11. GWB Novelle – Das Kartellrecht macht ernst!
Das Inkrafttreten der 11. GWB Novelle bringt eine erhebliche Verschärfung des Kartellrechts mit sich. Durch die Gesetzesnovelle erhält das Bundeskartellamt neue Eingriffsinstrumente.
Die 11. GWB-Novelle hat es in sich. Nicht umsonst meint Bundeswirtschaftsminister Habeck, sei die Gesetzesnovellierung eine der umfangreichsten und bedeutendsten Änderung des GWB. Damit zielt der Bundeswirtschaftsminister insbesondere auf die mit der Novellierung verbundene Stärkung der Kartellbehörde, die sich im Wesentlichen auf folgende drei Bereiche erstreckt:
- „New Competition Tool“ – Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen;
- Ermittlungen und Anwendung der Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamts nun auch bei möglichen Verstößen gegen den Digital Markets Act (DMA);
- Ausweitung der Möglichkeiten der Vorteilsabschöpfung.
1. Neue Eingriffsinstrumente für das Bundeskartellamt nach einer Sektoruntersuchung
Die Sektoruntersuchung bekommt durch die Verzahnung mit den neuen Eingriffsinstrumenten eine erhebliche Aufwertung in ihrer Bedeutung.
Das Instrument der Sektoruntersuchung konnte durch die Kartellbehörden genutzt werden, um spezifische Kenntnisse über die herrschenden Wettbewerbsverhältnisse auf dem jeweiligen Markt zu erlangen. Die Effektivität des grundsätzlich geeigneten Markterforschungsinstruments war aber durch folgende Hürden limitiert:
Zum einen ist die Markterforschung umfangreich und zeitintensiv, sodass sich die Marktgegebenheiten im Laufe einer Untersuchung ändern können. Zum anderen fehlten den Kartellbehörden bisher Mittel, um etwa erkannte wettbewerbswidrige Marktzustände zu beheben oder diesen entgegenzuwirken.
Hierin hat der Gesetzgeber ein Effektivitätsdefizit erkannt und nun versucht, mit der 11. GWB Novelle Abhilfe zu schaffen. Ziel ist es, „Wettbewerb und Innovation auf verkrusteten oder vermachteten Märkten wieder zu ermöglichen“, so der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt in einem Interview mit der FAZ vom 01.November.
In diesem Sinne werden mit der Einführung des § 32f GWB die Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts infolge einer Sektoruntersuchung ganz erheblich erweitert.
So ist das Bundeskartellamt von nun an befugt, Abhilfemaßnahmen gegen den in § 32f Abs. 3 GWB bestimmten Adressatenkreis zu treffen, wenn es im Rahmen der Sektoruntersuchung eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs feststellen konnte. Der Gesetzgeber hat somit neue Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts normiert, die entgegen der grundsätzlichen kartellrechtlichen Dogmatik nicht von einem Verstoß gegen das Kartellrecht abhängig sind. Namentlich und nicht abschließend sind nun folgende Maßnahmen möglich:
- Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen,
- Vorgaben zu den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen,
- Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards durch Unternehmen,
- Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung,
- Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen,
- buchhalterische oder organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen.
Diese weite Eingriffsmöglichkeit des Bundeskartellamts wird durch den Grundsatz der Subsidiarität etwas abgemildert. Denn das Bundeskartellamt kann eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs nur feststellen, soweit die Anwendung der sonstigen kartellrechtlichen Befugnisse voraussichtlich nicht ausreichend erscheint, um die Störung des Wettbewerbs wirksam zu beseitigen.
Im Sinne eines funktionierenden Wettbewerbs kann das Bundeskartellamt fortan nach § 32f Abs. 2 GWB Unternehmen verpflichten, bei Vorliegen der dort normierten Voraussetzungen jeden Zusammenschluss in einem Zeitraum von drei Jahren zur Fusionskontrolle anzumelden. Die Verlängerung der durch die Verfügung des Bundeskartellamts bestimmten Zeiträume ist nach §32f Abs. 2 S. 4 Hs. 2 GWB möglich.
Ferner wurde in §32f Abs. 9 GWB eine Berichterstattungspflicht des BMWK nach zehn Jahren nach Inkrafttreten der 11. GWB Novelle statuiert. So muss dem Bundestag bzw. dem Bundesrat über die Maßnahmen nach einer Sektoruntersuchung bzw. über die Erfahrungen mit den neuen Regelungen Bericht erstattet werden.
