Die Ausweisung von Infrastrukturgebieten
Nach der RED III können die Mitgliedstaaten Infrastrukturgebiete ausweisen, in denen die Zulassungsverfahren für Speicher- und Netzvorhaben gestrafft werden. Die Umsetzung ins nationale Recht soll durch den neuen § 12j EnWG-E erfolgen.
Einleitung
Das Bundeskabinett hat am 27. März 2024 einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Erneuerbaren-Richtlinie im Bereich Windenergie auf See und Stromnetze des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz verabschiedet. Hiermit soll die am 20. November 2023 in Kraft getretene Novelle der Erneuerbare-Energien-Richtlinie durch Änderungen des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) und Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) sowie rein redaktionelle Folgeänderungen des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) umgesetzt werden.
Hintergrund: Infrastrukturgebiete in der RED III
Mit den in der RED III beschlossenen Neuregelungen soll der Ausbau der erneuerbaren Energien in der EU weiter beschleunigt werden. Um die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, sind vor allem in Art. 15b bis Art. 16f RED III neue Regelungen eingefügt worden.
Mittel zum Zweck ist hierbei u.a. die Ausweisung von so genannten „Beschleunigungsgebieten“ nach Art. 15b ff. RED III. Für die in diesen Gebieten zu realisierenden Projekte sieht Art. 16a RED III sowohl formelle Fristen als auch materielle Erleichterungen im Genehmigungsverfahren vor.
Zudem wird mit Art. 15e EE-RL 2023 eine eigene, an die Beschleunigungsgebiete angelehnte Regelung für Netz- und Speicherprojekte geschaffen. Mit sogenannten „Infrastrukturgebieten“ können die Mitgliedstaaten „Gebiete für Netz- und Speicherinfrastruktur, die für die Integration von erneuerbarer Energie in das Stromsystem erforderlich ist“ ausweisen. Für Netz- und Speicherprojekte innerhalb dieser Gebiete können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 15e Abs. 2 RED III auf Genehmigungsebene Ausnahmen von gewissen Prüfpflichten des europäischen Umweltrechts vorsehen. Die Infrastrukturgebiete stellen eine eigenständige Gebietskategorie neben den Beschleunigungsgebieten dar, die diese unterstützen sollen.
Neuregelungen
Im nationalen Recht soll nunmehr der (neue) § 12j EnWG-E die Regelungsgrundlage zur Ausweisung der „Infrastrukturgebiete“ darstellen, die für die Integration von erneuerbarer Energie in das Stromnetz erforderlich sind. Er dient mithin der Umsetzung des Art. 15e Abs. 1 der RED III.
Ausweisungsverfahren
Das Ausweisungsverfahren ist in § 12j EnWG geregelt. Es bezieht sich – abweichend von den Möglichkeiten der RED III – nur auf Netzvorhaben, nicht jedoch auf Speichervorhaben. Und auch bei den Netzvorhaben sind nur die auf Übertragungsnetzebene umfasst; die Regelung des § 12j EnWG bezieht sich nicht auf den Verteilernetzausbau. Konkret weist die Planfeststellungsbehörde nach § 12j Abs. 1 Satz 1 EnWG-E Infrastrukturgebiete in einem Plan (Infrastrukturgebieteplan)
- für die nach dem 19. November 2023 erstmals im Netzentwicklungsplan (NEP) bestätigten Vorhaben oder
- für erstmals im Flächenentwicklungsplan (FEP) festgelegte Trassen und Trassenkorridore sowie Konverterstandorte für Offshore-Anbindungsleitungen in der AWZ aus.
Die Ausweisung erfolgt anhand von vorhandenen Daten zur großräumigen Raum- und Umweltsituation. Es können mehrere Infrastrukturvorhaben in einem Plan zusammen behandelt werden. Die Ausweisung von Infrastrukturgebieten selbst hat keine Außenwirkung und stellt auch keine raumbedeutsame Planung und Maßnahme dar.
