Februar 2025 Blog

Was die Reform des EU-Designrechts für den Aftermarket-Ersatzteilhandel bedeutet und was nicht

Mit zunehmenden gesetzgeberischen Bestrebungen, nachhaltiges und ressourcenschonendes Wirtschaften auf dem Markt zu etablieren (u.a. sog. „EU Green Deal“), gewinnt auch die Liberalisierung des Ersatz- und Verschleißteil-Markts deutlich an Fahrt. 

Mit dem am 23. Oktober 2024 verabschiedeten „Design-Paket“, bestehend aus einer Unionsdesign-Richtlinie (RL (EU) 2024/2823 vom 23. Oktober 2024 über den rechtlichen Schutz von Designs), die an die Stelle der Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen getreten ist, und einer Unionsgeschmacksmuster-Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2246/2002 der Kommission vom 16. Dezember 2002 (Inkrafttreten größtenteils zum 1. Mai 2025, teils zum 1. Juli 2026), macht auch die designrechtliche Ersatzteilproblematik zumindest einen Schritt nach vorn.

Aber nochmal von vorn

Geht es um Ersatz-/Verschleißteile, die die sichtbare Gestaltung des fertigen Endprodukts betreffen und nicht lediglich technischer Natur sind, greifen die Hersteller nicht selten auf das Designrecht zurück. So versuchen bisher vor allem (aber nicht nur!) große Automobilhersteller (OEs), insbesondere über Designschutz Einfluss auf den Sekundärmarkt (Aftermarket) zu nehmen, um ihre Investitionen zu schützen und Marktanteile zu sichern. Eine solche Monopolisierung des Ersatzteilhandels bedeutet auf der anderen Seite aber einen diametralen Widerspruch zu den Bemühungen der Europäischen Union, den Verbraucherinteressen durch Förderung des Wettbewerbs ein angemessenes Preisniveau auf dem Ersatzteilmarkt zu ermöglichen.

Diesen Interessenkonflikt versuchte der Unionsgesetzgeber bereits bei Inkrafttreten des Unionsdesignrechts im Jahr 2002 auf Ebene der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung zu lösen, indem er mit Art. 110 GGV eine sog. „Reparaturklausel“ vorsah. Danach besteht für ein Muster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses mit dem Ziel verwendet wird, die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen, gerade kein Verbietungsrecht des Rechteinhabers aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Die Idee: Der Verbau eines Aftermarket-Kotflügels (Bauteil eines Autos), der dazu dient, ein verunfalltes Kraftfahrzeug (komplexes Erzeugnis) durch Austausch des defekten (Original-)Teils gegen ein gestalterisch identisches (Aftermarket-)Teil zu reparieren, soll nicht über ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster verhindert werden können.

Die Reparaturklausel des Art. 110 GGV in der Rechtsprechung

In der vielbeachteten „Kraftfahrzeugfelgen / Acacia“-Entscheidung (EuGH, Urt. v. 20.12.2017, C‑397/16 und C‑435/16 – Acacia) konkretisierte der EuGH den Anwendungsbereich des Art. 110 GGV schließlich dahingehend, dass nicht nur für formgebundene Ersatzteile (sog. „must-match“-Teile, deren Gestaltung durch das Originalteil vorgegeben ist, wie z.B. Kotflügel), sondern auch andere Ersatzteilgestaltungen (etwa Alufelgen) umfasst sein können, was den Designschutz für Ersatzteile erheblich beschränkte.

Auf der anderen Seite hatte der EuGH klargestellt, dass derjenige, der sich auf die Reparaturklausel beruft, „Sorgfaltspflichten“ bezüglich der Einhaltung der Einschränkungen bei den Kunden hat. Der Bundesgerichtshof bestätigte dies auch (BGH, Urt. v. 26.7.2018 – I ZR 226/14 – Kraftfahrzeugfelgen II).

