Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung zu „Lehman Brothers“-Zertifikaten
Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung zu „Lehman Brothers“-Zertifikaten
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteilen vom 27. September 2011 erstmals über zwei Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Anlageberatung durch Banken zu Zertifikaten der Emittentin Lehman Brothers entschieden. Es handelte sich um Zertifikate mit einer Kapitalgarantie, so dass – neben einer nicht sicheren Rendite – vor allem „nur“ das Risiko einer Insolvenz der Emittentin bestand, das sich mit der Insolvenz der Lehman Brothers-Gruppe im September 2008 allerdings dann auch realisierte. Neben der Frage des Emittentenrisikos stand bei den Verfahren die Frage im Vordergrund, ob eine Aufklärungspflicht über die Vergütung der beklagten Bank beim Verkauf der Zertifikate bestand. Die betroffene Sparkasse hatte beim Verkauf der Zertifikate eine Gewinnmarge erzielt und zudem einen Ausgabeaufschlag von 1 % erhoben. Zudem bestand ein Absatzrisiko, weil die Sparkasse die Zertifikate aus dem von der Emittentin eingekauften Kontingent nur mit einem Abschlag an die Emittentin zurückgeben konnte.
Der Bundesgerichtshof hatte ursprünglich am 19. Dezember 2006 im Zusammenhang mit einer Anlageberatung durch eine Bank zu Investmentfondsanteilen entschieden, dass die Bank den Anleger über Rückvergütungen (Kick backs) aufzuklären hat, die sie von der Fondsgesellschaft aus Zahlungen des Anlegers an die Fondsgesellschaft (etwa Agio/Ausgabeaufschlag) erhält, damit der Anleger das ihm sonst verborgen gebliebene Eigeninteresse der Bank erkennen könne. Im Rahmen der Klagen von Anlegern im Zusammenhang mit der Anlageberatung zu Lehman Brothers-Zertifikaten spielte daher die Frage eine maßgebliche Rolle, ob die Bank auch hier über ihre Vergütung beim Verkauf der Zertifikate ungefragt aufzuklären hatte. Der Unterschied in der Fallgestaltung besteht vor allem darin, dass die Vergütung bzw. die Gewinnmarge der Bank in der Regel nicht aus (gesonderten) Zahlungen des Anlegers an Lehman Brothers stammte, sondern Teil des an die Bank gezahlten Anlagebetrages war.
Die Anleger beriefen sich insoweit aber allgemein auf ein bestehendes Eigeninteresse der Bank und hatten damit unter anderem bei der ersten Entscheidung des Landgerichts Hamburg vom 23. Juni 2009 Erfolg. Das Hanseatische Oberlandesgericht hob die Entscheidung am 23. April 2010 jedoch auf, weil eine Bank grundsätzlich nicht verpflichtet sei, ihre Gewinnmarge bei einem vertriebenen Produkt offenzulegen. Die Sonderkonstellation der sog. "Kick back"-Rechtsprechung liege nicht vor. Mit Ausnahme des Oberlandesgerichts Köln und eines Senats des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main sind dem die übrigen deutschen Oberlandesgerichte im Wesentlichen gefolgt. Der Bundesgerichtshof hatte nun über zwei Hamburger Urteile zu entscheiden.
Der BGH hat die Klagen der Anleger endgültig abgewiesen und entschieden, dass eine Aufklärungspflicht über den Gewinn beim Verkauf von Zertifikaten an Bankkunden im Wege des Eigengeschäfts nicht bestehe. Es sei für den Kunden offensichtlich, dass die Bank in einem derartigen Fall eigene (Gewinn-)Interessen verfolge, so dass darauf nicht gesondert hingewiesen werden müsse. Aus der bisherigen Rechtsprechung des BGH etwa zur Aufklärungspflicht bei Rückvergütungen ergebe sich nichts anderes. Dabei bestehe auch keine Pflicht der Bank darauf hinzuweisen, dass die Zertifikate im Wege des Eigengeschäfts veräußert werden. Eine solche Hinweispflicht würde sich auf die als solche bedeutungslose Information beschränken, dass die Bank ihn über Existenz und Höhe der Gewinnspanne nicht aufzuklären habe.
Bezüglich der Aufklärungspflicht über das Emittentenrisiko stellte der BGH fest, dass ein konkretes Insolvenzrisiko gerade der Emittentin Lehman Brothers in den Jahren 2006 und 2007 nicht erkennbar und daher auch nicht aufklärungspflichtig gewesen sei. Im Grundsatz bestehe allerdings eine Pflicht zur Aufklärung über das allgemein mit Zertifikaten verbundene Emittentenrisiko, der die beklagte Sparkasse aber in den zu entscheidenden Fällen genügt habe.
In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende des zuständigen XI. Zivilsenats darauf hingewiesen, dass derzeit weitere etwa 40 Revisionsverfahren im Zusammenhang mit Lehman Brothers-Zertifikaten beim BGH anhängig seien. Jeder Fall sei dabei einzeln zu betrachten. Die zuvor genannten Rechtsfragen dürften indes endgültig entschieden sein. Welche Anforderungen im Hinblick auf die Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko im Einzelnen zu stellen sind, werden aber wohl erst die weiteren Entscheidungen zeigen.
(BGH, Urteile vom 27. September 2011 - XI ZR 178/10 und XI ZR 182/10)
Dr. Patrick Wolff, Rechtsanwalt