Februar 2020 Blog

Beweis­antritt zur Wider­le­gung der Zahlungs­un­fähig­keit auch ohne kon­kreten Vor­trag zu­lässig

Will der Anfechtungsgegner in einem Anfechtungsprozess die vermutete Zahlungsunfähigkeit des Schuldners widerlegen, kann er dies durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens tun. Das Gericht ist auch ohne den Vortrag von konkreten Anknüpfungstatsachen gehalten, einem entsprechenden Beweisantritt nachzukommen.

Hintergrund

Der Nachweis einer Zahlungseinstellung nach § 17 Abs. 2 S. 2 InsO erleichtert dem Insolvenzverwalter die Durchsetzung – u.a. – von Insolvenzanfechtungsansprüchen erheblich. Gelingt ihm dieser Nachweis, wird eine Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 1 InsO (widerleglich) vermutet. Den Nachweis einer Zahlungseinstellung gem. § 17 Abs. 2 S. 2 InsO für einen bestimmten Stichtag kann der Insolvenzverwalter u.a. durch die Darlegung führen, dass der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten zu diesem Stichtag und auch bis zur Insolvenzeröffnung nicht begleichen konnte. Die – aufwändige und mitunter teure – Erstellung einer Liquiditätsbilanz ist zum Nachweis einer Zahlungsunfähigkeit dann nicht zwingend erforderlich. Gerade für den Anfechtungsgegner, der die finanzielle Situation der Insolvenzschuldnerin regelmäßig nicht näher kennt, ist die Widerlegung dieser Vermutung dann oft nur unter erheblichem Aufwand oder überhaupt nicht möglich.

Die Entscheidung des BGH

Im Streitfall machte der Kläger Anfechtungsansprüche nach §§ 143 Abs. 1, 133 Abs. 1 InsO gegen die Beklagte, einen Sozialversicherungsträger, geltend. Die Insolvenzschuldnerin betrieb ein Zeitarbeitsunternehmen. Die Beklagte gewährte der Insolvenzschuldnerin mit Schreiben vom 10.12.2009 eine jeweils einmonatige Stundung der in den nächsten sechs Monaten fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge. Die Schuldnerin zahlte die Beiträge ab Januar 2010 nicht fristgerecht. Es kam regelmäßig zu Verzögerungen von mehr als einem Monat. Teilweise wurden die Beiträge erst nach Zwangsvollstreckung, oftmals nur in Teilzahlungen, im Ergebnis aber bis einschließlich Juli 2012 vollständig geleistet. Der Insolvenzverwalter machte – nach Insolvenzantragstellung am 10.10.2012 und Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 02.01.2013 – den Gesamtbetrag der Zahlungen zwischen Februar 2010 und Juli 2012 mittels Insolvenzanfechtungsklage geltend. Der Klage wurde in erster Instanz vollumfänglich stattgegeben. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Die Beklagte erhob Nichtzulassungsbeschwerde, woraufhin der BGH die Revision zuließ.

Der BGH entschied, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt werde, wenn erhebliche Beweisanträge unberücksichtigt blieben, sofern das Prozessrecht nicht entgegenstehe. Begründet der Insolvenzverwalter – wie vorliegend – den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners nach § 133 Abs. 1 S. 1 InsO mit der Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit (die insofern ein Indiz für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz darstellt), kommt er der ihn insofern treffenden Darlegungs- und Beweislast durch den Nachweis einer Zahlungseinstellung gem. § 17 Abs. 2 S. 1 InsO nach. Zur Widerlegung der Vermutung der Zahlungsunfähigkeit bleibt es dem Anfechtungsgegner aber unbenommen, der Annahme der Zahlungsunfähigkeit mit dem Antrag auf Erstellung einer Liquiditätsbilanz durch einen Sachverständigen entgegenzutreten.

Vorliegend hat die Beklagte sowohl in erster als auch in zweiter Instanz die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bestritten und zur Widerlegung der Vermutung Beweis durch Sachverständigengutachten angetreten. Der Beweis wurde jedoch vom Berufungsgericht nicht erhoben. Das Berufungsgericht sei damit der Verpflichtung, erhebliche Beweisanträge zu berücksichtigen, nicht nachgekommen. Insbesondere, so der BGH, benötige es keinen besonderen Vortrag des Anfechtungsgegners zu Anknüpfungstatsachen für die Einholung des Sachverständigengutachtens zur Zahlungs(un)fähigkeit. Der Anfechtungsgegner habe regelmäßig keinen näheren Einblick in die finanziellen Verhältnisse des Schuldners, sodass ihm ein entsprechender Vortrag unter Umständen gar nicht möglich sei.

Auswirkungen für die Praxis

Der BGH wiederholt seine ständige Rechtsprechung, wonach der Anfechtungsgegner zur Widerlegung der Zahlungseinstellung berechtigt ist, Gegenbeweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens anzubieten (u.a. BGH, Urt. v. 26.03.2015 – IX ZR 134/13) zu Gunsten des Anfechtungsgegners. Der BGH stellt klar, dass – anders als beispielsweise ein Geschäftsführer, der wegen verspäteter Insolvenzantragstellung in Anspruch genommen wird – ein Anfechtungsgegner insofern keine Anknüpfungstatsachen für die von ihm gegenbeweislich behauptete Zahlungsfähigkeit vortragen muss, weil er regelmäßig schlicht keinen näheren Einblick in die finanziellen Verhältnisse des Schuldners hat, sodass ihm ein entsprechender Vortrag unter Umständen gar nicht möglich ist.

(Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.09.2019 – IX ZR 3421/18)

Lena Biendl, Rechtsanwältin
München

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