Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren ante portas? Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission
Die Einbindung eines Gerichts ist notwendig, wenn in Rechte dissentierender Gläubiger eingegriffen werden soll oder der Plan eine neue Finanzierung vorsieht.
Wie im deutschen Insolvenzplanverfahren sollen die betroffenen Gläubiger nach verschiedenen Gruppen mit gleichartigen Interessen klassifiziert werden. Zu den Gruppen können beispielsweise gesicherte und ungesicherte Gläubiger, Arbeitnehmer oder auch Anteilsinhaber zählen. Die Gruppeneinteilung soll auf Antrag durch ein Gericht überprüft werden können.
Die Annahme des Restrukturierungsplans erfolgt im Wege der Abstimmung. Erforderlich ist eine Mehrheit innerhalb jeder Gruppe, wobei die mitgliedstaatlichen Regelungen zur Annahme kein höheres Mehrheitserfordernis als 75% der Forderungen vorsehen dürfen. Erzielt eine oder mehrere Gruppen nicht die erforderliche Mehrheit, kann der Restrukturierungsplan dennoch durch das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen bestätigt werden („Cram down“).
Der Restrukturierungsplan ist gerichtlich zu bestätigen. Voraussetzung der gerichtlichen Bestätigung des Plans ist unter anderem, dass die Gläubiger durch diesen nicht schlechter als in einem regulären Insolvenzverfahren gestellt werden („best interest of creditors test“).
b) Weitere Regelungen
Darüber hinaus enthält der Richtlinienvorschlag einige weitere Vorgaben:
So sollen Neu- oder Zwischenfinanzierungen in einem Restrukturierungsszenario in einem eventuellen späteren Insolvenzverfahren unanfechtbar sein und vorrangig vor den ungesicherten Gläubigern bedient werden können. Zudem soll die Haftung der Finanzierenden in solchen Situationen (Lender Liability) eingeschränkt werden. Auch weitere notwendige Leistungen, etwa Kosten des Restrukturierungsplans und der Beratung hierzu sowie die Zahlung von Löhnen sollen nicht anfechtbar sein. Gleiches gilt für Handlungen zur Umsetzung eines Restrukturierungsplans. Die EU-Kommission nennt als Beispiel den Verkauf von Tochtergesellschaften, um dadurch die Liquidität zur Fortführung eines Restrukturierungsprozesses zu generieren.
- Die Mitgliedstaaten sollen ferner für Mechanismen zur frühzeitigen Warnung vor finanziellen Problemen Sorge tragen. Nach Auffassung der EU-Kommission könnten dazu beispielsweise die Auferlegung buchhalterischer Überwachungsverpflichtungen des Managements zählen oder die Verpflichtung von Wirtschaftsprüfern, Finanzbehörden oder Sozialversicherungsträgern, negative Entwicklungen anzuzeigen. Geschäftsleiter sollen in Restrukturierungen zwar grundsätzlich weiterhin angemessene Risiken eingehen dürfen. Wenn die Insolvenz droht, sollen sie aber klar verpflichtet sein, die Verluste der Gläubiger und Anteilseigner in Grenzen zu halten.
- Redliche überschuldete Unternehmer, also natürliche Personen, sollen nach drei Jahren die Restschuldbefreiung erlangen können („zweite Chance“). Nach Ablauf dieses Zeitraums sollen sie grundsätzlich keiner Sperre für die Wiederaufnahme einer unternehmerischen Tätigkeit unterliegen.
- Schließlich sieht der Vorschlag weitere Regelungen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren vor. Insbesondere nennt die EU-Kommission die Einrichtung spezialisierter Kammern, Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Richter und Insolvenzpraktiker sowie die Verbesserung des Einsatzes von Technologien.
3. Auswirkungen in Deutschland und weiteres Normsetzungsverfahren
Weite Teile der Regelungen zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren finden sich inhaltlich bereits in den deutschen Regelungen zum Insolvenzplan, zur (vorläufigen) Eigenverwaltung und zum Schutzschirmverfahren.
Nach zutreffender Ansicht hat der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben der Richtlinie dennoch noch nicht umgesetzt. Der entscheidende Unterschied des neuen Sanierungsverfahrens zu den bisherigen deutschen Sanierungsregelungen insbesondere des ESUG ist, dass der neue Restrukturierungsrahmen die Insolvenz vermeiden soll („preventive restructuring framework … to … avoid insolvency“), während die deutschen Sanierungsmaßnahmen die Insolvenz voraussetzen. Allenfalls wenn man den Insolvenzbegriff i.S.d. Richtlinienvorschlags entgegen dem deutschen Verständnis der Insolvenzreife allein als Zahlungsunfähigkeit definiert, lässt sich überhaupt argumentieren, dass der bestehende deutsche Restrukturierungsrahmen insolvenzvermeidend wirkt. Er setzt nämlich bereits zu einem regelmäßig früheren Zeitpunkt als der Zahlungsunfähigkeit an, konkret der drohenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Auch nach dieser Argumentation bleibt es aber dabei, dass das deutsche Sanierungsrecht immer in ein (öffentliches) Insolvenzverfahren mündet, selbst im Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO. Das Stigma der Insolvenz will der Richtlinienvorschlag aber gerade vermeiden. Der deutsche Gesetzgeber ist daher gehalten, ein echtes vorinsolvenzliches Verfahren zu schaffen.
Ob der deutsche Gesetzgeber dieser Forderung nachkommt und wenn ja welche Regelungen er hierzu vorsieht, beispielsweise an einen früheren Auslöser für das neue Verfahren wie die „Ertragskrise“ anknüpft, lässt sich gegenwärtig noch nicht eindeutig vorhersagen. Der Richtlinienvorschlag muss zunächst noch das Europäische Parlament und den Europäischen Rat passieren. Da eine Richtlinie keine unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten hat, bedarf sie anschließend der Umsetzung in nationales Recht. Hierfür haben die Mitgliedstaaten (nach dem derzeitigen Stand des Richtlinienvorschlags) ab Inkrafttreten der Richtlinie im Hinblick auf die meisten der vorgesehenen Regelungen zwei Jahre Zeit.
Unabhängig von dem Fortgang der (Umsetzung der) EU-Richtlinie wird das Thema vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren in Deutschland im nächsten Jahr aktuell. Bei der Verabschiedung des ESUG gab der Bundestag der Bundesregierung auf, nach fünf Jahren zu prüfen, ob trotz der Reformen des ESUG ein Bedürfnis für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren besteht. Das Thema vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren wird daher auch 2017 nicht an Bedeutung verlieren.
(Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council vom 22.11.2016)
Dr. Wolfram Desch, LL.M., Rechtsanwalt
Uli Schmidt, Rechtsanwalt
beide München