Aktuelle Entwicklungen und Diskussionen im Lieferkettenrecht: ein Schritt vorwärts, zwei zurück?
LkSG, CSDDD, EUDR – Diskussionen um Aufhebung, Verschiebung und Abschwächung zentraler Vorschriften prägen derzeit das Lieferkettenrecht. Den aktuellen Stand fassen wir für Sie zusammen.
Das Lieferkettengesetz
Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist längst operational: Es regelt Sorgfaltspflichten für in Deutschland ansässige Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten seit Januar 2023, für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten seit Januar 2024. Die derzeit knapp 5.000 unmittelbar betroffenen Unternehmen müssen die Pflichten dementsprechend spätestens seit diesem Jahr implementiert haben.
Diskussion um Aussetzung oder Aufhebung reißt nicht ab
Dennoch reißt die politische Diskussion um eine Aussetzung oder Aufhebung des Gesetzes nicht ab. Bundeswirtschaftsminister Habeck sprach Anfang Oktober davon, „die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen“. Kurz darauf äußerte sich der Kanzler dementsprechend beim Arbeitgebertag, das LkSG „komme weg“, und zwar „noch dieses Jahr“.
Ein genauer Plan wurde bislang nicht vorgestellt, deshalb hier ein paar Fakten:
- Der Deutsche Bundestag hat am 17. Oktober 2024 mit einer breiten Mehrheit einen Gesetzesentwurf der CDU/CSU Fraktion abgelehnt, der das LkSG aufgehoben hätte.
- Es bestehen Zweifel daran, ob eine komplette Aufhebung des LkSG mit dem Europarecht vereinbar wäre (näher erläutert im Gutachten unserer Of Counsel Prof. Anne Mittwoch).
- Wahrscheinlicher als eine komplette Aufhebung könnte eine Aussetzung des LkSG bis zur vollständigen Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie sein (mehr Infos zur Richtlinie unten).
- Das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat die sog. „Stichtagsregelung“ noch einmal verlängert: das Vorliegen der LkSG-Jahresberichte wird somit erstmals zum 1. Januar 2026 kontrolliert werden. Das hat allerdings keinen Einfluss auf die Pflicht zur Einhaltung der übrigen Sorgfaltspflichten.
- Im kürzlich veröffentlichten BAFA Rechenschaftsbericht 2023 zeigt sich, dass die Behörde Beschwerden nachgeht und auch selbstständig Kontrollen durchführt: Im Berichtszeitraum gab es 40 Prüfungen im Antragsverfahren und 492 Prüfungen von Amts wegen.
Was sollten Unternehmen jetzt beachten?
- Unabhängig von allen Diskussionen und Plänen: aktuell gilt das LkSG.
- Das BAFA wird eine Nichteinhaltung der Berichtspflicht erstmalig zu Januar 2026 sanktionieren.
- Die übrigen Sorgfaltspflichten müssen befolgt und eine Nichteinhaltung kann auch sanktioniert werden.
- Ein Zurücklehnen ist nicht empfehlenswert. Sofern noch nicht geschehen, sollte das LkSG bei Anwendbarkeit rechtskonform umgesetzt werden.
- Unternehmen sollten den weiteren Verlauf etwaiger Gesetzesreformen im Blick behalten und sich weiterhin schon jetzt auf die EU-Lieferkettenrichtlinie vorbereiten.
Die Europäische Lieferkettenrichtlinie
Die Richtlinie (EU) 2024/1760 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit wurde nach langen politischen Diskussionen und ohne die Zustimmung der Bundesregierung im Juni 2024 verabschiedet und trat am 25. Juli 2024 in Kraft. Die sog. CSDDD oder CS3D (nach dem englischen Titel „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“) enthält ähnliche Regelungen wie das LkSG: Unternehmen müssen u.a. die Erfüllung der Sorgfaltspflichten in ihre Risikomanagementsysteme integrieren, Risikoanalysen durchführen, Risiken priorisieren, Präventions- und Abhilfemaßnahmen ergreifen, jährlich Bericht erstatten und bei Verstößen Bußgelder zahlen. Größere Abweichungen vom LkSG bestehen u.a. darin, dass die CSDDD auch eine privatrechtliche Haftung ausdrücklich vorsieht und Verstöße von Unternehmen öffentlich gemacht werden sollen (sog. „naming & shaming).
Die CSDDD muss bis Ende Juli 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Für die betroffenen Unternehmen gilt, je nach Größe, ein gestaffelter Anwendungsstart ab Sommer 2027 bis Sommer 2029. Ob die Umsetzung der CSDDD tatsächlich mit einer bürokratischen Entlastung für deutsche Unternehmen einhergeht, bleibt abzuwarten.