2. DMA-Durchsetzung wird effektiver
Die aus dem Digital Markest Act (DMA) folgenden Verpflichtungen gelten seit Mitte dieses Jahres. Im Zentrum des DMA steht die Bestimmung von sog. Gatekeepern durch die Europäische Kommission. Die Einordnung als Gatekepeer zieht einige Verbote und Gebote nach sich, welche voraussichtlich ab März 2024 von den Gatekepeern eingehalten werden müssen.
Die Kompetenzverteilung im Hinblick auf die Durchsetzung war bisher nicht ganz deutlich. So war im Wesentlichen zwar die Europäische Kommission für die Durchsetzung des DMA verantwortlich (schon aus Gründen der beabsichtigten Einheitlichkeit der Marktbedingungen). Allerdings setzte der DMA nach dem Verständnis vieler die Durchsetzung durch die Mitgliedstaaten voraus.
Die Kompetenzzuweisung wird in diesem Sinne nun durch die 11. GWB Novelle bekräftigt. Denn fortan wird den nationalen Behörden der Mitgliedsstaaten erlaubt, Verstöße gegen die Gebote oder Verbote des DMA im nationalen Bereich selbst zu untersuchen und somit unterstützend für die Kommission tätig zu werden. Die rechtliche Grundlage dafür bietet § 32g GWB. Systemfremd ist dies insofern, als der DMA gerade kein Kartellrecht sein sollte.
Im Rahmen der Untersuchung kann das Bundeskartellamt als untersuchende Behörde sich aller für die Untersuchungen erforderlichen Ermittlungsbefugnisse (Beweiserhebung, Beschlagnahme, Auskunftsverlangen) bedienen.
Letztlich führt die 11. GWB Novelle damit auch zu einer Erleichterung des Private Enforcement bei Verstößen gegen den DMA.
3. Ausweitung der Vorteilsabschöpfung
Die 11. GWB Novelle, insbesondere § 34 Abs. 4 GWB, soll darüber hinaus die praktische Relevanz der Vorteilsabschöpfung verstärken. In diesem Sinne wurde die Regelung des § 34 GWB mehrfachen Änderungen unterzogen.
Festgehalten wurde zunächst an dem in § 34 Abs. 1 GWB normierten Verschuldenserfordernis. Demnach ist eine Vorteilsabschöpfung weiterhin nur bei schuldhaften Verstößen gegen das Kartellrecht relevant.
Zudem blieb die zeitliche Komponente der Vorteilabschöpfung unberührt. So kann eine Vorteilsabschöpfung nur innerhalb von maximal sieben Jahren seit Beendigung der Zuwiderhandlung erfolgen. Die Dauer einer Vorteilsabschöpfung (Abschöpfungszeitraum) ist auf das Maximum von fünf Jahren begrenzt.
Ein großer Einschnitt in die bestehende Rechtslage der Vorteilsabschöpfung vor der 11. GWB Novelle ist die Einführung der Vermutungsregel im Hinblick auf die Erzielung eines Vorteils durch den Kartellverstoß:
Fortan wird vermutet, dass mindestens 1 % des Inlandumsatzes „tatbefangen“, d.h. durch den Kartellverstoß realisiert, ist. Diese Vermutung ist zwar widerleglich, jedoch gilt dafür ein strenger Maßstab, d.h. Unternehmen müssen beweisen, dass kein (weltweiter) Konzerngewinn in der vermuteten Höhe erzielt wurde. Die Höhe der erzielten Vorteile darf die Kartellbehörde auch weiterhin einer Schätzung unterziehen. Entgegen der vorherigen Rechtslage ist nun eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Vorteilshöhe ausreichend. Den Unternehmen kommt in diesem Zusammenhang zugute, dass die Abschöpfung bei 10 % des Gesamtumsatzes aus dem Vorjahr gedeckelt ist.
4. Ausblick
Die 11. GWB Novelle klingt auf den ersten Blick verheißungsvoll. Jedoch bleibt abzuwarten, ob insbesondere die neuen Befugnisse des Bundeskarteallamts den gewünschten Effekt bewirken. Sicher ist, dass die neuen Befugnisse eine Vielzahl von neuen und spannenden Rechtsfragen mit sich bringen. Wie sich diese auf die kartellrechtliche Fallpraxis auswirken, bleibt abzuwarten.