Berücksichtigung nichtiger Stimmen: Annehmender statt ablehnender Gesellschafterbeschluss
Kommt ein ablehnender („negativer“) Gesellschafterbeschluss deshalb zustande, weil aufgrund eines Stimmverbots nichtige Stimmen mitgezählt werden, liegt in Wirklichkeit ein annehmender („positiver“) Gesellschafterbeschluss vor.
Stimmverbot
In seinem Urteil vom 8. August 2023 hat der BGH zunächst die Voraussetzungen des Gesellschafter-Stimmverbots konkretisiert.
Der BGH führt insoweit aus, dass bei der Beschlussfassung über die Einleitung eines Rechtsstreits gegenüber einem Gesellschaftergeschäftsführer dieser kein Stimmrecht hat (§ 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 2 GmbHG). Zudem folgt aus dem in § 47 Abs. 4 GmbHG zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, wonach niemand Richter in eigener Sache sein darf, ein Stimmverbot bei der Beschlussfassung über die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen. Dies gilt auch dann, wenn es darum geht, nach § 46 Nr. 8 Fall 2 GmbHG das Organ zu bestellen, das die Gesellschaft bei der Anspruchsverfolgung vertreten soll. Klarstellend weist der BGH darauf hin, dass es in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommt, ob die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Gesellschaftergeschäftsführer rechtlich geboten ist. Vielmehr reiche es grundsätzlich aus, wenn der die Abstimmung beantragende Gesellschafter im Einzelnen umreißt, worin die Pflichtverletzung und der Tatbeitrag der einzelnen Mitgesellschafter besteht. Es komme dagegen nicht darauf an, ob die Anspruchsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat.
Der BGH legt des Weiteren dar, dass bei der Beschlussfassung über die Einleitung eines Rechtsstreits gegen eine Drittgesellschaft oder über die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Drittgesellschaft ein Stimmverbot nicht nur dann besteht, wenn der GmbH-Gesellschafter zugleich der Allein-Gesellschafter der Drittgesellschaft ist. Ein Stimmverbot besteht auch für diejenigen GmbH-Gesellschafter, die zusammen alle Anteile an der Drittgesellschaft innehaben. Der BGH stellte insoweit fest, dass nach diesen Grundsätzen die GmbH-Gesellschafter A und B bei der Abstimmung über die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber der Dritt-Gesellschaft kein Stimmrecht hatten, weil sie mit jeweils 50% an dieser beteiligt waren.
Anfechtungs- und positive Beschlussfeststellungsklage
Dem Urteil des BGH lässt sich ferner entnehmen, wie durch die Kombination von gesellschaftsrechtlicher Anfechtungs- und positiver Beschlussfeststellungsklage aus einem ablehnenden ein zustimmender Gesellschafterbeschluss wird.
In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte erst das Mitzählen der nichtigen Stimmen dazu geführt, dass der Beschlussvorschlag abgelehnt wurde. Erforderlich war in dem konkreten Fall jeweils ein einfacher Mehrheitsbeschluss. Nur aufgrund der Berücksichtigung der wegen des Stimmverbots nichtigen Nein-Stimmen wurde die einfache Mehrheit für den ablehnenden Beschluss erreicht. Ohne die Berücksichtigung der nichtigen Nein-Stimmen wäre folglich die erforderliche Mehrheit für einen ablehnenden Beschluss nicht erreicht worden. Der BGH stellte dementsprechend die Unwirksamkeit des ablehnenden Beschlusses fest und gab der Anfechtungsklage statt.
Sodann stellt der BGH im Rahmen der zugleich erhobenen positiven Beschlussfeststellungsklage fest, dass die drei streitgegenständlichen Beschlussvorschläge (entgegen der Feststellung des Versammlungsleiters) angenommen wurden, weil bei der gebotenen Außerachtlassung der nichtigen Stimmen die Zahl der Ja-Stimmen jeweils die Zahl der Nein-Stimmen überwiegt. Der BGH stellte daher fest, dass (in Wirklichkeit) ein wirksamer, den Beschlussvorschläge annehmender Beschluss vorliegt.
MoPeG
Die Ausführungen des BGH betreffen zwar einen Beschluss, der von GmbH-Gesellschaftern gefasst wurde. Das Urteil ist aber gleichermaßen für das bei Personenhandelsgesellschaften geltende Beschlussmängelrecht relevant. Dies nicht nur aufgrund der auch bei Personengesellschaften geltenden Stimmverbote. Hinzu kommt, dass durch das MoPeG für Personenhandelsgesellschaften das Anfechtungsmodell eingeführt wurde. Auch die bei der OHG und KG festgestellten Gesellschafterbeschlüsse sind daher ab dem 1.1.2024, sofern der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung enthält, mit einer Anfechtung- oder Nichtigkeitsklage anzugreifen (§§ 110 ff. HGB n.F.), wobei zugleich mit Hilfe einer positiven Beschlussfeststellungsklage der tatsächlich gefasste Beschluss gerichtlich festgestellt werden kann (§ 115 HGB n.F.).
(BGH Urt. v. 8.8.2023 – II ZR 13/22)