Die neue EU-Sammelklage wird kommen

Die Verhandlungsführenden des Europäischen Parlaments und des Rates haben sich am 23. Juni 2020 im Grundsatz über die ersten EU-weiten Regeln für die EU-Sammelklage geeinigt. Nach dem derzeit vorliegenden Vorschlag für eine Richtlinie „über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG“ ist es Ziel dieses neuen Klageinstruments, Verbraucherinnen und Verbrauchern einen verbesserten Schutz bei Massenschadensereignissen zu gewähren, ohne dabei das Interesse von Unternehmen an Rechtssicherheit aus den Augen zu verlieren. Damit steht ihnen neben der Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff. ZPO) bald auch ein europäisches Kollektivinstrument zur Verfügung, das die Einhaltung von EU-Vorschriften sowie die Durchsetzung von Schadensersatz, Minderung oder Ersatzlieferung ermöglichen soll, wobei – Stand heute – nicht klar ist, ob die Musterfeststellungsklage die Umsetzung der EU-Sammelklage in ihrer jetzigen Form überdauern wird.

Die neue EU-Sammelklage ist Teil des „New Deal for Consumers“, der 2018 von der Europäischen Kommission zur Stärkung der Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern ins Leben gerufen wurde und geht – wie die Musterfeststellungsklage – maßgeblich auf den sog. Diesel-Abgasskandal zurück. Nach Zustimmung durch das Europäische Parlament und den Rat haben die Mitgliedstaaten nach Inkrafttreten der Richtlinie 24 Monate Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Die neue EU-Sammelklage wird daher frühestens im Jahr 2023 Realität werden.
 

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Nur qualifizierte Einrichtungen, welche von jedem Mitgliedsstaat einzeln benannt werden müssen, sind befugt, Unterlassungs- und Schadensersatzklagen einzuleiten. Die Voraussetzungen an eine solche qualifizierte Einrichtung richten sich dabei danach, ob es sich um einen grenzüberschreitenden oder inländischen Sachverhalt handelt. Bei Fällen mit grenzüberschreitenden Bezug müssen die Einrichtungen eine 12-monatige Tätigkeit zum Schutz der Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher vor ihrem Antrag auf Ernennung als qualifizierte Stelle nachweisen und einen gemeinnützigen Charakter haben. Zudem muss sichergestellt sein, dass sie unabhängig von Dritten sind, deren wirtschaftliche Interessen entgegenstehen könnten. Diesen Harmonisierungsgrad schreibt die Richtlinie vor. Bei innerstaatlichen Sachverhalten können die Mitgliedsstaaten mangels Kriterien zur Harmonisierung selbst geeignete Voraussetzungen definieren. Zu den qualifizierten Institutionen zählen beispielsweise die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Auch nationale Verwaltungsbehörden sollen zukünftig klagebefugt sein.

Die EU-Sammelklage kann neben den allgemeinen Verbraucherschutzrechten bei Fragen des Datenschutzes, bei Finanzdienstleistungen, bei Energie-, Umwelt- und Gesundheitsfragen sowie auch bei Flug- und Zuggastrechten eingereicht werden. Zudem können die Einhaltung von EU-Vorschriften und deren nationale Umsetzungsvorschriften eingeklagt werden. Zu diesen EU-Vorschriften gehört z. B. auch die EU-Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG), die durch das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) in deutsches Recht umgesetzt worden ist.

Um missbräuchliche Klagen zu vermeiden, wurden auf europäischer Ebene kaum einheitliche Schutzstandards definiert. Ein Kriterium ist das sog. „Verlierer-zahlt-Prinzip“. Auch der Ausschluss von Strafschadensersatz (sog. punitive damages) soll einer missbräuchlichen Handhabung entgegenwirken.

Derzeit noch unklar ist jedoch die Frage, ob die Verbraucherinnen und Verbraucher für die Beteiligung an der EU-Sammelklage optieren müssen (sog. Opt-In-Variante) oder ob sie automatisch beteiligt sind und im Bedarfsfall ihren Ausstieg aus der Sammelklage erklären müssen (sog. Opt-Out-Variante). Die Richtlinie sieht auch insoweit keine Harmonisierung vor. Die Entscheidung hierüber wird bei den Mitgliedsstaaten liegen, sodass ein Flickenteppich droht. In den Mitgliedstaaten, in denen die sog. Opt-Out-Variante Einzug erhält, wäre damit ein Klageinstrument vorhanden, das in etwa der US-amerikanischen „class-action“ entspräche. Dieses Klageinstrument hat dort zur Herausbildung von Kanzleien geführt, die sich auf die massenhafte Inanspruchnahme von Unternehmen spezialisiert haben. Da grenzüberschreitende Sammelklagen auch zukünftig in der EU möglich sein werden, hätten derartige Opt-Out-Varianten in anderen Mitgliedstaaten auch für deutsche Unternehmen Relevanz und das nicht nur dann, wenn die deutschen Unternehmen in diesen Mitgliedstaaten (Tochter-)Gesellschaften unterhalten.

Die EU-Sammelklage geht über die Musterfeststellungsklage hinaus: Mit der Musterfeststellungsklage kann zunächst nur abstrakt ein Schadensersatzanspruch (nicht vollstreckungsfähig) festgestellt werden, welcher in einem zweiten Schritt gesondert und individuell eingeklagt werden muss, wohingegen mit der EU-Sammelklage unmittelbar auf Schadensersatz geklagt werden kann. Dabei werden die klagebefugten qualifizierten Einrichtungen wohl künftig sehr genau prüfen, in welchem Mitgliedsstaat die besten Rahmenbedingungen für ein Klageverfahren bestehen (sog. „Forum-Shopping“). Je verbraucherfreundlicher die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erfolgt, desto eher werden qualifizierte Einrichtungen in diesen Mitgliedstaaten klagen.

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