Juni 2016 Blog

Abstimmungsfreiheit für GmbH-Gesellschafter: Grenzen gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten

Streitig ist zwischen uneinigen Gesellschaftern oder Gesellschaftergruppen oftmals, ob die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht in Bezug auf einzelne (Geschäftsführungs-)Maßnahmen ein bestimmtes Abstimmungsverhalten der jeweils anderen Gesellschafter gebietet. Dies kann jedoch wegen der grundsätzlichen Stimmrechtsausübungsfreiheit lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen der Fall sein, wie der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt hat.

Sachverhalt

Uneins in Bezug auf das Abstimmungsverhalten in einer Gesellschafterversammlung der M.‑GmbH waren deren einzige beiden Gesellschafterinnen, von denen eine 21,62 % und die andere 78,38 % der Anteile an der Gesellschaft hielten. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung erforderten eine Mehrheit von 80% der Stimmen.

Anlass des Streits waren Vorschläge der Geschäftsführung der M.-GmbH über die Eröffnung zahlreicher neuer Standorte und den damit verbundenen Abschluss weiterer Mietverträge (im Folgenden: Standortmaßnahmen) im In- und Ausland. Im Rahmen einer Gesellschafterversammlung der M.-GmbH wurde sodann über 50 solcher Standortmaßnahmen abgestimmt, 38 Maßnahmen wurden von den beiden Gesellschafterinnen einvernehmlich beschlossen. Die Mehrheitsgesellschafterin, welche im späteren Prozess als Streithelferin der beklagten M.-GmbH auftrat, stimmte in neun Fällen gegen die Beschlussvorlage und enthielt sich in drei Fällen ihrer Stimme. Bereits vor der Abstimmung hatte sie hierzu erklärt, dass sie sich mit ihrer Ablehnung bzw. Enthaltung nicht inhaltlich gegen die betroffenen Standortmaßnahmen wende. Die Zustimmung verweigere sie allein aus formellen Gründen, da ihrer Auffassung nach die betroffenen Standortmaßnahmen nicht von der Gesellschafterversammlung zu beschließen seien, sondern von der Geschäftsführung ohne Zustimmung der Gesellschafter durchgeführt werden könnten.

Die klagende Minderheitsgesellschafterin hatte mit ihrer Anfechtungs- und Feststellungsklage in den neun Fällen, in denen die Streithelferin gegen die jeweiligen Standortmaßnahmen gestimmt hatte, die Nichtigerklärung der damit beschlossenen Ablehnungen und im Wege der positiven Feststellungsklage die Feststellung begehrt, dass in diesen Fällen sowie in den Fällen, in denen sich die Streithelferin ihrer Stimme enthalten hatte, jeweils beschlossen worden sei, die jeweiligen Standortmaßnahmen umzusetzen. Das erstinstanzliche Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts

Das zuständige OLG München hatte der Klage wegen vermeintlicher Treuwidrigkeit der Stimmabgabe insoweit stattgegeben, als die Streithelferin bei der Abstimmung über neun Standortmaßnahmen mit „Nein“ gestimmt hatte. Es sei treuwidrig gewesen, in neun Fällen mit „Nein“ zu stimmen, da der Streithelferin insoweit kein berechtigtes eigenes Interesse zur Seite gestanden habe. Schließlich habe sie selbst bekundet, dass sie inhaltlich nichts gegen die betroffenen Standortmaßnahmen einzuwenden habe und lediglich aus „formalen Gründen“ gegen die Maßnahmen stimme. Auch habe die Streithelferin keinen hinreichenden sachlichen Grund für ihre Abstimmung mit „Nein“ genannt, den es aber deshalb bedurft habe, weil es sich bei den betroffenen neun Maßnahmen um Fälle von „nicht unerheblicher wirtschaftlicher Relevanz“ gehandelt habe, welche im Interesse der Gesellschaft gelegen seien und die Zwecke der Gesellschaft gefördert hätten.

Entscheidung des BGH

Hiergegen wendete sich die Revision der beklagten M.-GmbH – mit Erfolg. Den Ausführungen des OLG München trat der für das Gesellschaftsrecht zuständige 2. Senat entschieden entgegen. Die Abstimmung mit „Nein“ sei weder treuwidrig erfolgt noch aus anderen Gründen unwirksam. Dabei nahm der BGH den Fall zum Anlass, den eng umgrenzten Ausnahmecharakter eines Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht im Zusammenhang mit Abstimmungen herauszuarbeiten.