Konkret muss der Abnehmer im Rahmen des Verkaufs durch klare, gut sichtbare Hinweise auf dem Erzeugnis, der Verpackung, in den Katalogen oder Verkaufsunterlagen informiert werden, dass in das betreffende Bauelement ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster aufgenommen ist, dessen Inhaber der Verkäufer nicht ist, und dass dieses Bauelement ausschließlich dazu bestimmt ist, zum Zweck der Reparatur verwendet zu werden. Nicht ausreichen sollen dafür allgemeine Hinweise wie „not OEM“. Hinweise müssen in einer Sprache erfolgen, die in dem jeweiligen Land allgemein verständlich ist. Der Hersteller hat zudem durch geeignete Mittel (etwa vertragliche Regelungen) dafür zu sorgen, dass der Abnehmer das Bauelement nicht für eine nach Art. 110 GGV unzulässige Verwendung (z.B. Tuning) benutzt.

Duales System des Designschutzes in der EU

Wie im Markenrecht (Unionsmarke und nationale Marken in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten) besteht aber auch im Designrecht innerhalb der EU ein duales System aus unionsweitem Gemeinschaftsgeschmacksmuster und nationalem Design. Anders als im Markenrecht ist jedoch eine Vollharmonisierung des Designrechts, d.h. Angleichung der nationalen Designgesetze an einen einheitlichen europäischen Standard, bisher ausgeblieben.

In Bezug auf den Designschutz für Ersatzteile führte dies dazu, dass insbesondere die Automobilnationen Frankreich und Deutschland sich lange gegen die Einführung einer nationalen Reparaturklausel sträubten. Im Ergebnis konnte es daher insbesondere bei parallelem Designschutz für die EU und Deutschland (etwa über eine internationale Registrierung) zu einem Auseinanderfallen der rechtlichen Bewertung bezüglich ein und desselben Ersatzteils kommen. 

Einführung einer deutschen Reparaturklausel im Dezember 2020

Auch die mit Wirkung zum 2. Dezember 2020 schließlich in der Bundesrepublik Deutschland eingeführte nationale Reparaturklausel gemäß § 40a DesignG konnte dem nur bedingt Abhilfe schaffen. Eine Rückwirkung für sog. Altdesigns, d.h. deutsche Designeintragungen, die vor dem 2. Dezember 2020 angemeldet wurden, ist in § 73 Abs. 2 DesignG gerade ausgeschlossen. 

Bis heute bieten Aftermarket-Hersteller bestimmte (sichtbare) Ersatzteile daher auch nicht auf dem deutschen Markt an. Mitunter bedeutet das für Aftermarket-Hersteller und Händler solcher Ersatzteile einen regelrechten Spießrutenlauf, designrechtlich geschützte Gestaltungen vollumfassend zu identifizieren und das Angebot entsprechend für den deutschen Markt zu blocken. Dass die deutsche Reparaturklausel – anders als Art. 110 GGV – nur auf formgebundene Bauelemente Anwendung findet, hat die Situation nicht unbedingt vereinfacht. 

Die Harmonisierung der Reparaturklausel durch das sog. „Design-Paket“

Das am 23. Oktober 2024 nach langjährigen Debatten verabschiedete Design-Paket bringt nun neben (überfälligen) Schutzerweiterungen des digitalen Designschutzes insbesondere in Art. 19 Unionsdesign-RL (verpflichtet die nationalen Gesetzgeber zur Umsetzung ins nationale Recht) und Art. 20a UDV (ersetzt Art. 110 GGV) auch eine neue Reparaturklausel, die auf eine umfassende Harmonisierung der Schrankenregelung im Ersatzteilmarkt zielt. 

Art. 19 Reparaturklausel

(1) Ein eingetragenes Design, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, von dessen Erscheinungsform das Design des Bauelements abhängt und das im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 ausschließlich zum Zweck der Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses verwendet wird, um diesem wieder seine ursprüngliche Erscheinungsform zu verleihen, wird nicht geschützt.

(2) Der Hersteller oder der Verkäufer eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses kann sich nicht auf Absatz 1 berufen, wenn er es versäumt hat, die Verbraucher durch eine klare und sichtbare Angabe auf dem Erzeugnis oder in einer anderen geeigneten Form ordnungsgemäß über den gewerblichen Ursprung und die Identität des Herstellers des Erzeugnisses, das für die Reparatur des komplexen Erzeugnisses verwendet werden soll, zu informieren, sodass er eine bewusste Wahl zwischen konkurrierenden Erzeugnissen treffen kann, die für die Reparatur verwendet werden können.

