst einmal mit dem entsprechenden Mehraufwand seinerseits zur Wehr setzen müsste. Hinzu käme, dass im Referentenentwurf davon abgesehen worden ist, das Ausklammern von gerichtlichen Schritten aus der EU-Richtlinie ausdrücklich zu übernehmen, „die nicht angestrengt werden, um tatsächlich ein Recht geltend zu machen oder auszuüben“. Anders als in der EU-Richtlinie vorgesehen würden Betroffene in Deutschland daher mit Abwägungsfragen zu der vergleichsweise unbestimmten Frage konfrontiert werden, worin „der Hauptzweck“ ihres Vorgehens liege: im Geltendmachen eines tatsächlichen Rechtes oder in der Beschränkung einer öffentlichen Beteiligung.

Zu beobachten ist ferner, dass Gesetzgebungsprojekte wie dieses augenscheinlich Trittbrettfahrer magisch anziehen. So haben sich schon jetzt, noch während der Umsetzungsfrist, eine Handvoll von Vereinen zusammengetan und eine sog. No-Slapp-„Anlaufstelle“ mit einer Webseite ins Leben gerufen, bei der sich z. B. Blogger oder Aktivisten aus der radikalen Tierrechtsszene mittels eines Online-Formulars bestätigen lassen können, dass gegen ihre Verlautbarungen eingeleitete gerichtliche Schritte angeblich nur ein „SLAPP“-Verfahren seien. Mit einer solchen, für Unbeteiligte offiziell klingenden „Bestätigung“ können sie anschließend in ihren Social-Media-Kanälen Spendenwerbung betreiben und sich als Opfer angeblich missbräuchlicher gerichtlicher Schritte inszenieren, obwohl sie selbst es gewesen sind, die als Täter mit ihren falschen und rufschädigenden Behauptungen über Unternehmen und Einzelpersonen Anlass gegeben haben, medienrechtlich gegen diese Falschbehauptungen vorzugehen.

Ausblick

Es wird deshalb spannend bleiben, das bisher von der Öffentlichkeit noch weitgehend unbeachtete Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der EU-Anti-SLAPP Richtlinie (EU) 2024/1069 zu begleiten und zu verfolgen, ob die ohne Not vorgesehene Ausweitung auf rein innerstaatliche Sachverhalte und die Aufweichung des Anwendungsbereichs der Anti-SLAPP-Verfahrensrechte in einem nationalen Alleingang in Deutschland tatsächlich in die ZPO eingefügt werden.

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