Berliner „Mietendeckel“: Gesetzgebungsverfahren vor dem Abschluss
Das Berliner Abgeordnetenhaus wird am 30. Januar über das „Gesetz zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung“ (MietenWoG Bln) entscheiden. Das Vorhaben eines fünfjährigen Mietenmoratoriums wird seit dem vergangenen Frühjahr diskutiert. Nach einer Expertenanhörung im Dezember hat der Ausschuss für Stadtentwicklung und Wohnen nun weitere Änderungen an dem Gesetzesentwurf beschlossen, um das Gesetz gegen verfassungsrechtliche Zweifel abzusichern. Sollte das Gesetz im März in Kraft treten, so werden Mieter und Vermieter bis zu einer Klärung durch das Bundesverfassungsgericht dennoch einer Rechtsunsicherheit ausgesetzt sein.
I. Grundzüge des Gesetzesvorhabens: Mietenstopp und Mietobergrenze(n)
Das Gesetz enthält zwei wesentliche Regelungen. Ein Mietenstopp soll die Mietpreise für Neuvermietungen auf dem Stand vom Juni letzten Jahres einfrieren. Erfasst sind nicht preisgebundene Wohnungen mit Ausnahme von Neubauten. Der Mietenstopp soll rückwirkend zum 18. Juni 2019 gelten, dem Tag, an dem der Berliner Senat die Eckpunkte des Gesetzesentwurfes beschlossen und bekanntgegeben hat. Auf diese Weise werden von dem Mietenstopp auch Mieterhöhungen erfasst, die in Erwartung des baldigen Gesetzesentwurfes veranlasst wurden. Ab 2022 gilt ein Inflationsausgleich von 1,3 Prozent pro Jahr.
Zusätzlich legt das Gesetz eine Mietobergrenze fest. Diese basiert auf dem Berliner Mietspiegel von 2013 und differenziert den höchstzulässigen Quadratmeterpreis nach dem Alter und der Ausstattung der Wohnung. Die Mietobergrenze gilt erst neun Monate nach Verkündung des Gesetzes. Bisherige Entwürfe hatten außerdem die Absenkung überhöhter Mieten durch die Bezirksämter auf Antrag des Mieters vorgesehen.
Hinzu kommen schließlich Härtefallregelungen für den Einzelfall. So erlaubt das Gesetz die Genehmigung angemessener Mieterhöhungen, wenn den Vermietern dauerhafte finanzielle Verluste drohen oder eine Substanzgefährdung des Eigentums zu befürchten ist. Im Gegenzug können einkommensschwache Mieter, die von einer solchen Erhöhung betroffen sind, einen Mietzuschuss unter den Voraussetzungen des Berliner Wohnraumgesetzes beantragen.
II. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
Selbst die Befürworter des Gesetzesvorhabens haben eingeräumt, dass der Entwurf des MietWoG Bln aus verfassungsrechtlicher Sicht angreifbar ist. Die Berliner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) hat formuliert, dass mit dem Gesetzesvorhaben „juristisches Neuland“ betreten werde.
Schon die Kompetenz des Landes Berlin, diese Materie zu regeln, steht im Zweifel. So hat der Bundesgesetzgeber im Jahr 2015 mit der „Mietpreisbremse“ bereits eine Regelung getroffen, die den Anstieg der Mietpreise auf angespannten Wohnungsmärkten abschwächen soll und diese im Bürgerlichen Gesetzbuches verankert. Dabei hat die Große Koalition sich auf die Gesetzgebungskompetenz für „das bürgerliche Recht“ gemäß Art. 72 Abs. 1, 74 Nr. 1 GG gestützt. Dies ist seinerzeit weder von der Fachöffentlichkeit noch vom Bundesverfassungsgericht in Frage gestellt worden. Demnach wäre für ein Landesgesetz auf diesem Gebiet kein Raum mehr, weil der Bundesgesetzgeber die Materie schon abschließend geregelt hat.
Die Befürworter eines „Mietendeckels“ sehen dagegen in dem Vorhaben ein Instrument öffentlich-rechtlicher Mietpreisregulierung, das auf den Kompetenztitel „Wohnungswesen“ aus Art. 70 Abs. 1 GG gestützt werden kann. Der „Mietendeckel“ diene dem Gemeinwohl und der Daseinsvorsorge. Das Gesetzesvorhaben erfülle damit eine andere Aufgabe als die „Mietpreisbremse“ und sei deshalb auch einem anderen Rechtsgebiet zuzuordnen. Damit könne es auf einen anderen Kompetenztitel gestützt werden und neben der bundesrechtlichen Regelung gelten. Problematisch an dieser Argumentation ist allerdings, dass beide Gesetze die Mietpreise in Berlin regeln und den Zweck verfolgen, der Gentrifizierung von begehrten Wohnlagen entgegenzuwirken. Der „Mietendeckel“ lässt sich im Verhältnis zur „Mietpreisbremse“ ebenso gut als eine strengere, aber ansonsten gleichartige Regelung auffassen.