(3) Der Hersteller oder Verkäufer eines Bauelements eines komplexen Erzeugnisses ist nicht verpflichtet, zu gewährleisten, dass die Bauelemente, die er herstellt oder verkauft, letztlich von den Endbenutzern ausschließlich für den Zweck der Reparatur eines komplexen Erzeugnisses im Hinblick auf die Wiederherstellung dessen ursprünglicher Erscheinungsform verwendet werden.

(4) Sehen die nationalen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats am 8. Dezember 2024 einen Schutz für Design im Sinne des Absatzes 1 vor, so gewährt der Mitgliedstaat abweichend von Absatz 1 bis zum 9. Dezember 2032 diesen Schutz weiterhin für Designs, deren Eintragung vor dem 8. Dezember 2024 beantragt wurde.

In Art. 19 Abs. 2 Unionsdesign-RL / Art. 20a Abs. 2 Unionsgeschmacksmuster-VO sind damit die von EuGH und BGH geforderten Sorgfaltspflichten nun gesetzlich festgehalten. Ob das so weit gehen kann, dass der Anbieter oder Hersteller seine Absicht, das Ersatzteil ausschließlich zur Reparatur zu verwenden, unabhängig von der konkret betroffenen Produktart nur nachweisen kann, indem er darlegt, wie er sicherstellen kann, dass das von ihm gelieferte Teil nur als Reparaturersatzteil verwendet wird (so zuletzt OLG Düsseldorf, Urt. v. 13. Juni 2024, 20 U 291/22, Tz. 46 – Autoschlüsselgehäuse), bleibt offen. 

Nach Art. 19 Abs. 3 Design-RL bzw. Art. 20 a Abs. 3 Unionsgeschmacksmuster-VO ist jedenfalls der Anbieter oder Hersteller des Bauelements nicht verpflichtet, sicherzustellen, dass der Endbenutzer das Ersatzteil ausschließlich für den Zweck der Reparatur verwendet. Das bedeutet insbesondere auf Vertriebsebene eine deutliche Erleichterung.

Besonders für den deutschen Rechtsraum interessant ist die in Art. 19 Abs. 4 Design-RL vorgesehene Übergangsfrist für die Reparaturklausel auf EU-Ebene. Denn wenn auch mit § 40a DesignG seit 2. Dezember 2020 bereits eine nationale Reparaturklausel in Deutschland existiert, ist damit absehbar, dass ab dem 9. Dezember 2032 zumindest auch Alt-Designs (d.h. Designs mit Anmeldedatum vor dem 2. Dezember 2020) in den Anwendungsbereich der Reparaturklausel fallen.

Dass die Voraussetzungen der Reparaturklausel und die Darlegung der Einhaltung der Sorgfaltspflichten im Einzelfall durchaus komplex sind, und die Rechtsprechung hierzu bisher nur vereinzelt geblieben ist, darf aber nicht unterschätzt werden. Auch nach dem 9. Dezember 2032 wird nicht jedes Aftermarket-Ersatzteil automatisch durch die Reparaturklausel privilegiert sein. Es bleibt daher für Aftermarket-Hersteller und Händler von Aftermarket-Teilen weiter unerlässlich, für klare Kennzeichnung der betreffenden Teile als Reparaturersatzteile gemäß der Reparaturklausel zu sorgen, im Einzelfall für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu sorgen und dies entsprechend gerichtsfest zu dokumentieren.

Verlagerung der Ersatzteil-Problematik aufs Markenrecht

Dass der EuGH in einer markenrechtlichen Entscheidung vom 25. Januar 2024 (EuGH, Urt. v. 25.1.2024, Rs. C-334/22 – Audi AG/GQ) – anders als zuvor noch die Generalanwältin – klarstellte, dass die designrechtliche Reparaturklausel im Markenrecht weder unmittelbar noch analog anwendbar ist, dürfte eine Verschiebung der Ersatzteilthematik ins Markenrecht zumindest begünstigen. Markenverletzend kann dabei dann etwa schon der Vertrieb eines „Ersatzteil“-Kühlergrills sein, der eine Schraubplatte für das Hersteller-Logo enthält, die dieses zumindest in Umrissen erkennen lässt. Im Einzelfall kann es daher sein, dass eine Designverletzung auf Grund der Reparaturklausel ausscheidet, das gleiche Produkt aber eine (nicht privilegierte) Markenverletzung hervorruft.