Auswahl der Flächen
Zum Zwecke der Beschleunigung und Arbeitserleichterung kann die Planfeststellungsbehörde den Vorhabenträger im Vorbereitungsstadium der Ausweisung auffordern, ihr einen Vorschlag für das auszuweisende Infrastrukturgebiet zu übermitteln.
Bei der Ausgestaltung der Gebiete beachtet die zuständige Behörde zum einen, inwiefern Vorhaben im NEP als Änderung oder Erweiterung einer bestehenden Leitung oder als Ersatzneubau oder Parallelneubau zu einer bestehenden Leitung vorgesehen sind, indem bei der Ausweisung die jeweilige Bestandstrasse zugrunde gelegt wird. Zum anderen hat die Planfeststellungsbehörde zu berücksichtigen, ob eine spätere gemeinsame Verlegung mehrerer Neubauvorhaben im räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang ganz oder weit überwiegend sinnvoll erscheint und die Projekte aus diesem Grund in so genannten „Kopplungsräumen“ gebündelt werden können. Kopplungsräume sind diejenigen Räume, an denen die Infrastrukturgebiete von Maßnahmen miteinander gekoppelt werden, sodass hier die gemeinsame Führung beginnt bzw. endet. Eine Bündelung liegt jedenfalls dann nahe, wenn die Luftlinien zwischen den Netzverknüpfungspunkten in ähnlicher Richtung und in räumlicher Nähe zueinander verlaufen. Bei der Prüfung der Sinnhaftigkeit einer Kopplung sollen Einschätzungen der Übertragungsnetzbetreiber herangezogen werden können. Am Ende sollen durch eine größtmögliche Bündelung räumliche Auswirkungen reduziert und der Flächenbedarf begrenzt sowie die Planungs-, Genehmigungs- und Bauphasen beschleunigt werden.
Der Infrastrukturgebieteplan soll nach § 12j Abs. 1 EnWG-E bestimmte umweltsensible Gebiete meiden. Hierunter fallen Natura-2000-Gebiete, Naturschutzgebiete, Nationalparke, die Zone I (Kernzone) der Biosphärenreservate sowie geschützte Biotope und Meeresgebiete. Eine Ausweisung von Infrastrukturgebieten ist jedoch nicht ausgeschlossen, wenn unter Berücksichtigung der mit dem Gebiet verbundenen Ziele keine verhältnismäßige Alternative für den Ausbau der Infrastruktur besteht.
Die Ermittlung der Flächen erfolgt praktisch automatisiert. Mit Hilfe einer Software sollen konfliktarme Verbindungsmöglichkeiten zwischen dem Anfangs- und Endpunkt des Vorhabens identifiziert und kartographisch als Infrastrukturgebiet dargestellt werden. Bei den Infrastrukturgebieten handelt es sich nicht um starre Korridore, sondern um ca. fünf bis zehn Kilometer breite gewundene Gebietsstreifen, aus denen inselförmige Bereiche mit potenziell höherer Konfliktlage ausgenommen werden können.
Vor der Ausweisung der Infrastrukturgebiete konsultiert die Planfeststellungsbehörde die zuständigen Übertragungsnetzbetreiber mit Regelzonenverantwortung gemäß § 12j Abs. 8 EnWG-E, ist jedoch an die Resultate der Beratung nicht gebunden.
Umweltprüfungen und Minderungsmaßnahmen
Für den Infrastrukturgebieteplan ist gemäß § 12j Abs. 6 EnWG-E eine Strategische Umweltprüfung (SUP) sowie – bei Betroffenheit von Natura 2000-Gebieten – darüber hinaus eine Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Die SUP kann für Offshore-Anbindungsleitungen in der ausschließlichen Wirtschaftszone regelmäßig entfallen, sofern für diese Gebiete bereits eine Prüfung bei der Aufstellung des Flächenentwicklungsplans durchgeführt worden ist.