Inhaltlich steht vor allem die ökonomische Wirksamkeit des Instrumentes in Frage, ändert eine Regulierung des Mietpreises doch nichts an der Knappheit von Wohnraum, die den Preisanstiegen der letzten Jahre zugrunde liegt. Ein „Mietendeckel“ wird einkommensschwachen Bevölkerungsschichten den Zugang zu begehrten Wohnlagen nicht erleichtern, wohl aber den Anreiz mindern, in Neubauten und in den Erhalt von Wohnungseigentum zu investieren. Dies zeigen ökonomische Modellüberlegungen, aber auch Erfahrungen aus Großbritannien, Spanien oder Portugal. Die geringen Effektivitätsaussichten stellen die Verhältnismäßigkeit einer gesetzlichen Mietenregulierung insgesamt in Frage. Dies gilt ganz besonders für die bisher vorgesehene Möglichkeit, den Mietzins in Bestandsmietverträgen auf die festgelegte Mietobergrenze abzusenken. Auch war gegenüber früheren Entwürfen eingewendet worden, dass das Gesetz bei seinen begrenzenden Regelungen nicht nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Mieter oder danach differenziere, ob der jeweilige Vermieter bisher die rechtlich zulässige Miethöhe ausgeschöpft hat oder hinter dieser zurückgeblieben ist.
III. Änderungen des Entwurfs im Gesetzgebungsverfahren
Seit dem Beginn der Diskussion um den „Mietendeckel“ im Frühjahr 2019 ist der Entwurf bereits vielfach abgeschwächt und um Ausnahme- bzw. Härtefallregelungen ergänzt worden. Im Gesetzgebungsverfahren des Abgeordnetenhauses haben sich nun weitere Änderungen ergeben, die darauf abzielen, der verfassungsrechtlichen Kritik zu begegnen und dadurch das Risiko einer Nichtigkeitserklärung durch das Bundesverfassungsgericht zu senken. Der Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses für Stadtentwicklung und Wohnen hatte am 11. Dezember 2019 eine Gruppe von Juristen und Ökonomen zu dem Gesetzesentwurf angehört und in einer zweiten Sitzung am Mittwoch entsprechende Korrekturen beschlossen.
So sieht die geänderte Beschlussvorlage nicht mehr vor, dass die Bezirksämter den Mietzins in Bestandsmietverträgen auf Antrag der Mieter durch Verwaltungsakt absenken können. Es verbleibt das gesetzliche Verbot, einen Mietzins zu vereinbaren und einzufordern, der die Mietobergrenze übersteigt. Dieses wäre aber gerichtlich und durch den Mieter durchzusetzen. Diese Änderung entlastet die Berliner Verwaltung und zielt außerdem darauf ab, die Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin zu entkräften, indem unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten der Verwaltung in zivilrechtliche Rechtsbeziehungen beseitigt werden. Damit soll das Argument gestärkt werden, dass es sich bei dem Gesetzesvorhaben um ein rein „öffentlich-rechtliches“ Instrument der Mietpreisregulierung handele.
IV. Rechtsunsicherheit bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Derzeit ist geplant, dass in der Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses am 30. Januar über das Gesetz abgestimmt wird und dieses spätestens im März in Kraft tritt.
Die Änderungen der letzten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses haben das Risiko einer Verwerfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht ausgeräumt. Entscheidend für den Bestand des Gesetzes ist weniger seine inhaltliche Ausgestaltung als vielmehr die Frage der Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin, die sich durch kosmetische Änderungen in der Gesetzessystematik nicht beeinflussen lässt. In dieser Hinsicht war der Meinungsstand in der Expertenanhörung des Ausschusses für Stadtentwicklung gespalten; die Fachöffentlichkeit ist es ebenso. Der Ausgang eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ist daher offen.
Das Beispiel der Mietpreisbremse zeigt jedoch, dass mit einer höchstrichterlichen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes frühestens in einigen Jahren zu rechnen ist: Im Fall der Mietpreisbremse lagen zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und der ersten Äußerung des Gerichts vier Jahre.
(Vorlage zur Beschlussfassung eines Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung vom 28.11.2019 Abgeordnetenhaus Drs. 18/2347, mit Änderungen vom 22.01.2020, Drs. 18/2637 A.)
Dr. Paolo Ramadori, LL.M. (UCL), Rechtsanwalt
Hamburg