Und nun?

Wenn auch die Diskussionen um die Ersatzteilproblematik und auch die Rechtsprechung bis heute schwerpunktmäßig den Automotive-Bereich betreffen, so dürfte sich das Thema grundsätzlich auch für andere Produktbereiche / Sektoren (z.B. hochwertige Consumer electronics, ggf. auch Medizintechnik) fruchtbar machen lassen.

Ob Originalhersteller oder Aftermarket-Hersteller/-händler, beide sollten dazu bereits frühzeitig Chancen und Risiken mit rechtskundigem Rat eruieren: 

Zu schnell ist aus Aftermarket-Hersteller/-händlersicht das erforderliche Sorgfaltsniveau bei der Kennzeichnung von Reparaturteilen unterschritten und/oder auch eine (zu weitreichende) Unterlassungserklärung in Bezug auf ein ggf. angreifbares Design unterschrieben.

Insbesondere Hersteller von Originalprodukten müssen aufgrund der Produktzyklen vorausschauend planen und auch ihre Anmeldestrategien frühzeitig mit der Produktvermarktung abgleichen. Dies betrifft sowohl das Gesamtprodukt als auch bestimmte (sichtbare) Einzelteile desselben. Zur weiten Auslegung des Sichtbarkeitskriteriums bei Bauteilen komplexer Erzeugnisse hatte sich der EuGH vor nicht allzu langer Zeit in Bezug auf die Unterseitengestaltung eines (nicht formgebundenen) Fahrradsattels geäußert (EuGH, Urt. v. 16.2.2023, C-472/21 – Sattelunterseite). Herstellern stehen verschiedenste Anmeldestrategien zur Verfügung, bei denen immer auf die Hinterlegung einheitlicher und widerspruchsfreier Abbildungen geachtet werden sollte. Auf eine spätere Beseitigung von Zweifeln durch Auslegung eines Designs im Hinblick auf mögliche Widersprüche sollte sich kein Designanmelder verlassen (vgl. zu einem solchen Fall etwa BGH, Urt. v. 24.3.2022, I ZR 16/21 – Schneidebrett und OLG Düsseldorf, Urt. v. Urt. v. 7.7.2022, I-20 U 23/22 - Staubsaugerdüse). Zu schnell ist aus Herstellersicht ein Design mit widersprüchlichen Abbildungen angemeldet, dessen Schutz später im Verletzungsverfahren versagt (vgl. zur Auslegung von Designs Wittmann, GRUR-Prax 2022, 429-432).

Bei Produkten mit kurzlebigeren Produktzyklen kann auch das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Schutzdauer: 3 Jahre ab Veröffentlichung) mit in die strategischen Erwägungen einbezogen werden. Dass die Darlegung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Prozess allerdings eine sehr sorgsame und aufwändige Aufarbeitung erfordert, sollte nicht unterschätzt werden (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 28.10.2021, C-123/20 – Front Kit und OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.2.2023,20 U 124/17 – Front Kits 2).

(EuGH, Urt. v. 20.12.2017, C‑397/16 und C‑435/16, GRUR 2018, 284 – Acacia)

(BGH, Urt. v. Urt. v. 26.7.2018 – I ZR 226/14 – Kraftfahrzeugfelgen II)

(OLG Düsseldorf, Urt. v. 13. Juni 2024, 20 U 291/22, Tz. 46 – Autoschlüsselgehäuse)

(EuGH, Urt. v. 25.1.2024, Rs. C-334/22 – Audi AG/GQ)

(EuGH, Urt. v. 16.2.2023, C-472/21 – Sattelunterseite)

(BGH, Urt. v. 24.3.2022, I ZR 16/21 – Schneidebrett)

(OLG Düsseldorf, Urt. v. Urt. v. 7.7.2022, I-20 U 23/22 - Staubsaugerdüse)

(EuGH, Urt. v. 28.10.2021, C-123/20 – Front Kit)

(OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.2.2023,20 U 124/17 – Front Kits 2)

Vgl. auch Die verkannte Stärke des europäischen und deutschen Designschutzes – ein praktischer Kurzüberblick über aktuelle Rechtsprechungstendenzen

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