Die Europäische Entwaldungsverordnung
Eine weitere „Neuheit“ der Lieferkettenregulierung aus europäischer Feder ist die Verordnung (EU) 2023/1115 zur Bekämpfung von Entwaldung und Waldschädigung (kurz EUDR nach dem englischen Titel „EU Deforestation Regulation“), die am 29. Oktober 2023 in Kraft getreten ist.
In Bezug auf näher bezeichnete relevante Erzeugnisse aus den Rohstoffen Rinder, Kakao, Kaffee, Ölpalme, Kautschuk, Soja und Holz bestimmt die Verordnung Sorgfaltspflichten für Marktteilnehmer und Händler. Die gelisteten Erzeugnisse dürfen nur noch dann in Verkehr gebracht, auf dem Unionsmarkt bereitgestellt oder ausgeführt werden, wenn sie nachweislich „entwaldungsfrei“ sind.
Neueste Entwicklungen: Verschiebung, neue Auslegungshilfen und Deutsche Durchführungsgesetzgebung
Ursprünglich sollte die Verordnung für große und mittlere Unternehmen ab dem 30. Dezember 2024, für kleine und Kleinstunternehmen ab dem 30. Juni 2025 Anwendung finden. Nachdem jedoch bis zuletzt noch immer große Unklarheiten über zentrale Komponenten der Umsetzung bestanden (etwa zum zentralen Informationssystem zum Upload der Sorgfaltserklärungen sowie zur Länder Risikoklassifizierung („Benchmarking“)), beantragte die Europäische Kommission schließlich im Oktober 2024 die Verschiebung des Anwendungsbeginns um ein Jahr. Der europäische Rat stimmte noch im selben Monat der Verschiebung zu. Eine Abstimmung im Europäischen Parlament soll noch in diesem Jahr erfolgen.
Update (Stand 19.11.2024)
In einer chaotischen Sitzung am 14. November 2024 befasste sich das Europäische Parlament mit der Zukunft der EUDR. Allerdings ging es nicht mehr lediglich um den Verschiebungsvorschlag der Kommission. Denn noch in der Vorwoche hatte die Fraktion der EVP (Europäische Volkspartei) weitere Änderungsvorschläge zur inhaltlichen Abschwächung der Verordnung vorgelegt. Kurz vor der Sitzung nahm die Fraktion einige Vorschläge wieder zurück, die übrigen wurden jedoch größtenteils angenommen. Sie betreffen vor allem die Einführung einer neuen „kein Risiko“-Kategorie für Länder oder Landesteile. Für Rohstoffe und Erzeugnisse aus diesen müsste demnach keine Entwaldungsfreiheit mehr nachgewiesen werden. Gemäß der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments (Artikel 60 Abs. 4) geht das gesamte Dossier nun zunächst zurück in die interinstitutionellen Verhandlungen, den sogenannten Trilog. Ob eine Einigung noch in diesem Jahr erzielt werden kann, bleibt abzuwarten. Sollte dies nicht der Fall sein, bliebe es formell zunächst doch beim Anwendungsstart der Regeln Ende Dezember 2024. Dies wäre den betroffenen Unternehmen nach der aktuellen Phase völliger Rechtsunsicherheit kaum zuzumuten.
Zeitgleich mit dem Änderungsverordnungsentwurf veröffentlichte die Kommission auch neue FAQs, ein neues Guidance Document und andere Informationsquellen, die einem besseren Verständnis und einer einheitlicheren Auslegung der EUDR dienen sollen.
Währenddessen veröffentlichte das BMEL am 24. Oktober 2024 den Referentenentwurf zum EUDR-Durchführungsgesetz und leitete die Länder- und Verbändeanhörung ein. Alle betroffenen Akteure sollen jetzt die Möglichkeit haben, zu Wort zu kommen. Der Gesetzesentwurf legt vor allem die national zuständigen Behörden (insb. die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung) sowie ihre Befugnisse fest, und enthält Zwangs- und Bußgeldvorschriften.
Fazit: Viel Lärm um bislang (fast) Nichts?
Der aktuelle politische Diskurs und die Berichterstattung dürfen über eins nicht hinwegtäuschen: Die Regeln zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette sind gekommen, um zu bleiben. Trotz der politisch kontrovers geführten Diskussionen ist nicht erkennbar, dass es eine grundsätzliche Abkehr von der bisherigen Linie geben wird. Insbesondere die Entscheidungsträger in der EU betonen weiterhin, dass auch eine zeitweise Aussetzung oder Verschiebung des Anwendungsbeginns einzelner Vorschriften nichts am grundsätzlichen Regelungsgehalt oder der generellen Zielsetzung ändern wird.