Wirksamkeit insolvenzabhängiger Lösungsklauseln
Vertragsklauseln, die es einer Vertragspartei erlauben, sich vom Vertrag bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und/oder im Fall eines Insolvenzantrags oder der Insolvenzeröffnung allein aus diesem Grund zu lösen, sind in ihrer Wirksamkeit umstritten. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind bisher Lösungsmöglichkeiten nur für einzelne Vertragstypen behandelt worden.
Nunmehr hat der Insolvenzsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) ein anhängiges Verfahren erfreulicherweise dazu genutzt, um richtungsweisende Hinweise für die zukünftige Behandlung insolvenzbedingter Lösungsklauseln zu geben.
Sachverhalt
Der Entscheidung lag ein Schülerbeförderungsvertrag zwischen einem Busunternehmen und einer Gebietskörperschaft zugrunde. Nachdem das Insolvenzgericht auf Antrag des Busunternehmens die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet hatte, kündigte die Körperschaft den Beförderungsvertrag unter Bezugnahme auf ein vertraglich vereinbartes Kündigungsrecht aufgrund der Beantragung der Insolvenz fristlos.
Der durch das Insolvenzgericht bestellte Insolvenzverwalter vertrat unter Hinweis auf § 119 InsO die Ansicht, dass die seitens der Körperschaft ausgesprochene Kündigung unwirksam gewesen sei, und erhob Klage auf Zahlung der vereinbarten Vergütung bis zum regulären Vertragsende unter Abzug ersparter Aufwendungen. Nach erstinstanzlicher Klageabweisung gab das Berufungsgericht der Klage statt (wir berichteten).
Entscheidung
Der BGH teilte die Auffassung des Berufungsgerichtes nicht und hat den Rechtsstreit zurückverwiesen.
Auch der BGH geht davon aus, dass das Gesetz bislang keine abschließenden Regelungen zur Wirksamkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln trifft. In § 119 InsO ist geregelt, dass Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO, insb. das Wahlrecht des Insolvenzverwalters, ausgeschlossen oder beschränkt wird, unwirksam sind. Andererseits ergebe gerade auch das Gesetzgebungsverfahren zu § 119 InsO, dass der Gesetzgeber nicht von einer generellen Unwirksamkeit solcher Lösungsmöglichkeiten ausgegangen ist. Mangels einer klaren gesetzlichen Grundlage bedürfe daher eine auf § 119 InsO gestützte insolvenzabhängige Lösungsklausel einer besonderen Rechtfertigung, welche den Grundsatz der Vertragsfreiheit berücksichtigen müsse.
Entscheidend für eine wirksame insolvenzabhängige Lösungsklausel sei aus Sicht des BGH, dass für diese objektiv ein sachlicher Grund besteht, welche über das bloße Bestreben des Vertragspartners, die Bestimmungen der §§ 103 bis 108 InsO zu unterlaufen, hinausgehe.
Demnach sind zunächst Lösungsklauseln zugunsten eines „Geldleistungs-“ Gläubigers immer dann unwirksam, wenn sie den Rahmen von gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeiten überschreiten. Begründet wird dies seitens des BGH damit, dass Geldleistungsgläubiger im Gegensatz zu anderen Gläubigern hinreichend, insbesondere durch die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) sowie die Unsicherheitseinrede (§ 321 BGB), geschützt seien.
Hingegen sollen nach Auffassung des BGH solche Lösungsklauseln wirksam sein, welche die Vertragsparteien in Verträgen vereinbaren, mit welchen insolvenzrechtlich gerechtfertigte Ziele wie z.B. eine Sanierung des Schuldners verfolgt werden sollen. Wirksam sind weiterhin solche Klauseln, für die das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässt und die Insolvenz eines Vertragsteils die Vertragserfüllung erheblich beeinträchtigen würde. Der Senat spricht dabei ausdrücklich die Fragen der Zuverlässigkeit für die weitere Leistungserbringung, den Verlust von Gewährleistungsansprüchen oder aber das schützenswerte Interesse des Gläubigers an späteren zusätzlichen Leistungen wie etwa Wartungsarbeiten an.
Das Berufungsgericht hat demzufolge nach Ansicht des BGH nicht ausreichend geklärt, ob für das konkrete Vertragsverhältnis ein berechtigtes Interesse an der Lösungsmöglichkeit besteht. Er hat dem Berufungsgericht den Hinweis erteilt, dass u.a. zu klären sei, ob im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein Bedürfnis für die Klausel bestanden hat, weil zu befürchten war, dass es nach einer Eigenantragstellung zu Leistungsausfällen kommt, die nach der Natur des Beförderungsvertrages weitestgehend ausgeschlossen werden müssen. Ein weiteres berechtigtes Interesse sieht der BGH in der möglicherweise fehlenden Absicherung von Unfallfolgen.
Praxishinweis
Der Senat hat durch die vorliegende Entscheidung der Forderung der Praxis nach „Leitlinien“ zur Behandlung der Frage einer Wirksamkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln Rechnung getragen. Sicherlich verbleibt es bei einer Einzelfallprüfung. Dies ist in Betracht der Bedeutung eines solchen Lösungsrechtes für die Restrukturierungspraxis einerseits, aber auch dem Grundsatz der Vertragsfreiheit andererseits, angemessen. Der Senat hat allerdings auch eine neue „Baustelle“ eröffnet. Er hat in einem Nebensatz darauf hingewiesen, dass er zumindest erwägt, in Eigenverwaltungsverfahren ein generelles Verbot von insolvenzbedingten Lösungsklauseln anzunehmen. In diesen Fällen muss es daher bei der Empfehlung verbleiben, die Kündigung (wenn möglich) nicht nur auf die Insolvenzantragstellung zu stützen.
(BGH, Urt. vom 27.10.2022 – IX ZR 213/21)