Sofern sich bei der Prüfung ergibt, dass das Vorhaben möglicherweise nachteilige Auswirkungen auf die Erhaltungsziele des natürlichen Lebensraumtyps in Natura-2000-Gebieten oder besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten haben wird, muss die Planfeststellungsstelle Minderungsmaßnahmen zur Reduktion dieser Auswirkungen gemäß § 12j Abs. 7 EnWG-E festlegen. Hierfür soll die Bundesnetzagentur einen Standardkatalog entwickeln, an dem sich die Länder orientieren können. Unabhängig von der Durchführung von Minderungsmaßnahmen sieht der Gesetzgeber darüber hinaus eine pauschalierte einmalige Zahlung vor, die jeder Betreiber zu leisten hat. Die Höhe der Zahlung soll 20.000 Euro je angefangenem Kilometer Trassenlänge betragen und als zweckgebundene Abgabe an den Bund zur Förderung nationaler Artenhilfsprogramme erfolgen. Damit geht der nationale Gesetzgeber über die Vorgaben der RED III hinaus.
Beschleunigungseffekt
Der durch die neue Regelung intendierte Beschleunigungseffekt bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren soll sich zum einen durch Fristen und zum anderen durch materielle Erleichterungen in den Genehmigungsverfahren für die in den Infrastrukturgebieten liegenden Vorhaben einstellen.
Frist für die Ausweisung von Infrastrukturgebieten
Nach der in § 12j Abs. 9 EnWG-E vorgegebenen Frist erfolgt die Ausweisung der Gebiete spätestens 20 Monate, nachdem der Bundesbedarfsplan gemäß § 12e EnWG geändert wurde. Zwar steht erst ab der Aufnahme des Vorhabens in den Bundesbedarfsplan und entsprechender Kennzeichnung fest, ob ein erstmals im NEP bestätigtes Vorhaben in die Zuständigkeit der Planfeststellungsbehörden der Länder oder der Bundesnetzagentur fällt. Zur Beschleunigung der Ausweisungs- und Genehmigungsprozesse sollen die Planfeststellungsbehörden jedoch auch vor der endgültigen Aktualisierung des Bundesbedarfsplans bereits mit der Ausarbeitung des Plans beginnen dürfen, wenn sich ihre Zuständigkeit abzeichnet.
Erleichterungen im Rahmen von Planfeststellungsverfahren
Für die im NEP bestätigten Vorhaben, die in für sie ausgewiesenen Infrastrukturgebieten nach § 12j EnWG-E liegen, ist gemäß dem (neuen) § 43n Abs. 1 EnWG-E grundsätzlich keine Umweltverträglichkeitsprüfung, FFH-Verträglichkeitsprüfung oder artenschutzrechtliche Prüfung durchzuführen. Die Umweltprüfungen werden gewissermaßen vom Genehmigungs- in das Ausweisungsverfahren vorgezogen.
Das gewählte Beschleunigungsmittel der verkürzten Genehmigungsverfahren ist bereits bekannt: Die neuen Regelungen lösen den § 43m EnWG ab, der bislang der Umsetzung des Art. 6 der so genannten „EU-Notfallverordnung“ gedient hat und noch für Antragstellungen bis zum 30. Juni 2024 gilt.
Ausblick und Bewertung
Der Gesetzgeber wird von den vereinfachten Genehmigungsmöglichkeiten weiterhin Gebrauch machen. Weitere Regelungen für Beschleunigungsgebiete für Onshore-Windenergieanlagen und Freiflächen-Photovoltaikanlagen sollen zeitnah folgen. Ein Referentenentwurf liegt hierzu bereits vor, der Ende April erstmals im Bundestag beraten werden sollte.
Zudem bleibt zu hoffen, dass von den Beschleunigungsvorschriften perspektivisch auch Verteilnetzausbauvorhaben sowie Speichervorhaben profitieren können. Dem Gesetzgeber steht dies frei; die RED III enthält diesbezüglich keine Einschränkungen.