Ausgangspunkt des BGH ist die Regel, wonach der Gesellschafter grundsätzlich bei seiner Stimmabgabe frei ist. Eine Beschränkung dieser Stimmrechtsausübungsfreiheit komme daher nur im Ausnahmefall in Frage. Ein solcher Ausnahmefall lag jedoch nicht vor.

Die Treuepflicht setze sich gegen die Stimmrechtsausübungsfreiheit des Gesellschafters nur dann und ausnahmsweise durch, „wenn der Gesellschaftszweck objektiv eine bestimmte Maßnahme zwingend gebietet, also die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung des Geschaffenen oder zur Vermeidung von Verlusten dringend geboten ist, und dem Gesellschafter die Zustimmung zumutbar ist“. Die Treuepflicht gebiete es zwar, dass sich Gesellschafter bei der Stimmabgabe von den Interessen der Gesellschaft leiten lassen. Darüber, wie sich die Interessen der Gesellschaft am besten wahren ließen, hätten aber grundsätzlich die Gesellschafter selbst zu urteilen. Auch die Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Maßnahme sei Aufgabe der Gesellschafter. Die Gesellschafter müssten daher hinnehmen, dass eine Maßnahme unterbleibt, wenn einer von ihnen dieser nach eigener Beurteilung nicht zustimmen zu können glaubt, auch wenn die Ablehnung oder dazu abgegebene Begründungen falsch oder töricht erscheinen. Soweit danach der Gesellschafter durch die Treuepflicht nicht zu einer Zustimmung verpflichtet ist, könne er sich einer vorgeschlagenen Maßnahme verweigern, selbst wenn seine Beweggründe dafür sachwidrig und unverständlich erscheinen. Ein Gericht dürfe daher einen Beschluss nicht allein deshalb beanstanden, weil er unzweckmäßig oder nicht im Interesse der Gesellschaft erscheine. Umgekehrt könne auch die Ablehnung eines Beschlussantrags nicht allein deshalb beanstandet werden, weil der Beschluss zweckmäßig erscheint und im Interesse der Gesellschaft liegt.

Eine Pflicht zur Abstimmung in einem bestimmten Sinn besteht nach Auffassung des BGH also nur dann, „wenn zur Verfolgung der Interessen der Gesellschaft keine andere Stimmabgabe denkbar ist, andernfalls nur schwere Nachteile entstehen und die eigenen Interessen des Gesellschafters dahinter zurückstehen müssen“. Dass eine Maßnahme im Interesse der Gesellschaft liege, die Zwecke der Gesellschaft fördere und die Zustimmung dem Gesellschafter zumutbar sei, so der BGH, genüge danach folglich nicht, um eine Zustimmungspflicht des Gesellschafters zu begründen oder eine entgegenstehende Stimmabgabe als unwirksam anzusehen.

Da auch keine sonstigen Unwirksamkeitsgründe vorlagen, hat der BGH die Berufung der Klägerin in Bezug auf die neun „Nein-Stimmen“ der Streithelferin abgewiesen.

Ausblick

Die Entscheidung des BGH untermauert mit bemerkenswerter Deutlichkeit die Stimmrechtsausübungsfreiheit des Gesellschafters. Diese wird durch die Treuepflicht nur dann beschränkt, wenn der Gesellschaftszweck eine bestimmte Maßnahme objektiv zwingend gebietet. Dies ist nur der Fall, wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung des Geschaffenen oder zur Vermeidung von Verlusten dringend geboten ist. Und selbst dann muss dem Gesellschafter die Zustimmung zumutbar sein, bevor eine anderslautende Stimmabgabe der Unwirksamkeit anheim fällt. Auch hat der BGH bei dieser Gelegenheit klargestellt, dass es die Gesellschafter selber sind, welche die Entscheidung darüber zu treffen haben, welche Maßnahmen im Interesse der Gesellschaft liegen und ihren Zweck fördern. Hierüber habe daher – bis auf die genannten eng umrissenen Ausnahmen – auch kein Gericht zu entscheiden. Die Hürden für die Durchsetzung unternehmenspolitischer Ziele über das gerichtliche Vehikel „Treuepflicht“ sind nach allem hoch. Damit gibt der BGH die Verantwortung für das Wohl und Wehe der Gesellschaft wieder dahin zurück, wohin sie gehört: in die Hände der Gesellschafter.

(BGH, Urteil vom 12. April 2016 - II ZR 275/14)

Stephen-Oliver Nündel, Rechtsanwalt
Frankfurt am Main

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